Blog
16
09
2018

Schon beim Berlin-Marathon 2017 durfte Eliud Kipchoge als Sieger vom Treppchen grüßen. Berlin, Germany September 24, 2017 Photo: Victah Sailer@PhotoRun

Marathonläufer Eliud Kipchoge: Jagd auf den Weltrekord – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

2:00:25 Stunden braucht Eliud Kipchoge für die 42,195 Kilometer – zumindest unter Laborbedingungen. Die offizielle Anerkennung als Weltrekord bleibt ihm bisher verwehrt.

Kann der Kenianer das in Berlin ändern?

Eliud Kipchoge, der beste Marathonläufer der Welt, will am Sonntag den Weltrekord unterbieten: 2:02,57 Stunden. Die Bestzeit des Olympiasiegers aus Kenia steht seit seinem Sieg beim London-Marathon 2016 acht Sekunden über dieser Bestzeit. Doch weder Kipchoge noch sein Trainer Patrick Sang sind bereit, vom Weltrekord zu sprechen. „Ich will ein gutes Rennen laufen“, sagt Kipchoge in Berlin. „Ich bin die Distanz in 2:00:25 Stunden gelaufen; für mich ist das Weltrekord.“ Offiziell anerkannt ist die Zeit nicht. „Wir sagen: Er wird sein Bestes versuchen. Er wird versuchen, persönliche Bestzeit zu laufen“, sagt Sang. „Wenn man sich auf den Weltrekord konzentriert, beschränkt man seine Möglichkeiten. Wir sind hergekommen, um seinen Fortschritt zu maximieren. Wenn’s der Weltrekord wird, soll es so sein. Dann ist das kein limitierender Faktor. Dann kann er morgen wieder versuchen, seine Zeit zu verbessern.“

Der Weltrekord als Beschränkung? Für den 33 Jahre alten Kipchoge und seinen zwanzig Jahre älteren Trainer ist dies keine gedankliche Konstruktion allein, sondern Erfahrung. Bei dem Projekt „Breaking2“ seines Sponsors Nike ist Kipchoge im Mai 2017 auf der Formel-1-Strecke von Monza die 42,195 Kilometer, die ein Marathon lang ist, hinter einem Auto und einer Armada von Tempomachern gelaufen. 25 Sekunden über der Zwei-Stunden-Marke – eine ungeheure Leistung, aber eine Art Laborversuch. „Ich habe Eliud noch nie darauf vorbereitet, Weltrekord zu laufen“, sagt Sang. „Er soll versuchen, in jedem Rennen schneller laufen zu können als in dem zuvor. “

Sang ist einer der wenigen kenianischen Trainer mit internationaler Erfahrung. Mit einem Sport-Stipendium hat er in Texas studiert und in Iowa seinen Abschluss in Städtebau gemacht, hatte als Hindernisläufer acht Jahre lang seinen Lebensmittelpunkt in der Schweiz. Bei den Weltmeisterschaften von Tokio 1991 und von Stuttgart 1993 wie bei den Olympischen Spielen von Barcelona 1992 gewann er die Silbermedaille. „Der Sport hat mir so viel gegeben: Ich habe die Welt gesehen. Ich bin als Athlet und als Mensch gewachsen“, sagt er. „Dafür möchte ich etwas zurückgeben.“ Für seine Athleten ist Sang mehr als ein Trainer. „Er hat mich die Moral des Lebens gelehrt“, sagt Kipchoge, „mich wirklich zu konzentrieren, glücklich zu sein und nicht vom Weg abzukommen. Er ist mein Mentor, mein Coach im Sport und mein Coach im Leben.“

Da ist es umso erstaunlicher, wie nüchtern der Trainer ihre ersten Begegnungen vor siebzehn, achtzehn Jahren in Kapsisiywa beschreibt. Von Talent ist keine Rede: „Zuerst fiel mir seine Beharrlichkeit auf“, erzählt Sang in Berlin. „Er ging einfach nicht weg.“ Eliud war einer von vielen Jungs, die den erfahrenen Läufer um Rat für ihr Training baten. Sang war großzügig. Wer immer fragte, bekam einen Trainingsplan für die nächste und übernächste Woche. „Eines Tages fragte er: Was soll ich machen bis zur kenianischen Meisterschaft? Und ich sagte: Du startest bei der Meisterschaft? Wer bist du?“ Es war der Beginn einer engen Partnerschaft. 2003 wurde Kipchoge in Paris Weltmeister über 5000 Meter, mit neunzehn. Die Karriere auf der Bahn ist die Grundlage seiner jetzigen Erfolge. So ist es auch bei Sang. Als Trainer lernte er fünf Jahre lang im High Performance Centre des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF in Nairobi. „Ich coache nicht. Ich teile“, sagt er. „Und ich lerne von Eliud. Vor allem die Stärke seines Willens. Er ist einer der wenigen Athleten mit einem so starken Willen. Der Kopf ist wichtiger als Talent, stärker als Beine und Herz.

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 15.9.2018

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

 

author: GRR