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12
10
2018

Michael Reinsch - Foto: Horst Milde

IOC und Athletenrechte: Befremdliche Vorgaben, realitätsferne Appelle – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

In der Nacht auf Mittwoch hat die Vollversammlung des IOC in Buenos Aires eine „Erklärung der Rechte und Pflichten von Athleten“ vorgestellt und verabschiedet. Dabei herausgekommen sind 22 Punkte, alle im Imperativ verfasst. Das wirkt, wie etwa Punkt sieben der Pflichten, ein wenig putzig: „Handele als Vorbild, auch indem du sauberen Sport förderst.“ Sanktionen sind für den Fall, dass Athleten daran scheitern, nicht vorgesehen. Zwar gehört zu den Rechten der Athleten auch das auf freie Meinungsäußerung.

Die Pflichten schränken dieses, Ziffer fünf, allerdings ein: „Unterlasse politische Demonstration im Wettkampf, an Wettkampfstätten und bei Ehrungen.“

Darüber hinaus verpflichtet der Text Sportlerinnen und Sportler auf das Modell der Olympischen Solidarität, das ist die Verteilung der Milliarden-Einnahmen des IOC an Fachverbände und Nationale Olympische Komitees. Dieses steht gegen die Forderung nach direkter finanzieller Beteiligung der Athleten an Erträgen Olympias. „Respektiere das Solidaritätsprinzip der Olympischen Bewegung, das Athleten und Mitgliedern der Olympischen Bewegung Hilfe und Unterstützung ermöglicht“, heißt Punkt sechs der Pflichten. Auch die Rechte enthalten Pflichten wie Punkt fünf, der die Athleten dazu auffordert, wirtschaftliche Chancen zu nutzen, dabei aber „das geistige Eigentum oder andere Rechte, Regeln der Veranstaltung und der Sportorganisationen sowie die Olympische Charta“ anzuerkennen.

In Konkurrenz zu ähnlichen Erklärungen

Die Erklärung der Athletenrechte des IOC ist in Konkurrenz zu ähnlichen Erklärungen der Gewerkschaft World Players Association und der Athletenvertretung der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) entstanden. Im Unterschied zu diesen, welche auch für die wachsende Distanz zwischen Athleten und den Organisationen des Sports stehen, betont die Erklärung des IOC die Einheit. „Athleten und ihre Interessen sind wesentlich für die Olympische Bewegung“, heißt es in der Präambel. Ziel dieser Erklärung sei es, die Handlungen der Olympischen Bewegung zu leiten

Es scheint, als hätte der Fall Julija Stepanowa das Athleten-Komitee tief bewegt. Die russische Läuferin hatte Doping in der Leichtathletik ihrer Heimat in Wort und Bild bewiesen und damit die Enthüllungen über das Staats-Doping bis hin zur Manipulation der Olympischen Winterspiele von Sotschi in Gang gesetzt. Sie verließ mitsamt ihrer Familie Russland, durfte, obwohl der Weltverband der Leichtathleten dies ermöglichen wollte, nicht bei den Olympischen Spielen von Rio starten und lebt, unterstützt vom IOC, aus Angst vor Racheakten immer noch versteckt.

Gleich zweimal fordert die Athletenerklärung Sportlerinnen zum Whistleblowing auf. „Melde unethisches Verhalten ohne Angst vor Vergeltung“, lautet Punkt neun der Rechte. Punkt drei der Pflichten ist die Aufforderung: „Handele gemäß dem Ethikkodex des IOC, und sei ermutigt, unethisches Verhalten einschließlich Doping, Wettbewerbsmanipulation, verbotener Diskriminierung, Missbrauch und Belästigung zu melden.“

Ein Jahr lang hatte ein Steuerungskomitee aus Sportlerinnen und Sportlern daran gearbeitet und Kritik von Athletenvertretern und Menschenrechtsorganisationen dafür auf sich gezogen, dass der Text nicht ausreichend und der Prozess nicht transparent sei und dass das IOC selbst die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte nicht implementiert habe. Die einstige Ruderin Lenka Dienstbach-Wech, Mitglied der Kommission, verteidigte ihre Arbeit mit dem Hinweis, dass die Athletenerklärung regelmäßig überarbeitet werden solle. Das IOC beruft sich darauf, dass mittels zweier Umfragen mehr als viertausend Sportlerinnen und Sportler am Entstehen der Athletenrechte beteiligt gewesen seien.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 11. Oktober 2018

Michael Reinsch

 Michael Reinsch , Korrespondent für Sport in Berlin

 

author: GRR