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21
07
2018

Christina Schwanitz: „Ich liebe mein Kugelstoßen“ - Foto: Victah Sailer

Kugelstoßerin Schwanitz : Eine Sportlerin mit Bärenkräften – Michael Reinsch, Nürnberg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Bei der Leichtathletik-DM will sie voll angreifen, auch bei der Europameisterschaft gilt als Favoritin: Christina Schwanitz ist nach der Geburt ihrer Kinder wieder ganz die Alte – vor allem in Sachen Humor.

Wo im Advent der Christkindlesmarkt stattfindet, wird an diesem Freitag (18.30 Uhr) zum Kugelstoßen Christina Schwanitz erwartet, geboren in Dresden an Heiligabend 1985.

Die Weltmeisterin von Peking 2015 gibt bei der deutschen Meisterschaft ihr Comeback. Diesmal kehrt sie nicht von einer Verletzung zurück, wie so häufig in ihrer langen, schmerzhaften Karriere. Diesmal kommt sie, strahlend und glücklich, als junge Mutter aus der Babypause. Im Juli werden ihre Zwillinge ein Jahr alt.

Im August will Christina Schwanitz in Berlin zum dritten Mal Europameisterin werden. Seit sie in Biberach die vier Kilo schwere Eisenkugel 19,78 Meter weit stieß, ist sie erste Kandidatin auch auf diesen Titel.

Weiter als die Sportsoldatin hat 2018 lediglich die chinesische Weltmeisterin Lijiao Gong (20,38 Meter) gestoßen. Am Donnerstagabend beim Diamond-League-Meeting in Monaco wurde sie mit 19,51 Metern Dritte hinter Gong (20,31) und der Amerikanerin Raven Saunders (19,67).

Im Sommer 2017 Mutter geworden, drei Monate später die Kinder abgestillt und ein weiteres Vierteljahr später wieder ins Training eingestiegen: Die 1,80 Meter große Sächsin ist wieder die Alte – auch in ihrem Humor. Ihr gefalle, dass die Zuschauer verstanden haben, dass auch Kugelstoßen Hochleistungssport ist, ließ sie sich vergangene Woche in einer Pressemitteilung zitieren.

Was ihr nicht gefalle, sei die Vorstellung vieler Leute, wie der Körper einer Athletin auszusehen habe. „Wir Kugelstoßerinnen sind ein bisschen weiter weg von den idealen 90-60-90“, sagte die 105 Kilo schwere Athletin. „Ich kann diese Maße für ein Bein anbieten, aber nicht für meinen ganzen Körper.“

„Es ist ein Privileg, Spitzensportlerin zu sein“

Da ist sie wieder, die Athletin, die 2015, zur Sportlerin des Jahres gewählt, auf der Bühne in Baden-Baden mit dem Moderator eine Pulle Bier kippte und einen schlüpfrigen Witz riss. Die so unglaublich gern und so unglaublich laut lacht.

Die Sportlerin mit Bärenkräften, die sich vor nichts und niemandem fürchtet und die bei den Olympischen Spielen in London 2012 Demut gelernt hat. Vor 80.000 Zuschauern wurde sie Zehnte. Seit sie diese Menschenmasse erlebt hat, Jubel, Anfeuerung, Begeisterung, weiß sie, dass nicht das tägliche Kraft- und Ausdauertraining ihr Dasein als Kugelstoßerin definieren, sondern solche Feiertage: „Seitdem weiß ich, dass es ein Privileg ist, Spitzensportler zu sein.“

Doch selbstverständlich hat sich etwas verändert. An dem Goldkettchen um ihren Hals trägt Christina Schwanitz zwei stilisierte Kinder als Anhänger, einen Jungen und ein Mädchen mit Edelsteinen. Die Namen der Kinder gibt sie nicht preis. „Es gibt zu viele Verrückte“, sagt sie; Privates soll privat bleiben. So war es auch mit ihrer Hochzeit. Die fand nach der Weltmeisterschaft 2013 statt, wo sie Zweite wurde. Wo sie und ihr Mann sich das Jawort gaben, hat sie nie verraten. „Klar werde ich in Weiß heiraten“, sagte sie damals. „Jedes Mädchen möchte einmal Prinzessin sein.“ Fotos hat sie davon nie öffentlich gemacht.

Das private Glück verdankt Christina Schwanitz, paradox, ihrer Bekanntheit. Nach den Olympischen Spielen in Peking 2008 erhielt sie immer wieder E-Mails eines entflammten jungen Mannes. Zunächst empfand sie ihn als aufdringlich, dann ließ sie sich zu einem Treffen überreden. Heute gehört er selbstverständlich zur Ausstattung ihres öffentlichen Lebens. Wenn er, Thomas, nicht von seiner Firma die Möglichkeit erhalten hätte, zu Hause zu arbeiten, sagt sie, wären ihre Trainings- und Wettkampfmöglichkeiten deutlich geringer.

 

Michael Reinsch, Nürnberg in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , Freitag, dem 20. Juli 2018

Michael Reinsch

Korrespondent für Sport in Berlin.

 

author: GRR