Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Eröffnungsfeier Jugend trainiert für Olympia Herbstfinale in Berlin - Foto: DSSS/Sampics
50 Jahre „Jugend trainiert“: Die Zukunft des Vereinssports – Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Es ist ein Glück, dass aus „Jugend trainiert“ nicht die Talenteschau wurde, als die sie intendiert war. Doch dieser Anspruch reicht nicht. Der Wettbewerb braucht eine Reform, die über die Integration paralympischer Wettbewerbe hinausgeht.
Bei diesem Wettbewerb ist die Regenjacke das, was in anderen Wettbewerben die Medaille ist: eine Auszeichnung, die man allein mit Leistung erwerben kann.
„Jugend trainiert für Olympia“ hat am Montag im Olympiastadion von Berlin sein fünfzigjähriges Jubiläum gefeiert, und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verriet den jungen Teilnehmern von Fest und Herbstfinale, wie er sich als Schuljunge in Ostwestfalen eine Jacke mit diesem Logo wünschte.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede – Foto: DSSS/Sampics
Er sprach von der Zeit der deutschen Teilung, als die Zeitschrift „Stern“ es übernahm, einen Gegenentwurf zur Spartakiade der DDR zu entwickeln, die Landessieger nach West-Berlin zu fliegen und zur Party in der Deutschlandhalle Wim Thoelke und das Rias-Tanzorchester zu verpflichten.
Für die Kinder der Einheit ist all dies Geschichte. Steinmeier mahnte, dass Gewinnen nicht alles sei und dass dies wie im Sport auch in Wirtschaft und Politik gelte: „Ganz egal, welchen Herausforderungen ihr euch im Leben noch stellen werdet – bitte bleibt sauber und bleibt fair.“
Das ist ein frommer Wunsch, wie die jüngsten Berichte über den olympischen Spitzensport und seine russische Variante belegen – und damit ist man schon mitten in der Politik. Wenn Staaten sich Olympiasiege zum Ziel setzen, und das tat auch die DDR, als im freien Teil Deutschlands „Jugend trainiert“ entstand, wird’s gefährlich für Athleten. Jahrelange Sperre für Doping erscheint als Gnade im Vergleich zu Spätfolgen der pharmazeutischen Manipulationen, wie sie Tausende erlitten.
Schulmannschaften sind die Zukunft
Es ist ein Glück, dass aus „Jugend trainiert“ nicht die Talenteschau wurde, als die sie intendiert war, drei Jahre vor den Olympischen Spielen von München 1972. Doch reicht es, sich mit dem quasi volkspädagogischen Anspruch zufriedenzugeben, Schülerinnen und Schüler mit Regeln, Leistungsdenken und Mannschaftsgeist bekannt zu machen? Längst braucht der Wettbewerb eine Reform, die über die Integration paralympischer Wettbewerbe hinausgeht.
Dazu gehört nicht nur das Eingeständnis, dass es in diesem Alter und auf dieser Ebene praktisch keine Talente mehr zu entdecken gibt. „Jugend trainiert“ muss den auf Eliteschulen versammelten Höchstleistern und ihren chancenlosen Herausforderern den Wettbewerb ersparen. Top-Athleten haben schon im jugendlichen Alter viel zu viele Einsätze. Die Athleten der besten normalen Schulteams holen sich in den Bundesfinals von Frühling, Herbst und Winter Enttäuschungen, die ihr Engagement in Frage stellen.
Die Teams marschieren bei der Eröffnungsfeier ein – Foto: DSSS/Sampics
Schulmannschaften sind die Zukunft des Vereinssports, nicht Ressource der Olympiamannschaften. Die Ganztagsschule integriert das, was Übungsleiter und Trainer im Klub leisteten, längst in Alltag und Stundenplan. Steinmeier lobte, was daraus resultieren kann: die Stärkung der Schulgemeinschaft, Ermunterung zu lebenslangem Sport und das Erlernen von Regeln und Respekt ohne Ansehen von Herkunft, Religion und politischer Überzeugung.
Die Regenjacke von „Jugend trainiert“ dürfte, wenn der Wettbewerb sich modernisiert, noch einige Jahrzehnte begehrt bleiben.
Ein Kommentar von Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 23. September 2019