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08
12
2020

Startfoto 1977 von der Hohen Sonne. Die Kleidung verrät, dass es ziemlich kalt war.- Foto: Dr. Heinz-Georg Kremer Archiv

50. GutsMuths-Rennsteiglauf – Superlative finden beim Rennsteiglauf kaum ein Ende – Dr. Hans-Georg Kremer

By GRR 0

Unser letzter Beitrag beschäftigte sich mit Bedeutung des GutsMuths-Rennsteiglaufs für die Laufbewegung, insbesondere von Laufgruppen in der DDR.

Er brachte eine Vielzahl von wertvollen Hinweisen von treuen Lesern. Bei der Durchsicht weiterer Archivmaterialien wurde ein Artikel von Heidi Fischer aus der „Jungen Welt“ von 1977 gefunden, der schon damals, drei Jahre nach dem Durchbruch des Rennsteiglaufs als „Massenlauf“, auf einige Besonderheiten einging.

Wir übernehmen ihn hier wörtlich:

„Ein kalter Tag -„aufgewärmt“

Heidi Fischers nachträgliche Referenz an die 5000 Aktiven und ungezählten Helfer des Rennsteiglaufes

Nach mehr als zwei Wochen noch immer: GutsMuths-Rennsteiglauf. Gewiß gehört es nicht zu den journalistischen Alltäglichkeiten, mehr als 14 Tage Altes aufzuwärmen. Aber dieses Rennen ist keine Alltäglichkeit, ist nichts Normales, ist unüblich. Deshalb also auch heute noch: GutsMuths-Rennsteiglauf.

Ich habe diesen Lauf nur gesehen, nicht bestritten, dennoch war das Erlebnis auch auf meiner Seite. Dieses Erlebnis erschöpfte sich nicht in einem Staunen über die Superlative, die der Lauf in hohem Maße bietet: Die mehr als 5000 Teilnehmer – welchen Wettkampf haben wir noch, bei dem die Startliste 104 eng beschriebene Seiten stark ist und sich die Aktiven fast raufen, darauf einen Platz zu bekommen?

Die 75 Kilometer Streckenlänge – sie überbieten die Marathondistanz um fast das Doppelte, und ist nicht Marathon schon ein Extrem? Der Höhenunterschied von etwa 400 Metern in schwerem Gelände – wo sonst noch hat die Ausdauer einen solchen Partner in der Schwierigkeit?

Superlative wie diese finden beim Rennsteiglauf kaum ein Ende; denn zu ihnen rechnen auch die 30 000 Becher Tee, die zu Tonnen addierten Scheiben Wurst und Brot an den Verpflegungsstellen, die mehr als 1000 Kampfrichter, Helfer, Ärzte, Gepäckbeförderer, Teekocher, Startlistenschreiber, Plakettenverkäufer, Würstchenbrater, Waldwegsäuberer…

Das alles trägt bei zum Erlebnis, rundet es ab. Es gibt diesem Lauf sein Flair, verstärkt den Hauch des Besonderen, bildet den Rahmen. Das eigentliche Erlebnis jedoch sind die Läufer. Nicht die Masse, sondern jeder für sich.

Wenn man als Neuling zu diesem Lauf kommt, ist man geneigt, sich auf eine Begegnung mit Sonderlingen einzustellen. Wer rennt schon 75 Kilometer über den Rennsteig, über Großen Inselsberg zum Beerberg? Wer steht schon gern des Nachts 1.00 Uhr auf, um dann Stunden später frierend am Start zu stehen? Wer reibt sich denn aus Spaß die Füße blutig und läuft trotzdem weiter, drei Stunden, vier, auch sieben…?

Wer bezahlt dann das ganze Abenteuer auch noch aus eigener Tasche, das Benzin für die Reise, die 25 Mark Startgeld, den Tag Urlaub? Man vermutet vielleicht auch, Heldentum anzutreffen und Tausendsassas, die sich selbst auf die Schulter klopfen: „Was bin ich doch für ein Kerl…“ Nichts von allem. Die Motive der Läufer sind viel weniger skurril und viel weniger laut.

Es ist die Freude an einem Test der eigenen Leistung, der Spaß daran, sich selbst, sich vor sich selbst bestätigt zu finden. Andere steigen für dieses Gefühl über senkrechte Felswände auf einen Gipfel, wieder andere basteln nächtelang unter laienhaften Bedingungen an einer komplizierten, technischen Apparatur. Und jene eben laufen 75 Kilometer über den Rennsteig.

Ihre Freude daran ist das eigentliche Erlebnis. Sie wissen um die Quälerei, die damit verbunden ist, sie lächeln, wenn sie es hinter sich haben und mit- steifen Knien davonhumpeln, das ist ihr Enthusiasmus.

Sie kommen von überall her. Sie haben kein territorial gebundenes Hobby. Eine gründliche Auswertung des vorjährigen Rennsteiglaufes (die diesjährige liegt bei der Dimension des Teilnehmerfeldes noch nicht vor) ergab, daß alle Bezirke der DDR vertreten waren. Dabei stellte der Veranstalterbezirk Suhl mit 18,5 Prozent die größte Schar, aber der am weitesten entfernte, Rostock, war mit immerhin 2,9 Prozent noch gut vertreten.

Interessanter ist die Altersstruktur. Ein Junge lief mit, der noch nicht einmal 10 Lenze zählte, und ein Opa von 81 war auch dabei. Nun gut, Extreme sind attraktiv, aber nicht allein aussagekräftig. Nehmen wir die Masse, die größte Häufung hatten die Jahrgänge zwischen 30 und 40 mit 35,10 Prozent aller Läufer, und auch das Durchschnittsalter lag in diesem Bereich.

Diese Zahlen lassen einen nachdenkenswerten Schluß zu. Der Motor der Laufbewegung sind die über 30, sind die, die nicht mehr im Überschwang jugendlicher Kraft aus dem vollen schöpfen können, sondern die vielleicht erste Anzeichen eines Leistungsabbaus bemerkt haben und nun durch regelmäßiges Dauerlaufen diesem Abbau entgegenwirken.

Auch eine andere Statistik läuft auf eine ähnliche Schlußfolgerung hinaus, die Aufstellung der Berufsgruppen. Fast die Hälfte der vorjährigen Rennsteigläufer (45,14 Prozent) gehen Intelligenzberufen nach, und obgleich der 1977er Jahrgang noch nicht ausgewertet ist, lassen sich Anzeichen für diese Tendenz auch im diesjährigen Wettkampfprotokoll finden.

Der Sieger des 38-Kilometer-Laufes war Dr. Günter Tomaselli, ein Dozent an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Im 75-km-Lauf der 36- bis 45jährigen tauchten auf der ersten Seite der Ergebnisliste ein Dr. Lange aus Weimar, ein Dr. Manske aus Pirna, ein Dr. Priesemuth aus Potsdam, ein Dr. Klingelstein aus Zschorlau, ein Dr. Beyer aus Wolmirstedt und ein Dr. Bindel aus Erfurt auf. Damit soll aus dem Rennsteiglauf beileibe kein Treffen der Akademiker gemacht werden. Aber es ist doch bezeichnend, daß das regelmäßige Laufen in diesen oft bewegungsarmen Berufen als wertvoller Ausgleich und Kraftspender betrachtet wird.

Darin hat der Rennsteiglauf als ein Teil unserer Laufbewegung seinen eigentlichen Wert. Darin liegt auch die Berechtigung, ihn nach 14 Tagen noch einmal „aufzuwärmen“. Denn diejenigen, die vor zwei Wochen über den Rennsteig gelaufen sind, warten nun nicht in tatenloser Geruhsamkeit auf den nächsten. Sie bereiten sich auf ihn vor. Im wahrsten Sinne des Wortes – laufend.“

Heidi Fischer hat im Laufe der Zeit mindestens noch sieben weitere Artikel zum Rennsteiglauf geschrieben, darunter für einige renommierte Zeitungen.

Hier eine kleine Aufstellung:

Mehr als 5000 am Rennsteig. In: Deutsches Sportecho vom 23.05.1977; Erst eine Handvoll- dann 5000. In: Der Leichtathlet. Heft 22, Berlin 02.06.1977 S.3; Sie rennen und laufen meilenweit. Wochenpost. Heft 24, Berlin 1980; Rennsteig- Lauf 90. In: Olympisches Feuer. Heft 4, Frankfurt 1990 S.14- 17; Familienfest, Wiedersehensfeier und Herausforderung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21.05.1990.

Heidi Fischer stützte sich bei ihren Aussagen auf Informationen der Rennsteiglauforganisatoren, die in Presseinformationen bekanntgegeben wurden. Der Bereich „Agitation und Propaganda“ des Organisationsbüros hatte schon 1975 begonnen statistische Daten im Rahmen der Anmeldungen zu erheben.

Diese Daten wurden bis Mitte der 1980er Jahre modifiziert und teilweise sogar beim Kombinat Robotron Zella-Mehlis, zusammen mit den Start- und Zielunterlagen datenmäßig erfasst und ausgewertet.

        Hier eine Meldekarte von 1980

 

 

 

 

1977 war übrigens einer der Läufe, der neben der Teilnahme von „Täve“ Schur durch extrem schlechtes Wetter im Gedächtnis geblieben ist. Vom Start ab gab es durchgängig feinen Nieselregen, teilweise starker Nebel und das Thermometer stieg nicht über 4°C.

Auch beim Start in Steinheid bestimmte dichter Nebel und Nieselregen das Wetter.

Das Siegerfoto vom Fotowettbewerb deutet ebenfalls die Kälte an diesem Tag an.

Spätestens ab dem Herbst 1977, als die Rennsteiglauforganisatoren ihr erstes aber einziges „Wissenschaftliches Kolloquium“ in Zella-Mehlis organisierten, beschäftigte sich der Bereich „Agit. Prop.“ des Organisationsbüros mit der Koordinierung von Laufveranstaltungen.

Es begann mit der Sammlung von Ergebnislisten

GutsMuths -Rennsteiglauf           7114
Harzgebirgslauf Wernigerode            2175
Jenaer Kernberglauf                             978
Kyffhäuserberglauf                               741
Burgenlauf Belzig                                 738
Flößgrabenlauf                                      587
Heidelauf Bad-Düben                          584
Eisenberger Mühltallauf                     534
Sachsenhausen-Gedenklauf              438
Geraer Silvesterlauf                            438
Stauseelauf KMST                               397
Lange Bahn Schmeheim                    342
Stendaler Elbelauf                              318
Saaletallauf Jena                                288
Buchenwald-Gedenklauf                  287
Göltzschtal-Marathon                       276
Ruppberglauf Zella-Mehlig              275
Hubertuslauf                                       271
Quer durch die Dresdener Heide    256
Straßenlauf Weißensee                     230
XIII. Harzlauf von Thale                   227
Kleiner Rennsteiglauf                       221
Greizer Straßenlauf                           220

Von den 23 erfassten Läufen, waren in der Spitzengruppe bis zum Eisenberger Mühltallauf  nur Veranstaltungen, die eindeutig in Folge bzw. in Anlehnung an den GutsMuths-Rennsteiglauf organisierte wurden.

1982 ist eine erste Auswertung zur Laufbewegung in der DDR zusammengestellt und in hektographierter Form publiziert worden.

Daraus nachfolgend einige Auszüge:

Läufe mit abwechslungsreichem Profil, in waldreichen Gebieten, auf Wald- oder Wiesenwegen haben die meisten Teilnehmer…

„Die volkssportliche Laufbewegung in der DDR hat sich in den letzten 10 Jahren rasch entwickelt. Statistische Untersuchungen zeigen, daß im Zeitraum von 1970 bis 1980 jährlich eine Verdoppelung der regelmäßig laufenden Werktätigen festgestellt werden kann…1981 beteiligten sich ca. 100.000 Erwachsene an über 400 Laufveranstaltungen in der DDR.. Am beliebtesten sind Streckenlängen zwischen 15 und 30 km. Gelaufen wird auf Straßen und im Gelände. Lä Am beliebtesten sind Streckenlängen zwischen 15 und 30 km. Gelaufen wird auf Straßen und im Gelände. 

Einige statistische Zahlen des Jahres 1981.

Die bekanntesten Läufe waren:

GutsMuths-Rennsteiglauf        7938
Zittauer Gebirgslauf                  4490
Harzgebirgslauf                          3240
Cottbuser Oktoberlauf              1417
Stauseelauf Karl-Marx-Stadt  1097
Sachsenlauf                                1060
Jenaer Kernberglauf                 946
Lichtenberger Marathon         850
Städtelauf Jena – Gera             839
Heidelauf Bad-Düben             768
Geraer Silvesterlauf                742
Eisenberger Mühltallauf        679
Willi-Sänger-Gedenklauf      649
Burgenlauf Belzig                   631
Lange Bahn Schmeheim       621
Müritzlauf                               605

Die durchschnittlichen Teilnehmerzahlen pro Lauf waren:

1979 = 204
1980 = 224
1981 = 322

Laufveranstaltungen mit mehr als 300 Teilnehmern:

1979 =  11
1980 = 16
1981 = 31

Interessant ist die Altersstruktur der Ausdauerläufer in der DDR. Mehr als 50 % liegen im Altersbereich von 35 bis 55 Jahren. Die Sozialstruktur hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich verändert.

Ca. 40 % der Läufer[1] sind Arbeiter, 35 % Intelligenz (vor allem Ingenieure und Techniker), 10 % Angestellte, der Rest kommt aus anderen sozialen Bereichen.

10 % der Ausdauerläufer sind Frauen.

Durch kontinuierliche Entwicklung von Laufgruppen und die ständige Erweiterung des Wettkampfangebotes auf Kreisebene sollen in den nächsten Jahren noch mehr Menschen für das gesundheitsfördernde Laufen gewonnen werden.“

Bis Mitte der 1980er Jahre wurde versucht, teilweise unter Zuhilfenahme der „Bezirksmeilen Komitees“, Termine zwischen den Läufenzu  koordinieren, um Konkurrenz untereinander auszuschließen. So galt der Zeitraum um Mitte Mai für den Rennsteiglauf vorbehalten. zwischen dem Kernberglauf und dem Harz-Gebirgslauf wurde vereinbart, dass man auf das erste bzw. letzte Wochenende der Herbstferien ging.

 

Auch Versuche der gemeinsamen Herstellung von Werbemitteln, Startnummern und Souvenirs gab es. 1981 wurde ein Wandkalender auf Glasseidentapete gedruckt.

Für die Herstellung von Aufklebern konnte sogar das Hygiene-Museum Dresden als Partner gewonnen werden, das sich an der Finanzierung beteiligte. Dafür wurde dessen Gesundheitslogo mit aufgenommen.

 

 

 

 

Der GutsMuths-Rennsteiglauf wurde insgesamt ein wichtiger Partner für Laufveranstalter in der DDR. Es wäre interessant mal zu ermitteln, welche Läufe noch heute von dieser Zusammenarbeit profitieren.

Dr. Hans-Georg Kremer

[1] Mit der Zuzählung aller Armee und Polizeiangehörigen zur Gruppe der Arbeiter konnte deren Zahl deutlich erhöht werden, was aus den Vorgaben des DTSB-Bezirksvorstands Suhl gewünscht wurde,

Dr. Hans-Georg Kremer
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author: GRR