Regensburg, 14. August 2018 (orv) – „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ sang Rudi Carell in seinem berühmten Schlager schon vor Jahrzehnten und jedes Mal wurde er zitiert, wenn es mal in den warmen Monaten des Jahres richtig viel regnete.
In diesem Jahr war es dann richtig Sommer, von Mai bis August. Regen war in ganz Deutschland eher Mangelware. Was für viele einfach nur schön war, bereitete Ausdauersportlern große Probleme. Dauerlauf bei 30 Grad und strahlendem Sonnenschein ist alles andere als erquickend. Für solche, die auch noch gute Wettkampfergebnisse abliefern sollen, kann so ein Sommer geradezu eine Qual sein.
Disziplinen wie 10.000m auf dem Kunststoffoval verdorren unter solchen Bedingungen geradezu. Bei der traditionell fehlenden Flexibilität vieler Wettkampforganisatoren klappt es dann halt auch nicht „abends“ um 19 Uhr, wenn die Sonne immer noch am Himmel steht, das Thermometer noch 28 Grad und mehr anzeigt und eine warme Brise durchs erhitzte Stadion huscht. Die Langstreckenspezialisten aus Regensburg haben dafür eine Lösung gefunden.
Die Formel heißt ganz einfach: Spät abends nach Sonnenuntergang unter Flutlicht und eingeschlafenen Sonnenwinden. In diesem Jahr hatten sie am 23. Juni richtig Glück. Sie erwischten einen der wenig kühleren Tage. Beim ersten Startschuss um 22.00 Uhr waren es gerade noch einmal zirka 12-13 Grad bei absoluter Windstille und sauerstoffreicher Luft.
Das Ergebnis konnte sich sehen lassen. Auf der idyllisch gelegenen neuen Kunststoffbahn am Oberen Wöhrd liefen die Damen wie auch die Herren das schnellste Rennen, das in diesem Jahr auf deutschem Boden auf dieser Distanz stattgefunden hat, einschließlich der nationalen Meisterschaften. Beim schwachen Geschlecht bleiben gleich drei junge Damen deutlich unter der vom DLV geforderten EM-Norm von 32:55,00 Minuten. Angeführt wurde das Trio von der späteren Vierten von Berlin, Alina Reh, die eine lupenreine 32:17,17 ablieferte. Auch bei den Männern blieb Lokalmatador Philipp Pflieger im Kampf mit dem deutschen Halbmarathonmeister Karsten Meier in 28:41,75 Minuten deutlich unter der geforderten EM-Norm. Es war und blieb die drittbeste Leistung eines deutschen Langstrecklers in 2018.
Die Verlängerung des Qualifikationszeitraumes für die Europameisterschaften einschließlich des Regensburger Rennens hatte sich also gelohnt. Schon in all den Jahren zuvor hatten die Regensburger Organisatoren nicht nur bei der alljährlichen Sparkassen-Gala sondern auch bei vielen anderen Events bewiesen, dass sie wissen, wie die Lauferei tickt. Für sie selbst war’s ein Erfolg mit allerlei Schmerzen. Zum einen, weil Alina Reh und Anna Gehring, die mit 32:20,37 Minuten, die noch blutjunge Miriam Dattke von der veranstaltenden LG Telis Finanz aus dem EM-Aufgebot kickten, zum anderen, weil Männersieger Philipp Pflieger trotz erfüllter Norm dann im 10.000m Aufgebot fehlte. Diese Leistung passte ganz einfach nicht ins Nominierungsprofil des Verbandes.
Dass dieser nach dem Rennen den Doppelstart im Marathon und über 10.000m in Berlin wollte ist die eine ganz andere Sache. Das ist und war schwer nachvollziehbar, aber laut Text, der am 23. Juni in den Nominierungsrichtlinien des Deutschen Leichtathletik-Verbandes stand, war dem wenig entgegen zu halten. Formaljuristisch aber dann wohl doch, weil das Darmstädter Amtsgericht dem Verband beim geführten Nominierungsstreit eine Ermessensgrundlage auf der Basis folgendem Wettkampfprofils einräumte: „Wettkämpfe sind nur dann normtauglich, sofern mindestens drei OK/PK/NK1(U23)- Kaderathleten in der Disziplin oder gleichwertige Konkurrenz im unmittelbaren Vergleich gegeneinander angetreten sind“.
Vom Sportlichen her gesehen mag dieser Satz richtig sein, wenn zum Beispiel Diskuswerfer auf einer berüchtigten windanfälligen Segelwiese und Ausschluss jegliche adäquaten Konkurrenz Fabelweiten erzielen. Für den Lauf über anstrengende 25 Bahnrunden gilt hingegen absolut das Gegenteil. Wer die Zeit ohne Konkurrenz quasi in Alleingang erzielt, kann durchaus für sich in Anspruch nehmen, dass er in einem qualitativ hoch stehenden Rennen mit adäquater Konkurrenz noch weitaus schneller gelaufen wäre. Zweierlei Maß für zwei Rennen über die gleiche Distanz, bei gleicher Organisation und gleicher Zeitmessungstechnik sollte es dann eigentlich nicht geben. Allein die Zeit kann eine definitiv richtige Aussage über die Qualität des Athleten geben.
Da gibt es kein Wenn und Aber: Philipp Pflieger lief also unter schlechteren Bedingungen als alle seiner deutschen Konkurrenten die drittbeste Leistung eines deutschen Läufers in diesem Jahr. Er hatte damit die Voraussetzungen für eine EM-Nominierung hundertprozentig erfüllt.
Apropos Kaderathleten und adäquate Gegner: der Begriff „Gleichwertige Konkurrenz“ ist sehr dehnbar und willkürlich. Aus den letztjährigen deutschen Top-ten waren vier Athleten am Start, Simon Boch und Dominik Notz waren zum Zeitpunkt des Rennens verletzt, Sebastian Reinwand und Philipp Baar in der Marathonvorbereitung für Berlin, Amanal Petros und Richard Ringer bereits für die EM qualifiziert.
Woher also die Konkurrenz nehmen, wenn nicht stehlen. Zum angesprochenen Kader wäre dann noch zu sagen, dass sich in den Top-ten 2017 neben den angesprochenen Petros und Ringer nur noch Tobias Blum im DLV Kader Langstrecke befanden. Auch unter den zehn Besten der aktuellen Bestenliste 2018 findet man nur drei Läufer aus dem Langstreckenkader. Ein primäres Qualitätsmerkmal ist also die Kaderangehörigkeit nicht.
Wie wenig ausreichend der DLV im Nachhinein wohl seine eigenen Nominierungsrichtlinien hielt, beweist schon allein die Tatsache, dass er jene Forderung, dass nur ausgesprochene Medaillenkandidaten Anspruch auf einen Doppelstart haben können, erst nach Nominierungsschluss am 1. Juli hinzufügte.
Regelkonform ist das dann auch wieder nicht. Für all das unnötige Nominierungsdurcheinander sieht Laufexperte Lothar Pöhlitz, bis 1998 leitender Bundestrainer Lauf und Herausgeber von drei Laufbüchern, folgenden Ansatz: Es muss für die Läufe eine Wettkampfstruktur geschaffen werden, die es ermöglicht, dass die Topathleten der verschiedenen Disziplinen – bei entsprechend anspruchsvollen Veranstaltungen, auch in organisierten Rennen – die es ja gegenwärtig nicht gibt, mehrfach (bei 800 m natürlich öfter als bei 5000m) gegeneinander laufen „müssen“.
Kurt Ring, Trainer vieler erfolgreicher Langstreckler/Innen, sieht das noch ein bisschen spezieller: „Es muss am Ende des Qualifikationszeitraumes eine Ausscheidung der bis dorthin besten zehn oder auch 15 Läufer/Innen geben, die in einem Einladungswettkampf des DLVs die drei Plätze für die internationalen Meisterschaften auslaufen, sofern sie im Besitz der internationalen Norm sind.“
Quelle: orv – LG Telis Finanz Regensburg
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