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20
02
2021

Klaus „Zappel“ Richtzenhain. Federnder Vorfußläufer, ganz kurze Kontaktzeiten! Nie geknautscht oder geknüppelt, wie wir sagten. Langlaufen am Finsterberg - Foto: Henner Misersky

Silbermedaillengewinner Klaus Richtzenhain (Melbourne 1956) – aktualisiert: Der Sport war eine völlig andere Zeit“ – Von KLAUS BLUME

By GRR 0

Trainer des Jahres 2019: Mit Henner Misersky ehrte German Road Races einen Lauf- und Skilanglauftrainer, der nach seiner Verweigerung des staatlich verordneten Dopings im DDR-Leistungssport „Berufsverbot“ erhielt, in den 90er Jahren seine im Biathlon als Olympiasiegerin und bei Weltmeisterschaften zu zahlreichen Medaillen laufende Tochter Antje zu großen Erfolgen führte. Siehe seine Anfügungen am Ende des Beitrages.

                                    Henner Misersky (r.) 2019 bei der Ehrung in Tübingen: Foto: Fabian Knisel

Es ist still geworden um Klaus Richtzenhain. Sehr still – und das nun seit Jahren. „Es ruft niemand mehr an. Aber ich habe ja auch schon seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu irgend jemanden aus der Laufszene“, erzählt Klaus Richtzenhain.

Auch nicht zu Siegfried Valentin, der 1960 immerhin den Weltrekord über 1000 Meter (damals 2:16,7 Minuten) hielt? Einem seinerzeit heftigsten Konkurrenten. „Ach was, zu dem hatte ich schon als Läufer keinen Kontakt“, bequemt sich Richtzenhain zu einer Erklärung.

Der heute 86jährige Richtzenhain galt einst als elegantester deutscher Läufer. Viele eiferten ihm schon deshalb nach, wollten so scheinbar unbeschwert laufen können wie er. „Als er 1958 bei den DDR-Meisterschaften in Jena den Titel über 1500 Meter gewann, schwebte er förmlich über der Bahn. Wir waren alle hingerissen. Es ging nicht um die Zeit, nicht um den Sieg, es ging wirklich allein ums Laufen“, erinnert sich der frühere Hindernis- und heutige Skilangläufer Henner Misersky (80).

Richtzenhain kann sich den damaligen Hype bis heute nicht erklären: „Ach ja, war das so? Ich weiß ja nicht. Doch wenn es so gewesen sein soll, wird es ja auch so gewesen sein.“

Filme über seine großen Rennen hat sich Richtzenhain zu keiner Zeit angesehen, er hat auch keinen einzigen gebunkert, auch keine anderen Erinnerungsstücke. „Und wenn es Filme über meine Rennen gäbe, warum sollte ich mir so etwas heute noch ansehen?“ So sentimental sei er nun wirklich nicht. Das sei Schnee von gestern. Außerdem liege seine Zeit als erfolgreicher und einst hoch angesehener Läufer Jahrzehnte zurück.

Auch seine unerwartete sportliche Großtat bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne, als er völlig überraschend hinter dem Iren Ron Delaney und vor dem australischen Top-Favoriten John Landy über 1500 Meter die Silbermedaille gewann. Die damals gesamt-deutsche Mannschaft wählte ihn daraufhin für die Abschlussfeier zum Träger der deutschen Flagge.

Wie ist es dazu damals gekommen ist, frage ich Klaus Richtzenhain? „Sicher hat es damals irgendwelche Gespräche mit mir gegeben, aber ich erinnere mich an kein einziges Wort. Und ich habe auch später nie darüber nachgedacht. Warum, weiß ich nicht“, wundert sich Richtzenhain heute ein wenig über sich selber. Er habe ja dann auch bald studiert, sei Kontrukteur für Werkzeugbau geworden, „und hatte dann eigentlich sehr schnell keinen Bezug mehr zum Laufen.“

Das erfuhr 2016 auch die Dubliner Tageszeitung „Irish Times“. Als deren Redakteure über Ron Delaney, dem Olympiasieger von 1956 über 1500 Meter, eine Laudatio zu Papier bringen mussten, wollten sie auch dessen damaligen Widersacher Klaus Richtzenhain befragen. Doch der in Erfurt Ansässige wußte oder wollte dazu nichts beizutragen. Was die irischen Kollegen im Bericht mit Verdruss anmerkten.

Und heute, als Rentner?

„Da kenne ich mich wieder aus in der Laufszene.“ Er lese alle Resultate, sogar Statistiken. Ob er sich dabei auch an früher erinnere? An das Training bei dem unvergessenen Ewald Mertens?

Diese Zeit vergesse er nie, antwortet Richtzenhain auf einmal wie aus der Pistole geschossen. „Denn ich habe im Training nie die Leistung aus dem Wettkampf geschafft. Wir haben damals meist in Einlaufschuhen und nicht in Spikes trainiert. Und dabei völlig hirnrissige Sachen absolviert: Zehnmal 200 Meter Tempo laufen mit 200 Meter Trabpause und das an einem Tag gleich zweimal hintereinander.“ Schon der Gedanke daran macht einen schwindelig.

Auf die Idee, jemals zu joggen, gar an irgendeinem Volkslauf teilzunehmen, sei er wohl auch deshalb nie gekommen. „Wieso? Die Sache war doch vorbei. Ich hatte doch mit der Lauferei nichts mehr zu tun. ich hatte doch meinen Beruf.“ Die Lauferei, so klingt‘s im Nachhinein, muss eine ziemliche Schinderei gewesen sein. Wohl auch deshalb hätten sich keine Freundschaften aus der Leichtathletik entwickelt. Weder im In- noch im Ausland. Und so sei er froh, sich trotz zweier künstlicher Hüftgelenke ordentlich bewegen zu können.

Aber wie auch immer, er schwelge ohnehin nicht in Erinnerungen: „Das mit dem Sport war eine völlig andere Zeit. Aus. Vorbei.“

Und heute?

„Ich weiß wieder genau, was in der Laufszene los ist.“ Auch, was man anders machen könnte, ja vielleicht sollte? Klaus Richtzenhain schweigt. Beharrlich – wie es seine Art ist.

Und wohl auch bleibt.

Klaus Blume
Uhlenhorster Weg 2
22085 Hamburg
Tel: +49 (0) 40 229 7048
klausblume@t-online.de

PS: So karg, wie sich Klaus Richtzenhain im Beitrag von Klaus Blume gibt, ist auch leider das Foto Material über ihn. Wer private rechtefreie Fotos in alten Ordnern hat, könnte sie GRR zur Verfügung stellen, damit die Nachwelt sieht „wie er schwebte“ . Danke im voraus.
Horst Milde
horst.milde@germanroadraces.de

Henner Misersky zu Klaus Richtzenhain:

Festhallenpark Ilmenau. Richtzenhain gewann 1957 überlegen die 2,5 km Strecke. Damals für Lok Leipzig. Sein Trainer Maxe Syring ging in den Westen, „Zappel“ daraufhin nach Erfurt zu Ewald Mertens, der in Nordhausen verheiratet war, in Halle vorher Ulla Donath und Siegfried Hermann als Spitzenläufer mit Fritz Schmidt, Wolfgang Schottek, Hubert Hermann, Peter Winter, Werner Czäcine ,Hans Weckmann, Epo Kuchler, Dieter Hartmann  trainierte.

Interessant, dass „Zappel“ Richtzenhain, ein Jahr jünger als Manfred Steinbach, *1933, mit dem er für Deutschland 1956 gestartet war, – ebenso wie unsere Tochter Antje auch – , zur Abschlussveranstaltung 1992 in Albertville Fahnenträger bei Olympia war. Klaus hatte in seiner Zeit die damaligen Überläufer WR-Halter Gordon Pirie, der als hoher Olympiafavorit aber gegen Wladimir Kutz verlor, auch Ibbotson, Chris Chataway, Dan Waern, Istvan Roszavolgi, Tabori, Iharos und alle damaligen Weltklasseläufer irgendwo geschlagen. Siegfried Hermann, Sieggi Valentin, Heli Rheinagel aus der DDR sowieso. Günther Dohrow, Olaf Lawrenz? Zappel war immer etwas introvertiert, kein Selbstdarsteller. Alles sah immer unangestrengt, entspannt und unglaublich leichtfüßig aus, den Kopf leicht im Nacken.

Von der Wissenschaft kamen noch die sehr guten Mittelstreckler Willi Rumpf und Walter? Beinroth. In der Jugendstaffel-3×1000 m mit dem Autor dieses Beitrages, Klaus Blume!!! Lukowiak, später Eugen Milbrandt. Dann übernahm sein Assistent Rolf Donath die TG. Seine Ulla holte in Rom 1960 über 800m Bronze. Im Jahr danach wurde Ilse DDR-Meisterin. Die Frauen mit Anne Hübner, Gisela Hübner, Uschi Glaser, Franzi Höhne, Waltraud Kaufmann  gewannen meistens die 800m-Staffeln. Gibts die heute noch? Die Felder sind ja dürftig und ausgedünnt!.

Als Jugendlicher, noch 16, hatte ich 1957 das Glück, dass ich nach der Probezeit bei Rolf Donath nach dem  Wintertraining dabei bleiben durfte! Als ich bei der Jugendmeisterschaft 1958 in Halberstadt Zweiter wurde, kam ich beglückt in die Nachwuchsförderung und ins Internat Brandberge. Die Betreuung, die Verpflegung, warme Dusche, das war schon toll, wenn man wie ich vorher ein kleines Privatzimmer  am Bergmannstrost hinter der Poliklinik Süd  bezogen hatte, damals Stalin-Allee, bei einem Rentnerehepaar Raue mit Kohleöfchen und Waschschüssel als Selbstversorger mit Einkäufen im Spätladen nach dem Training  hatte.

Ich war von Jena zur Berufsausbildung nach Halle auf die Zahntechnikerschule gekommen. Vorher hatte ich ab 7. Klasse im Sommer Hockey gespielt und im Winter bei der BSG Carl-Zeiss Wintersport.

Wir gingen dann nach Jena, weil es meine Heimatstadt ist und viel schöner als Halle. Vor allem aber wurde uns Beiden die Offerte als OL-Kader gemacht, – wir waren ja bereits verlobt, dass wir eine Neubauwohnung bekommen würden. Das war bei der Wohnungsknappheit ein tolles Privileg. Meine Laufbahn als Kadersportler scheiterte dann aber an den Ergebnissen der STASI-OPK=Operative Personenkontrolle für Reisekader wegen Westkontakten zu Sportkameraden wie Helmut Neumann und Manfred Letzerich und schwerwiegend, die Kontakte zu Max Danz, – familiär.

Ost-West-Ausscheidungen 64 trotz Norm ade, Europa-Cup-Finale als damals Jahresbester mit 8:38,6 1965 in Stuttgart  von der STASI verhindert. Siehe Telegramm. Siegfried Hermann, ebenfalls in Ungnade gefallen, Kontakt zu Nöcker, musste auch zu Hause in Erfurt bleiben, obwohl er im August  über 3000m WR gelaufen war (7:46,0) und deutschen Fünftausend Meter-Rekord 13:30. Da wurde er bei dem WK in Potsdam beschissen. Alle, die mit stoppten, hatten auch hier WR, klar unter 13:30“. Den hielt aber Ron Clarke. Da er nach Tokio abserviert war. wäre das ein zu großes internationales Politikum gewesen. Bei der Dreitausend war ich mit im Feld.Die Trainingskonzeption ab 64 nach Tokio hatte übrigens sein Trainingspartner, mein enger Sportkamerad Fritz Schmidt in Anlehnung an Lydiard erstellt. Da gäbe es einiges zu sagen. Auch zu Fritzes Tochter Astrid! Ehemalige BRD-Junioren-Cross-Meisterin, sechs Mal bei Meisterschaften auf dem Podest! Die Eltern, ihre Mutter ist die Cousine von Siegfried Herrmann, saßen im STASI-Knast, versuchte Republikflucht! Von der Kirche frei gekauft! Fritz war mit Emil Zatopek befreundet. Es gibt ein Foto, wo seine Astrid als kleines Mädel auf Zatopeks schultern reitet.

Misersky 2021 – Langlauf -Interview mit Henner Misersky

 

author: GRR