Michael Reinsch - Foto: Horst Milde
Athleten zu Spitzensportreform : Ein niederschmetterndes Urteil – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Athletensprecherin Silke Kassner findet im Sportausschuss deutliche Worte zum derzeitigen Stand der Spitzensportreform. Tatsächlich sind zwei der drei angestrebten Verbesserungen noch nicht erreicht.
Was Silke Kassner im Sportausschuss des Deutschen Bundestages vortrug, muss man sich wohl als einen Moment wie den vorstellen, in dem das Kind bei der Parade des Kaisers in seinen neuen Kleidern ruft: „Aber er hat ja nichts an!“
Die Athletensprecherin im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) kritisierte am Mittwoch in Berlin das Hin und Her bei der Straffung des Netzes von Bundesstützpunkten und die ungenügende Berücksichtigung der Potential-Analyse PotAS bei der künftigen Förderung von Sportarten; beide Felder gelten als elementar für die Spitzensport-Reform, die sich der DOSB verordnet hat.
Silke Kassner äußerte die Befürchtung, dass PotAS lediglich als Feigenblatt diene und nicht als Grundlage künftiger Förderentscheide. Urs Granacher, der Vorsitzende der PotAS-Kommission, forderte Objektivität beim Einsatz von PotAS und der Nutzung der von ihm ermittelten Ergebnisse.
Für André Hahn, den Abgeordneten der Linken, stellt sich die Grundsatzfrage. „Dass wir im Bob- und Rennschlittensport gut sind, kann ich im Fernsehen sehen; dazu brauche ich nicht eine relativ teure Potentialanalyse“, sagte er beim Verlassen des Ausschusses. „Was mich verstört hat, ist, dass die Athletenvertretung gesagt hat, dass sie keine Sicherheit bei der Planung habe. Das war ja eigentlich das Ziel. Dass sich die Athleten nicht einbezogen fühlen und jetzt manches nicht nachvollziehen können.“ Es stelle sich die Frage, welche Zukunft dieses Evaluierungs-Instrument habe; der Auftakt sei nicht ermutigend.
„Es gibt viel Unsicherheit bei den Athleten“
Für Sportlerinnen und Sportler stelle sich, teilte Silke Kassner den Abgeordneten mit, „die Frage, was sich überhaupt ändert“. In ihrer schriftlichen Einlassung heißt es weiter: „Es gibt viel Unsicherheit bei den Athleten. Sie haben auf das Vorhaben gesetzt. Jedoch gibt es bisher keine Verbesserungen außer der Weiterentwicklung der Athletenförderung in der Bundeswehr, der ergänzenden, zivilen Athletenförderung in Kooperation mit der Deutschen Sporthilfe und die Gespräche zum Rentenpaket für die Athletinnen und Athleten.“
Dies ist ein niederschmetterndes Urteil, da zwei der drei Verbesserungen noch nicht erreicht sind. Von den 3,5 Millionen Euro, die der Staat Athleten zugute kommen lassen will, ist noch kein Cent bei der Sporthilfe eingetroffen. Das Projekt Rentenzahlung für Spitzensportler wird noch Jahre auf sich warten lassen.
Das kuriose Ende des Streits um die Bundesstützpunkte machte DOSB-Präsident Alfons Hörmann am Samstag bekannt. Der Innenminister habe sich über die Sportabteilung hinweggesetzt, berichtete er dem hessischen Sportbundtag in Frankfurt, als er über sein Treffen mit Seehofer vom Vortag sprach. Der Minister beschreite ganz neue Wege, ließ er seine Zuhörer wissen; die kritischen Stützpunkte, 21 von 33, die aus der Gesamtzahl von 204 gestrichen werden sollten, blieben nun und seien gesichert.
Vor wenigen Wochen, als man annehmen sollte, dass er mit Koalitionsstreit und dem Skandal um Verfassungsschutz-Chef Maaßen ausgelastet wäre, entzog Seehofer der Abteilung Sport die Zuständigkeit für die Stützpunkte, um persönlich zu entscheiden. Schließlich argumentierte er unter Berufung auf seine Verantwortung für das Ressort Heimat, dass es keine Regionen ohne Stützpunkte geben dürfe; diese dienten auch der regionalen Förderung. Davon profitiert nun auch Bad Kreuznach, die Heimat von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, wo Stützpunkten für Trampolin und Kanuslalom die Schließung drohte.
Dirk Schimmelpfennig, im Vorstand des DOSB für den Spitzensport zuständig, bekräftigte am Mittwoch in Berlin, dass der DOSB an der Reform festhalte. Von sich aus habe er die Stützpunkte der Sommersportarten von 184 auf 154 verringert, also um 16 Prozent; bei den Wintersportarten werde es künftig 30 statt 36 Stützpunkte geben, 20 Prozent weniger.
Im Mai hatte der Bundesrechnungshof auf die hohe Zahl von Stützpunkten und Kadersportlern hingewiesen und gemahnt, dass eine Erhöhung der Förderung grundsätzlich von der Umsetzung der Reform abhängen und deshalb nicht erfolgen sollte.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem Mittwoch dem 26.9.2018
Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin.
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