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21
09
2018

Eluid Kipchoge, der Sieger von Berlin mit neuem Weltrekord wurde zum weltbesten Leichtathleten des Jahres gewählt. - Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com

Ein Weltrekord für die Geschichte – Jürg Wirz

By GRR 0

Der Kenyaner Eliud Kipchoge verbesserte den Marathon-Weltrekord in Berlin um mehr als eine Minute auf 2:01:39 Stunden

Die Zuschauer im Zielbereich am Brandenburger Tor schauten gebannt auf die laufende Uhr und gleichzeitig auf Eliud Kipchoge, der wie ein 400-Meter-Läufer dem Ziel entgegenstürmte. 2:01:36, 2:01:37, 2:01:38.

Bei 2:01:39 blieb die Uhr stehen.

Ein neuer Weltrekord!

Und was für einer: Eine Minute und 18 Sekunden unter der vier Jahre alten Bestmarke von Dennis Kimmeto. Man muss in den Geschichtsbüchern mehr als 40 Jahre zurückblättern, in eine Zeit, als der Marathonlauf noch nicht professionell betrieben wurde, als es letztmal einen ähnlichen Quantensprung gab.

Seit der internationale Verband IAAF 2003 offizielle Weltrekorde führt, waren 29 Sekunden die deutlichste Verbesserung. Das allein zeigt, welch grossartige Leistung Kipchoge gestern gelungen ist. Und auch: Dass der 33-Jährige der Zeit voraus ist.

Der Erste, der den neuen Weltrekordler im Ziel in die Arme schloss, war Patrick Sang, Tränen in den Augen. In der Nacht auf Sonntag hatte er kein bisschen geschlafen, so aufgeregt war er. Der 54-Jährige ist Kipchoges Trainer, Mentor und väterlicher Freund. Die beiden stammen aus dem gleichen Nandi-Dorf Kapsisiywa.

Sang hat Kipchoge zu dem gemacht, was er heute ist: Der grösste Marathonläuer aller Zeiten und ein grossartiger, becheidener Mensch dazu. Sang und Kipchoge – ein Duo, das sich versteht und respektiiert – und das zusammen gewachsen ist. Wenn man Sangs Vergangenheit kennt, kann man sogar sagen, Eliud Kipchoge trage auch ein Stück Schweizer Mentalität in sich.

Es war 1990, als Patrick Sang mit Hilfe der damaligen Schweizer Spitzenläuferin Cornelia Bürki in die Schweiz kam und dem Vater von Weltklasse Zürich, Res Brügger, vorgestellt wurde. Dieser überzeugte ihn, für den LC Zürich zu starten, und so trug Patrick Sang von 1990 bis 1998 die Farben des LCZ, gewann zwei WM- und eine Olympia-Silbermedaille über 3000 Meter Steeple und sagt noch heute: «Diese Zeit hat mich sehr geprägt; ich habe nie so viel gelernt wie in meinen Zürcher Jahren.»

Eliud Kipchoge hat den Weltrekord in Berlin in eine neue Dimension geführt. Aber es war ein Rekord mit Ankündigung. Seit 2014 ist der Kenyaner ungeschlagen, er gewann in dieser Zeit neun Marathons, darunter jenen an den Olympischen Spielen 2016 in Rio, und er hat im Mai 2017 in Monza die 42,195 Kilometer zweieinhab Minuten schneller zurückgelegt als je ein Mensch vor ihm.

Die Bedingungen waren bei diesem von Nike orchestrierten «Breaking2»-Versuch zwar nicht Rekord-konform, die Zeit zeigte aber, wozu ein Mensch fähig ist. Kipchoge schien schon lange in der Lage, den offiziellen Weltrekord zu verbessern.

Der wichtigste Grund, dass es erst jetzt klappte: Pech. 2015 in Berlin rutschten die Innensohlen nach wenigen Kilometern hinten aus den Schuhen. Im folgenden Frühling in London realisierte  erst auf den letzten Kilometern, wie nahe er am Weltrekord dran war; mit 2:03:05 verpasste er ihn um winzige acht Sekunden.

In Berlin im letzten Jahr verhinderte Regen und eine klatschnasse Strasse den angepeilten Rekord. Für Eliud Kipchoge stoppte die Uhr nach 2:03:32. Die anwesenden Coaches und Manager waren sich einig: Wer bei diesen Bedingungen eine solche Zeit läuft, hat das Potenzial für eine «Sub 2:02».

Am 22. April in London bot sich die nächste Chance, doch da stieg das Thermometer über 20 Grad und das Anfangstempo war für diese Wärme verrückt: 13:48 Minuten für die ersten fünf Kilometer, das hätte einen Marathon von unter 1:57 Stunden ergeben. Diesmal passte endlich alles zusammen. Eliud Kipchoge war in der Form seines Lebens, gemäss Patrick Sang besser als vor einem Jahr und besser als vor Monza. «Da war die Vorbereitungsphase mit rund sieben Monaten zu lange; diesmal schafften wir den Peak exakt zur rechten Zeit.»

Und auch das Wetter spielte mit: zwar sehr sonnig, aber die Temperatur war gut: 14 Grad am Start und 18, als Eliud Kipchoge ins Ziel kam. Das Einzige, was hätte besser sein können, war die Arbeit der Tempomacher: einer stieg schon nach 15 Kilometern aus, der zweite kurz danach, und nach 25 Kilometern war Eliud Kipchoge alleine.

17 Kilometer allein gegen die Uhr.

Dass er zwischen Kilometer 30 und 35 sogar den schnellsten Fünf-Kilometer-Abschnitt hinlegte (14:18 Minuten), ist ein Beweis für seine Superiorität, körperlich und auch mental. «Es war fantastisch wie mich das Pubikum anfeuerte», sagte er nachher, «aber ehrlich gesagt: Gegen Schluss habe ich das nicht mehr wahrgenommen, da lief ich in einem Tunnel.»

Und auf die Zeit angesprochen: «Es war immer mein Ziel, den Weltrekord nicht nur um ein paar Sekunden zu verbessern, sondern Geschichte zu schreiben.»

Einen Weltrekord gab es auch für eine Schweizerin:

Manuela Schär realisierte im Rollstuhl 1:36:53 Stunden.
Photo: Victah Sailer@PhotoRun

Und im Rennen der Frauen war nicht Tirunesh Dibaba, für viele die grösste Langstreckenläuferin aller Zeiten, die Schnellste, sondern die Kenyanerin Gladys Cherono. Ihr gelang mit 2:18:11 ein neuer Streckenrekord.

Jürg Wirz

Jürg Wirz ist Schweizer. Er gab jahrelang das Schweizer Laufmagazin „Der Läufer“ heraus. Er lebt jetzt in Kenia und ist deswegen „Spezialist“ für das Laufwesen und die Athleten und Athletinnen aus Kenia. GRR veröffentlichte schon viele Beiträge von ihm. Er schreibt hauptsächlich für angesehene Schweizer Zeitungen und für das deutsche Runner’s World.

Horst Milde

Die Geschichte des BERLIN-MARATHON mit einem Youtube-Video:

https://www.youtube.com/watch?v=sEGve18Drf8

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

author: GRR