„Es galt: alles oder nichts“, sagte Bayer. „Hauptsache, ich konnte das Olympiaticket in die Tasche stecken. Um etwas anderes ging's nicht.“
Peking 2008 – Olympia-Serie: Carolin Nytra und Sebastian Bayer – Nicht allein nach Peking – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Mit einem ganz besonderen Aufputschmittel hat sich der Weitspringer Sebastian Bayer in die Mannschaft für die Olympischen Spiele in Peking katapultiert. „Ich habe ihm gesagt: ,Schatz, ich will nicht allein nach Peking fahren. Ich will mit dir hinfahren'“, gestand Carolin Nytra, die deutsche Meisterin im Hürdensprint.
Die Ansprache der 23 Jahre alten Studentin blieb nicht ohne Wirkung. Der gerade 22 Jahre alte Sportsoldat überflügelte bei den Titelkämpfen in Nürnberg mit einem Satz von 8,15 Metern den erfahrenen Nils Winter, der in diesem Jahr schon zweimal die Olympianorm von 8,05 Metern übertroffen hatte und in Nürnberg 8,08 Meter weit sprang. „Es galt: alles oder nichts“, sagte Bayer. „Hauptsache, ich konnte das Olympiaticket in die Tasche stecken. Um etwas anderes ging's nicht.“
Wenn die Liebe Beine macht
So innig und so berauscht sind die beiden, dass sie gern die ganze Welt an ihrem Glück teilhaben lassen. „Schatz, ich liebe dich soo!!!“, schreibt sie zu einem Foto auf ihrer Website, auf dem sie strahlend den Kopf an seine Brust legt. In Nürnberg lief er von der Weitsprunggrube zum Ziel, als sie ihr Finale bestritt. „Wenn Caro läuft, zittere ich; da bin ich viel aufgeregter als beim eigenen Wettkampf“, verriet er.
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Vielleicht gewann Carolin Nytra so deutlich – in 12,87 Sekunden und mit 21 Hundertstelsekunden Vorsprung -, weil sie sich nach der zehnten Hürde in die Arme ihres Freunde stürzen konnte. Ein Doppelzimmer bekommen die beiden im Trainingslager in Shibetzu und im Olympischen Dorf zwar nicht, doch auf Leichtathletik.de, der Website des Verbandes, sind die Liebenden im Originalton zu hören: „Im Podcast – das olympische Traumpaar.“
Im vergangenen Sommer hat es privat gefunkt, in dieser Saison sportlich
Im vergangenen Sommer hat's gefunkt zwischen der Sportmanagement-Studentin aus Bremen und dem Sportsoldaten aus Leverkusen, der gerade seine Lehre als Bürokaufmann abgeschlossen hat. Das war wohl das Beste an der vergangenen Saison, die für Sebastian Bayer wegen einer Verletzung der Plantarsehne keine war.
Deshalb hatte er Zeit, aus dem Internet- und Telefonkontakt zu Carolin Nytra eine Wettkampfbetreuung zu machen. Die Folgen sind erstaunlich. Aus dem Wintertraining kam die Hürdensprinterin mit einer so guten Form, dass sie bei ihrem ersten Wettkampf in Bremen auf Anhieb die Olympianorm von 12,92 Sekunden erreichte. „Ich dachte, die Uhr sei kaputt oder sie hätten die Bahn um zehn Meter verkürzt“, erinnert sie sich. „Dann sagte jemand, die Zeit sei offiziell. Ich war total platt. Ich hatte niemals gedacht, dass ich Olympianorm laufen kann.“ Wenig später erreichte sie 12,84 Sekunden.
Nytra plante eigentlich für 2009
Dabei hatte Carolin Nytra im Winter lediglich mit der Vorgabe trainiert, sich in der übernächsten Saison für die Weltmeisterschaften in Berlin zu qualifizieren. Ganz sicher war sie sich, dass „Basti“ nach Peking springen würde. Doch den setzten sowohl die Erwartungen als auch die Qualifikation seiner Freundin unter Druck. Erst Anfang Juni, in Bad Langensalza, platzte der Knoten.
Mann der weiten Sätze: Sebastian Bayer
Mann der weiten Sätze: Sebastian Bayer
Zum ersten Mal in seinem Leben sprang er acht Meter weit, und als er schließlich mit 8,12 Metern, 17 Zentimeter über seiner bisherigen Bestleistung, Dritter hinter Gable Garenamotse aus Botswana (8,22) und Nils Winter (8,14) geworden war, war er immer noch nicht zufrieden. „Mit einem Sicherheitssprung bin ich auf glatte acht Meter gekommen. Ich konnte mich gar nicht freuen, weil das mit Halbgas passiert war“, erinnert er sich. „Es ging um die Normen von 8,05 oder 8,20 Metern.“ In Nürnberg stand er deshalb unter Druck. „Heute ist deine letzte Chance“, rief ihm Carolin Nytra in Erinnerung.
Nur mit Talent sei der Weltrekord nicht erreichbar
So glücklich ihn die Qualifikation macht, so unzufrieden ist Sebastian Bayer mit dem Resultat. „Wenn Nils und ich 8,20 Meter gesprungen wären, würden wir beide nach Peking fahren. Weil wir nur die B-Norm erfüllt haben, fährt nur einer“, sagt er. „Ich weiß, dass ich 8,20 Meter springen kann.“ Springt er sie in Peking, kann er damit das Finale erreichen und vielleicht sogar eine Medaille gewinnen, glaubt er.
„Es gibt bestimmt Leute mit mehr Talent, die zehn bis fünfzehn Zentimeter weiter springen“, sagt er. „Aber 80 Zentimeter weiter sind nicht normal.“ Nur mit Talent sei der Weltrekord, den Mike Powell seit den Weltmeisterschaften von Tokio 1991 mit 8,95 Metern hält, nicht erreichbar.
Nicht die Zeiten der Konkurrenz machen Nytra stutzig, sondern deren Äußeres
Auch Carolin Nytra hat große Pläne. „Mein Ziel ist es, in Peking zwei Läufe zu machen“, sagt sie. Wenn sie ihre Bestzeit wiederholt, könnte sie das Halbfinale erreichen. Von dem phantastischen, 20 Jahre alten Weltrekord der Bulgarin Jordanka Donkova, 12,21 Sekunden, oder der Jahresbestzeit der Amerikanerin Lolo Jones, 12,45 Sekunden, will sie gar nicht sprechen.
Nicht die Zeiten der internationalen Konkurrenz machen sie stutzig, sondern deren Äußeres. „Wenn man im Call Room zusammensitzt und sieht, was für unreine Haut manche haben, dass sie Muskeln haben, die ich bisher weder an mir noch je an irgendeiner anderen Frau gesehen hatte, dann überlege ich schon, was die so essen vor dem Schlafengehen“, sagt sie. Auch wenn man verliebt ist, muss man offenbar nicht die ganze Welt durch eine rosarote Brille sehen.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 11. Juli 2008