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14
07
2012

Thomas Bach, 58, führt als Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) die deutsche Olympiamannschaft zu den Spielen nach London an. ©LSB - NRW - Andrea Bowinkelmann

LONDON 2012 – Interview mit Thomas Bach „Dann sollen die Sportler Lotto spielen“ – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel

By GRR 0

Der deutsche Sportchef Thomas Bach spricht vor Olympia in London über Geld, das Athleten mit Gold verdienen, zweite Chancen für Dopingsünder – und arabische Athletinnen.

Herr Bach, wir haben diesmal kein Organisationschaos wie vor den Olympischen Spielen 2004 in Athen, keinen Tibetkonflikt und keinen missbrauchten Fackellauf wie vor den Spielen 2008 in Peking. Ist Ihre Vorfreude auf die Spiele in London so groß wie zuletzt auf Sydney 2000?

Vor Ereignissen dieser Größenordnung gibt es immer Diskussionen. Aber diesmal ist meine Vorfreude riesig und ungetrübt und vielleicht noch einen Tick größer als sonst. Weil man auf eine sportbegeisterte Bevölkerung trifft, die auch im Feiern nicht schlecht ist.

Also anders als in Peking.

Es ist eine andere Art. Mein Credo ist, dass die Faszination der Spiele auch davon lebt, dass sie immer wieder unterschiedlich organisiert und gefeiert werden. Wenn es jedes Mal die gleiche Herangehensweise gäbe, wäre es langweilig. Die Idee der Spiele ist Globalität und dass sich jeder auf seine Art wiederfindet. Die Einheit liegt in der Vielfalt.

Was erwarten Sie denn in London?

Ich erwarte brillante Spiele. Auch organisatorisch werden sie hervorragend, aber am Ende werden Sie sich durch wirklich olympische Atmosphäre auszeichnen. Man darf ja nicht vergessen, dass die Briten die Mehrzahl der Sportarten erfunden oder die Regeln dafür geschrieben haben, um sicherzustellen, dass sie selbst nicht zu schlecht abschneiden (lacht).

Was meinen Sie mit olympischer Atmosphäre?

Es gibt ein tolles olympisches Dorf und somit beste Voraussetzungen, damit die Stimmung vom Dorf auf die Stadt überschwappt und umgekehrt. Im Übrigen glaube ich, dass die Atmosphäre aus dieser kosmopolitischen, faszinierenden Stadt wachsen wird, auch aus den Gegensätzen zwischen dem ultramodernen Olympic Park und den klassischen Sportstätten Greenwich, Wimbledon, Henley.

Und wie gut ist die deutsche Olympiamannschaft?

Da bin ich sehr zuversichtlich. Man sieht in vielen Sportarten und Disziplinen starke Verbesserungen, insbesondere gegenüber Peking.

Wo genau?

Dass in der Leichtathletik die berechtigte Chance besteht, mehr als eine Bronzemedaille wie in Peking zu gewinnen, leuchtet jedem Sportfan ein. Auch die Ruderer haben sich nach Peking stark verbessert, etwa der Achter. Im Kanu ist das extrem hohe Niveau gehalten worden. Wir sind unter den Ländern unserer Größe wie Frankreich, Australien, Japan, Südkorea, selbst Großbritannien wahrscheinlich diejenigen, die am breitesten aufgestellt sind und in den meisten Sportarten auch Medaillenchancen haben. Da kommt die Stärke unserer Sportkultur zum Tragen.

 

 Olympia ist nicht zum Geldverdienen da

Wollen Sie das in einer Zielsetzung ausdrücken?

Der Maßstab ist Peking. Die Medaillenverteilung ist enorm schwierig. Das wird der härteste olympische Wettbewerb, den es je gegeben hat. Die starken Leistungssportnationen haben viel mehr an Know-how und Geld investiert als je zuvor. Das gilt für China, die USA, Russland, insbesondere für Japan und Südkorea, wo für uns unvorstellbare Summen aufgewendet worden sind für Trainingszentren, Sportwissenschaft, Trainer und, und, und. Auf der anderen Seite haben glücklicherweise immer mehr Nationen Chancen, Medaillen zu gewinnen. Deshalb ist es sehr schwierig zu sagen, auf welchem Platz wir landen.

Wie wichtig ist denn das Abschneiden der Athleten überhaupt für Deutschland?

Ich habe gerade eine Umfrage gelesen, die in vier europäischen Ländern gemacht worden ist. 78 Prozent der Deutschen sagen, ihre Stimmung würde mit den Olympischen Spielen besser. Und wenn bei einem Deutschen schon mal die Stimmung besser wird und er das auch noch in einer Umfrage sagt, hat er schon einige Hürden überwunden (lacht).

Ein Olympiasieger bekommt in Deutschland 15.000 Euro, anderswo weit mehr. Muss man daran etwas ändern?

Unser Sportsystem ist nicht daran ausgerichtet, dass es einem Olympiasieger eine lebenslange Rente garantiert. Für uns bedeutet Leistungssport auch duale Karriere – also dass ein Athlet während seiner sportlichen Laufbahn eine Ausbildung absolviert oder studiert und danach Berufschancen hat. Fragen Sie mal die Ruderer im Achter, ob sie ihr Studium aufgeben würden und nach der Karriere von Rente leben wollen. Wenn einer den Leistungssport mit dem Ziel beginnt, durch einen Olympiasieg ausgesorgt zu haben, würde ich ihm eher empfehlen, zur Lotto-Annahmestelle zu gehen.

Und wie beurteilen Sie die Forderung, gedopte Athleten lebenslang von den Olympischen Spielen auszuschließen?

Ich komme von der Forderung nach lebenslanger Sperre, 1981 habe ich noch dafür gekämpft.

Also haben Athleten keine zweite Chance verdient?

Meine Auffassung hat sich gewandelt. Es hat jeder eine zweite Chance verdient. Aber die Frage ist, wann. Das beruht sehr auf dem, was er getan hat. Ich habe selbst in der IOC-Disziplinarkommission lebenslange Sperren ausgesprochen bei Fällen mit viel krimineller Energie. Da hat jemand planmäßig über Jahre oder Monate alle Vorkehrungen getroffen, um sich zu dopen und um nicht erwischt zu werden. Das kann man nicht vergleichen mit jemandem, der einmal das falsche Nasenspray erwischt hat. Wir werden dies nun festschreiben: Wer länger als sechs Monate gesperrt ist, darf nicht an den folgenden Olympischen Spielen teilnehmen. Auch wenn seine Verbandssperre bis dahin abgelaufen ist.

 24.000 Sicherheitskräfte schützen Olympia

Ein anderes sportpolitisches Thema: Kann oder will das IOC bei der Eröffnungsfeier in London nicht eine Minute Stille aushalten, um der Opfer bei den Spielen von München 1972 zu gedenken?

Man kann diese Diskussion nicht verengen auf die Frage der Schweigeminute. Das wird dem Anlass nicht gerecht. Es geht darum, dass der Opfer würdig gedacht wird. Dies ist das Ziel von allen. Das IOC ist in Übereinstimmung mit dem Nationalen Komitee für Israel zum Entschluss gekommen, dass für die Opfer dieses Attentats eine speziell gewidmete Zeremonie die beste, angemessenste und würdigste Form der Anteilnahme ist, so wie es seit 1976 immer der Fall war. Und so wird das auch in London wieder sein am 6. August. Das ist auch nicht die einzige geplante Gedenkfeier.

Wäre die Wirkung bei der Eröffnungsfeier nicht viel größer? 2002 wurde auch der Opfer des 11. September gedacht.

Es geht ja nicht um die Frage der Außenwirkung, sondern vornehmlich um ein würdiges Gedenken, das sich auf diese Opfer bezieht.
 

 Alle Kulturen sollten sich wiederfinden

Wäre die Eröffnungsfeier unwürdig?

Nein, aber man muss die würdigste Form finden. Und das scheint auch für das NOK in Israel diese spezielle Zeremonie zu sein. Das israelische IOC-Mitglied hat sich ebenfalls zu dieser Lösung bekannt.

Eine weitere emotionale Debatte vor den Spielen dreht sich um die Zulassung von Frauen in arabischen Mannschaften. Waren Sie erleichtert oder haben Sie sich gefreut, dass jetzt auch Saudi-Arabien als letztes Land weibliche Athleten zu den Olympischen Spielen schickt?

Da ist große Freude. Glückwunsch an IOC-Präsident Jacques Rogge: Es zeigt sich jetzt, dass sein Weg des ermutigenden Dialogs der richtige war.

Das IOC schließt ja das NOK eines Landes aus, wenn es nicht mehr unabhängig von der Regierung arbeitet und damit die Autonomie des Sports verloren ist. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ein NOK dafür auszuschließen, weil es die Hälfte seiner Bevölkerung vom Sport fernhält?

Wir müssen die Debatte jetzt nicht rückwärts führen. Man muss bei Sportsystemen immer auch politische, kulturelle und religiöse Gegebenheiten berücksichtigen. Das IOC kann nicht den Anspruch haben, als eine Art Weltregierung einem Staat zu sagen, wie er sich zu organisieren hat.

Aber verdient der Ausschluss von Frauen nicht eher eine Sanktion als die Einmischung einer Regierung in Angelegenheiten des Sports?

Noch einmal: Das ist Spekulation. Wir haben jetzt zwei Athletinnen bei den Olympischen Spielen. Für Katar wird zudem eine Frau die Fahne bei der Eröffnungsfeier tragen. Lassen Sie das doch mal auf die arabische Welt wirken.

Der Weltfußballverband Fifa erlaubt künftig das Tragen von Kopftüchern. Andere Verbände wie der internationale Basketballverband verbieten es mit der Begründung einer Verletzungsgefahr. Wünschen Sie sich nicht eine Harmonisierung in dieser Frage?

Harmonisieren ist schwierig, weil es Sicherheitsbedürfnisse geben kann. In der Fifa ist dieses Problem gelöst worden durch einen Klettverschluss und andere Regelungen. Hier sollte man bis an die technischen Grenzen gehen und Möglichkeiten schaffen, dass Kulturen sich wiederfinden.

 

Das Interview von Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Sonnabend, dem 15. Juli 2012

author: GRR

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