Henrik Ingebrigtsen set a world leading 5000m time in Oslo on Monday (29) evening - Photo: Victah Sailer@PhotoRun
Leichtathletik-EM BERLIN 2018 – Die Familie Ingebrigsten und der gruselige Dopingverdacht – Von KLAUS BLUME
Timo Benitz‘ Gesicht verzog sich zu einem einzigen Fragezeichen. Er könne sich nicht erklären, warum der Norweger Filip Ingebrigsten nach einem Sturz im zweiten Vorlauf über 1500 Meter einen dreißig Meter langen Rückstand ruckzuck auf- und dann auch noch das gesamte Feld überholt habe.
Auf den letzten drei Metern habe er dann seine Schritte gestoppt, weil ihm Platz drei, vor Benitz, genügt hätten, um am Freitag das Finale zu bestreiten.
Nur Minuten später bummelte Filips erst 17-jähriger Bruder Jakob fast schon aufreizend lässig am Ende des Feldes, um dennoch mühelos Zweiter zu werden.
Geht das alles wirklich mit rechten Dingen zu? „Dieser ständige Verdacht ist gruselig“, bekannte Henrik, der dritte der laufenden Ingebrigtsen-Brüder, kürzlich im norwegischen Privat-Fernsehen TV2.
Auch der ständige Verdacht, ihr Vater, zugleich auch ihr Trainer, sei eigentlich Arzt und verheimliche das, sei völlig aus der Luft gegriffen. Ihr Vater sei vielmehr Autodidakt, der um jeden Arzt einen großen Bogen mache.
2017 seien er und sein Bruder Filip ungefähr 25 Mal getestet worden. Alles sei in Ordnung gewesen.
Dass dennoch das Mißtrauen in einem Lande, in dem der Ausdauersport, ob auf der Tartanbahn oder dem Rennrad, auf Schlittschuhen oder Skibrettern, besonders hoch im Kurs steht, auch besonders groß ist, kommt ja nicht von ungefähr.
Die beiden überragenden Skilangläuferinen der letzten Jahre, Marit Björgen und Therese Johaug, fielen schließlich nicht nur durch ihre ständigen Siege, sondern auch durch ihre negativen Schlagzeilen auf. Björgen aufgrund einiger Herzattacken, Johaug durch ihre Dopingsperre.
Als Petter Northug, vielleicht der talentierteste Skilangläufer überhaupt, öffentlich bekannte, jeder Jugendläufer würde in Norwegen, ob er wolle oder nicht, sogleich mit einem Asthmamittel versorgt, wurde er vom Verband nicht mehr berufen.
An seiner Stelle raste im letzten Winter ein 21-Jähriger derart durch alle Loipen, das den hochgelobten Konkurrenten Hören und Sehen verging. Der 21-Jährige, Johannes Klaebo, erzählte dann, sein Großvater sei sein Trainer und habe ihn mit zwei Jahren auf die Bretter gestellt, die die Welt bedeuten. Und wenn Großvater mal in Sachen Training nicht weiter wüsste, würde er mit einem alten weisen Mann hochdroben in Finnland telefonieren . . .
In der Leichtathletik haben wir es nicht mit Johannes Klaebo, sondern vor allem mit Jakob Ingebrigsten zu tun, der am 27. Mai 2017, also mit 16 (!) Jahren, in Eugene (USA) erstmals die englische Meile (1609 Meter) schneller als in vier Minuten zurücklegte – was zuvor niemand Jüngerem gelungen war.
Übrigens: Am 20. Juli 2018 lief dieser „Wunderjunge“ die 1500 Meter, wohl als Probe für die Europameisterschaften in Berlin gedacht, mal flugs in 3:31,18 Minuten. Man müsse ja schließlich gerüstet sein, habe der Vater gesagt.
Dieser Vater, Gjert Ingebrigtsen, 51 Jahre alt, gerät selten ins Schwärmen, wenn er von seinen Kindern erzählt. Auch dann nicht, als das Gespräch auf seine elfjährige Tochter Ingrid gelenkt wurde, die doch wohl ein besonderes Lauf-Talent sei.
Der Mann sagte, das sei wohl so, aber kein Wort mehr. Wer hingegen wissen möchte, warum sein Söhne am Freitag in Berlin über 1500 Meter alle drei Medaillen – Gold, Silber und Bronze – gewinnen werden, bekommt als Antwort einen ganzen Wust an Zahlen und Daten.
Ein Zwiegespräch fällt danach schwer. Und wenn Vater Gjert mal, wie beim Fernsehsender TV2, tatsächlich über seine Familie spricht, klingt das immer ein wenig altväterlich. Seine Stichworte – Treue, Verlässlichkeit, Gelassenheit – wiederholen sich fast schon gebetsmühlenhaft.
Als wir vor Jahren mit einem kundigen -Fremdenführer durch die Ingebrigtsen-Gemeinde Sandnes trotteten, wurde uns erzählt, diese Familie sei fast schon so berühmt, wie die der Annette Obreshad. Unsere Gesichter verzogen sich zu einem einzigen Fragezeichen: Annette, wer?
Unser Fremdenführer schien fast ein wenig beleidigt: “Aber ich bitte Sie, Annette ist doch schon seit 2011 die beste Poker-Spielerin der Welt.“