1968 im Sport - Foto: Arete Verlag - Hildesheim
1968 und der Sport : Das Jahr, das nie zu Ende ging – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
1968 war weit mehr als die Spiele von Mexiko-Stadt: Sport wurde Lebensart und Erfolg zum ökonomischen Imperativ. Es war ein Jahr, das in vielerlei Hinsicht Geschichte schrieb. Doch es hatte auch eine Schattenseite.
1968 war der Beginn des modernen Sports. Nicht nur sprangen Bob Beamon und Dick Fosbury bei den Olympischen Spielen von Mexiko geradewegs in die Zukunft. Nicht nur ist der Protest schwarzer Athleten gegen den Rassismus in ihrer Heimat Amerika heute so aktuell wie der von Tommie Smith und John Carlos auf dem Siegerpodest vor fünfzig Jahren, wie der von Arthur Ashe auf den Tennisplätzen der Welt.
Sport schwang sich, nicht zuletzt durch die nächtlichen Direktübertragungen aus Mexiko, zu dem Programm auf, das dem Fernsehen und seinen Zuschauern am teuersten ist.
Es machte seine Helden zu Stars und Celebrities. Mexiko, in der Überzeugung wirtschaftlich und politisch zu den Industrienationen der Welt aufzuschließen, übernahm sich mit den Olympischen Spielen und der Fußball-Weltmeisterschaft 1970 und hätte den Brasilianern als Warnung dienen sollen, die nach der Fußball-WM 2014 und den Sommerspielen von Rio zwei Jahre später sich einen ähnlich bösen Kater einhandelten.
Namen sind damals Nachrichten geworden. Schnellinger gegen Seeler, das war das 2:0 des AC Mailand mit seinem weltläufigen deutschen Verteidiger im Europapokal der Pokalsieger über den Hamburger SV mit seinem treuen Stürmer, „uns Uwe“. George Best, Europapokalsieger mit Manchester United, wurde mit seinem Spiel und seinen Eskapaden so berühmt, als wäre er der fünfte Beatle, als den ihn manche Journalisten beschrieben.
Der Stern von Pelé stand hoch am Himmel, der von Johan Cruyff und der von Franz Beckenbauer ging auf. Der ewige Libero war damals noch ein talentierter Mittelfeldspieler, wurde zum ersten Mal zum Fußballer des Jahres gewählt, obwohl seine Bayern eine eher schlechte Saison spielten und gegen Meister, besser: Meistermacher Merkel und seine Nürnberger 3:7 und 0:2 verloren. Merkel personifizierte die Gegenposition zum Aufbruch der Achtundsechziger. Er prahlte, dass er seine Spieler täglich die Peitsche spüren lasse.
„Züchten wir Monstren?“
Die Welt von gestern und der Sport von vorgestern waren 1968 längst nicht überwunden. Bei den Winterspielen von Grenoble – damals noch im selben Jahr wie die Sommerspiele – gewann der Skifahrer Jean-Claude Killy drei Goldmedaillen und schloss damit zu Toni Sailer auf, dem dies zwölf Jahre zuvor in Cortina gelungen war. Killy musste seine Karriere beenden, um den Erfolg vermarkten zu dürfen. Ashe gewann das Turnier von Forrest Hills und muss das Preisgeld, weil Amateur, dem Besiegten überlassen.
Mit einem prächtig illustrierten Taschenbuch – oder ist es ein klug kommentierter Bildband? – erinnert der Arete Verlag an das Sportjahr, das bis heute nicht zu Ende gegangen zu sein scheint, so viele Bekannte und so viel Bekanntes begegnet uns darin.
Brigitte Berendonk, damals Olympiateilnehmerin im Kugelstoßen, erinnert daran, dass sie nach ihrer Rückkehr aus Mexiko in einem Zeitungsartikel vor der Virilisierung von Mädchen und Frauen warnte: „Züchten wir Monstren?“ 1968 war das Jahr, in dem die Zeitschrift Science eine Studie über Kraftentwicklung von Studenten und Studentinnen durch anabole Steroide veröffentlichte. Sie wirkte wie eine Aufforderung für die Ahnungslosen und wie eine Bestätigung dessen, was längst Besitz ergriffen hatte vom Sport.1968 im Sport. Eine historische Bilderreise. Arete Verlag Hildesheim, 124 Seiten, ca. 70 Bilder. ISBN: 978-3-96423-004-1. 18,00 Euro. : Bild: Arete Verlag
Der Sport schwitzt diese Idee in seiner jüngsten Spitzensportreform gerade aus.
Michael Reinsch Korrespondent für Sport in Berlin.
Mexico 68 – Olympia in dünner Luft
Erschienen:
(1) „Beamon, Fäuste und ein Flop“
(2) „Auf dem Weg zum Mond“
(3) „Drogenmesse Mexiko“
(4) „Mit Hass gegen die Volksfeinde“
(5) „Black Power“
(6) „Unterdrücker abgeschüttelt“
(7) „Schwerelos – Als die Springer Flügel bekamen“
(8) „Ein unfassbarer Leistungswillen“ im Ruderachter
(9) „Der Coup mit dem Flop“
(10) „Die Rassisten aufs Kreuz gelegt“
(11) „Brücke zwischen den Blöcken“
(12) Vera Caslavska – „Die Sonne in persona“
(13) Adidas gegen Puma – „Der Krieg der Schuhe eskaliert“
(14) Goldraub auf der Bahn – „Der größte Betrug aller Zeiten“
(15) Boxer Manfred Wolke – „Ein Held der Kopfarbeit“
(16) Olympia 1968 – „Ein Funke Hoffnung“