Mauerfall Berlin 9. November 1989 - Foto: Horst Milde
30 Jahre nach dem Mauerfall 1989: Vom Ende der „Kalendergespräche“ – Prof. Detlef Kuhlmann in der DOSB Presse
Im November feiern wir den 30. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin. Der 9. November 1989 ist auch ein sporthistorisches Datum für eine neue Zeitrechnung in Sportdeutschland – auch wenn es die Bezeichnung Sportdeutschland damals verständlicherweise noch gar nicht gab.
Bis zum Fall der Mauer hatten nämlich der Deutsche Sportbund (DSB) als Dachverband des organisierten Sports in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und Deutsche Turn- und Sportverband (DTSB) der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) Art und Umfang ihrer Sportbeziehungen wesentlich im Format der sog. „Kalendergespräche“ geregelt.
Bei diesen Konferenzen saßen sich mehrköpfige Delegationen des DSB und des DTSB gegenüber und wählten bezogen auf das jeweilige Kalenderjahr eine Anzahl von Sportbegegnungen vorzugsweise zwischen Sportvereinen in der BRD und in der DDR aus. Das war jedoch immer nur eine Teilmenge aus dem reichlichen Angebot, das die DSB-Delegation gegenüber den DTSB-Oberen mit an den Verhandlungstisch brachte.
Erst der Mauerfall machte nach dem 9. November 1989 den freien Sportverkehr möglich …
Wie sich erst später herausstellen sollte, war das „Kalendergespräch“ zwischen DSB-Präsident Hans Hansen (1926-2007) und Klaus Eichler (geb. 1939) als Präsident des DTSB der DDR im Januar 1989 in Ost-Berlin das letzter dieser Art. In seinem mündlichen Bericht auf der 35. Sitzung des Hauptausschusses des DSB am 10. Juni 1989 im Schöneberger Rathaus von Berlin hatte Hans Hansen den Anwesenden über den ausgehandelten Sportverkehr noch verkündet:
„Dazu gehörten 60 internationale, 48 bilaterale – einschließlich Städtepartnerschaften – und 4 Trainingslager. Am Ende des Jahres werden es – allerdings nur mit Hilfe der inzwischen über 55 Städtepartnerschaften – wohl 150 Begegnungen sein. Diese Steigerung ist, wenn wir ehrlich vor uns selber sind, nur ein Tropfen auf den heißen Stein der Wünsche aller Sportler und Sportlerinnen von hüben und drüben“.
Dass mit dem 9. November 1989 noch ganz andere Wünsche der Menschen in Ost und West in Erfüllung gingen, ist hinreichend bekannt – „live-historisch“ klingt das dann so: „Als die Mauer fällt, gibt es für die Sportler kein Halten mehr. Eine Deutschlandfunk-Umfrage unter Besuchern aus der DDR auf der Kölner Domplatte am ersten Wochenende der offenen Grenzen ermittelt den Wunsch nach gemeinsamem Sporterleben ganz oben auf der Hoffnungs-Skala. Mit Energie und Phantasie geht man ans vereinte Werk.
Im hessischen Grenzort Friedewald trifft man sich am 11. November bereits in Freundschaft zum ersten deutsch-deutschen Fußball-Vergleich“, schreibt Herbert Fischer-Solms (geb. 1946), der langjährige Sportjournalist beim Deutschlandfunk, über den Ost-West-Sportverkehr zu Zeiten der DDR bzw. kurz nach der Wende im Buch aus Anlass des 50-jährigen Bestehens des DSB (Titel: „Der Sport – ein Kulturgut unserer Zeit“, Redaktionsleitung: Harald Pieper und Karl Adolf Scherer).
Mit dem Mauerfall ging eine Ära zu Ende, die in den 1950er Jahren mit dem „gesamtdeutschen Sportverkehr“ begann. Die politisch korrekte Terminologie wechselte sodann auf „innerdeutschen Sportverkehr“ in den 1960er Jahren. Der DSB sprach ab den 1970er Jahren vom „deutsch-deutschen Sportverkehr“, während auf Seiten des DTSB stets ein „internationaler Sportverkehr“ abgewickelt wurde.
Stellt sich nur noch die Frage: Was war eigentlich mit Berlin? Dazu hatte seinerzeit DSB-Generalsekretär Karlheinz Gieseler (1925-2010) ein Vertragswerk konzipiert, das den Berliner Sport zum DSB zugehörig deklarierte. Allerdings musste – so schreibt Herbert Fischer-Solms weiter – der DSB für den deutsch-deutschen Sportkalender hinnehmen, dass die von den Delegationen ausgewählten Sportbegegnungen in Ost-Berlin die Ortsmarke Berlin führten und jene in West-Berlin den Zusatz des Stadtteils erhielten (z.B. Berlin-Zehlendorf oder Berlin-Tegel).
Welche Erfahrungen haben die Menschen in der BRD und DDR bei diesen Sportbegegnungen gemacht? Vermutlich ist das bis heute ein vernachlässigtes Thema deutscher Sportgeschichtsforschung – mehr noch: Wie haben sich wohl „offizielle“ DSB-DTSB-Begegnungen vor der Maueröffnung danach „informell“ weiterentwickelt? Gibt es vielleicht sogar noch „Sportfreundschaften“ von damals, die bis heute existieren?
Chronist Fischer-Solms schreibt davon, dass stets „tiefgreifende und unvergessliche, wenn auch höchst unterschiedliche Erfahrungen“ gemacht wurden. Es muss demnach sowohl „beglückende“ als auch „bedrückende“ Momente hier und da gegeben haben. Und ein (Dankes-) Brief aus der DDR soll mit Aufforderung „Weitermachen, nicht müde werden“ geendet haben.
Weitergemacht wurde jedenfalls auf beiden Seiten in Ost und West. DSB-Präsident Hans Hansen spricht schon auf dem Hauptausschuss im Juni 1990 in Travemünde: „Aus den vorsichtig geschätzten 4.000 Begegnungen sind bis zum 20. Mai insgesamt 7.200geworden“.
Dabei ist es dann auch geblieben, denn mit diesem Datum endete der offiziell über die beiden Sport-Dachverbände geregelte und von den staatlichen Seiten abgesicherte Sportverkehr in Deutschland. Die Sportlerinnen und Sportler konnten fortan ein freies und vereintes Spielfeld betreten … ohne Reisepass, Grenzkontrollen, Passierschein, Einreisegenehmigung etc.
Prof. Detlef Kuhlmann in der DOSB Presse