In 1:04:02 steigerte die Kenianerin die globale Bestmarke von Ababel Yeshaneh (ETH) von 1:04:31 um 29 Sekunden. Mit Yalemzerf Yehualaw (ETH) in 1:04:39 und der amtierenden 5000 m- und Cross-Weltmeisterin Helen Obiri (KEN) bei ihrem Debüt in 1:04:51 blieben zum ersten Mal in einem Halbmarathon drei Frauen unter 65 Minuten.
Das Rennen der Männer verlief trotz hochklassiger Besetzung mit den besten der Szene weit weniger spektakulär. Hier gewann am Ende der Weltrekord-Inhaber Kibiwott Kandie (KEN) in 59:35 mit Streckenrekord und knapp vor dem nach einem Unfall vor fast einem Jahr wieder genesenem Geoffrey Kamworor (KEN) in 59:38. Neben einem kleinen Elitefeld waren weitere 4000 Läufer im Halbmarathon dabei, zuvor waren bereits über 10 km 3000 Läufer unter Beachtung strenger Hygienekonzepte an den Start gegangen.
Das Rennen der Männer konnte die hohen Erwartungen schon kurz nach dem Start nicht mehr erfüllen. Während vorne die designierten Tempomacher Vestus Chemjor (KEN) und Benard Ngeno (KEN) die im Vorfeld festgelegte Pace mit ersten km-Abschnitten von 2:46 und 2:51 einhielten, wollte das Elitefeld dieses Tempo nicht annehmen und „bummelte“ mit knapp 3 Minuten für den ersten Kilometer hinter den „Hasen“ her. Erst nach gut 3 km holte man diese kurz ein, bevor sich aber Ngeno vorne wieder absetzte und bei 5 km in 14:14 lag 5 Sekunden vor der Spitzengruppe lag. Damit lag man auf Kurs von gut einer Stunde und hinter den hohen Erwartungen zurück.
Ngeno, der als Tempomacher das Rennen bereits 2019 gewinnen konnte, setzte sich immer weiter ab und hatte bei 10 km in 28:21 eine Vorsprung von 17 Sekunden herausgelaufen, perfekte Tempomacherdienste sehen allerdings anders aus. Erst nach 12 km in 34:08 war der Ausflug des Kenianers zu Ende und eine Fünfergruppe mit den beiden Favoriten Kandie und Kaworor, sowie dem Sieger aus dem Jahr 2018 und mit 59:50 Streckenrekordler Amdework Walelegn (ETH), Roncer Kipkorir (KEN) sowie Stephen Kissa (UGA) schloß zu dem Führenden auf. 15 km passierte das Sextett nach 42:56, bevor vor der 19 km-Marke (54:04) Kandie die Fahrt erhöhte.
Mit einem Kilometer nach 19 km in 2:39 sprengte er die Kopfgruppe, in der nur noch Kamworor halbwegs mithalten konnte. Doch auf dem kommenden Kilometer nach 20 km in 2:35 konnte auch der dreifache Halbmarathon-Weltmeister nicht mehr mithalten, der nach langer Verletzungspause erstmals wieder am Start war, und Kandie setzte sich entscheidend ab. Bei 20 km hatte Kandie 56:40 Minuten, womit er die 5 km nach 20 km in 13:45 zurücklegte. Als es dann auf die ca. 400 m lange Zielgerade ging, kam zwar Kamworor seinem Landsmann etwas näher, Kandie gewann aber unangefochten mit neuem Kursrekord und Einstellung der Welt-Jahresbestzeit von 59:35. Kamworor wurde Zweiter in 59:38 vor Roncer Kipkiror in 59:46. Und auch der Vierte Amdework Walellegn blieb in 59:48 genauso unter einer Stunde wie der Läufer auf Platz 5 Leonard Barsoton (KEN) in 59:59.
Wenig erfolgreich war der Ausflug nach Istanbul für den deutschen Marathon-Rekordler Amanal Petros (GER) von der TV Wattenscheid, der ca. 8 km vorne mithielt, dann aber muskuläre Probleme bekam und schnell aus der Spitze heraufiel. Nach 10 km in 29:00 lag er bereits 20 Sekunden zurück und verlor schnell weiter an Boden. Am Ende musste er in 1:03:58 sogar aufpassen, nicht von der Siegerin im Frauenrennen eingeholt zu werden, die nur wenige Sekunden hinter Petros ins Ziel kam.
Das Rennen bei den Frauen nahm einen völlig anderen Verlauf als bei den Männern. Angeführt von dem großartigen Tempomacher David Chemweno (KEN), der zum wiederholten Male diesen Job bei den Frauen in Istanbul verrichtete, wurden die ersten Kilometer mit Splits von 2:59, 5:54, 3:05 und 3:05 angelaufen. Bei 5 km in 15:07 lagen an der Spitze neun Frauen auf Kurs zu einer Zeit von 1:03:47 und somit im Regime weiter unter dem Weltrekord. Mit dabei war hier auch noch der(die) deutsche Star(in) Melat Kejeta (GER), die bei der Halbmarathon-WM im Oktober 2020 überraschend die Silbermedaille gewann.
Bald darauf war diese Fahrt aber für die deutsche Topläuferin doch zu schnell und sie fiel schnell weit zurück. An der Spitze hielt der „Hase“ das Tempo hoch, 10 km wurden nach 30:21 erreicht, wo noch fünf Läuferinnen vorne zusammenlagen: Neben Chepngetich, Yehualaw und Obiri waren das die Marathon-Weltrekordlerin (2:14:04) Brigid Kosgei (KEN) sowie Joan Melly (KEN), die sich bei ihrem Sieg in Prag im Jahr 2017 im Halbmarathon auf 1:05:04 steigern konnte. Als es nach der Wende bei gut 10 km auf der Pendelstrecke zurück ging, fiel überraschend Brigid Kosgei als Erste zurück, der kurz darauf auch Melly folgte. Als die Spitze 15 km erreichte hatte sich die Spitze auf das Trio Chepngetich, Yehualaw und Obiri reduziert, die hier mit 64 Minuten deutlich auf Weltrekord-Kurs lagen.
Kurz darauf reduzierte sich der Kampf um den Sieg (und den Rekord) auf ein Duo, da Obiri bei ihrem Halbmarathon-Debüt am Ende ihrer Kräft schien. Nach 18 km zog Ruth Chepngetich das Tempo weiter an und mit Splits von 2:59, 3:00 und 2:59 konnte sie die höher eingeschätzte Yehualaw abschütteln. Bei 20 km in 1:00:43 war klar, dass die globale Rekordmarke fallen würde. Der Wind, der zwischendurch auf dem sehr windanfälligen Kurs drehte und dabei stark abschwächte, frischte nun stark auf, aber da waren die besten Frauen schon dem Ziel sehr nahe. Chepngetich gab im Finale noch einmal alles, lief den Schlusspart im 3 Minuten/km-Schnitt und „pulversierte mit einem sehenswerten Lufsprung über die Ziellinie den Weltrekord auf grandiose 1:04:02.
Nach dem überraschenden WM-Titel im Marathon in Doha im Jahr 2019 war dies der zweite große Coup der 26-jährigen Kenianerin. Mit erheblichem Abstand wurde Yehualaw in 1:04:40 Zweite und auch Helen Obiri blieb als Dritte in 1:04:51 unter der Schallmauer zur absoluten Weltklasse im Halbmarathon der Frauen.
Erstmals unterboten gleich drei Athletinnen in einem Rennen diese Traumgrenze. Auf Rang 4 verpasste Joan Melly in 1:05:09 nur knapp ihre PB, während die hochgehandelte Brigid Kosgei in 1:06:01 unter ihren Möglichkeiten blieb.
Erst auf Platz 9 erreichte dann Melat Kejeta das Ziel in 1:07:33, womit sie immer noch die zweitbeste Zeit einer deutschen Läuferin schaffte, aber sie ging dann auf die Heimreise mit der Erkenntnis, dass zumindest am Ostersonntag die absolute Weltklasse in einer anderen Liga agiert(e).
Helmut Winter