Lothar Pöhlitz ©privat
In 60 Sekunden war der Puls in einem 10000 m–Rennen bei 180 – Europameister Jürgen Haase im 10000 m Test in 28:12,6 Minuten – Von Lothar Pöhlitz*
Sportwissenschaftliche Untersuchungen während wichtiger Wettkämpfe sind selten. Sie können nicht unbegrenzt durchgeführt werden, weil sie unter Umständen zu Leistungseinschränkungen führen und die Sportler sich z.B. durch einen Herzfrequenzgurt behindert, nicht wohl fühlen.
Jürgen Haase – Europameister 1966 + 1969 über 10000 m
Persönliche Bestleistungen 13:29,4 – 27:53,36 – 15 km: 43:45,2
Die Ermittlung biologischer Werte während eines Wettkampfes mit Hilfe der Telemetrie deckte schon in 60igern so nicht bekannte Tatsachen auf und ergänzte das Bild der Organismusreaktion auf maximale Belastungen und half die Wirkung des Trainings zu objektivieren.
Im Jahre 1966 wurden bei Wettkämpfen von Europameister Jürgen Haase in Leipzig Telemetriemessungen vorgenommen deren interessante Ergebnisse bisher der Mehrzahl der Trainer unbekannt blieben.
Dank der Zusammenarbeit mit einer Leipziger Läufergruppe und ihrem verdienstvollen Trainer Günter Büttner (der 1966 Forschungsgruppenleiter Lauf an der DHfK war), wurden von Jürgen Haase (Europameister 1966 + 1969 über 10000 m, p.B. 27:53,36 – 15 km: 43:45,2) bei zwei Wettkämpfen „aus dem vollen Trainingsprogramm heraus“ die Pulsfrequenzen aufgezeichnet und Blutdruckuntersuchungen vorgenommen.
Am 22.5.1966 bei einem 800 m Lauf (1:53,6) und bei einem 10000 m Lauf am 25.5.1966 in 28:12,6 (DDR-Rekord). Zwei strukturell völlig unterschiedliche Ausdauerbelastungen innerhalb von 4 Tagen.
Die Untersuchung war Teil eines komplexen Forschungsvorhabens zur Wirkung der Dauerleistungsmethode auf den Organismus und den damit verbundenen Anpassungsgrad zur Bewältigung auch kurzer, intensiver Belastungen (800 m). Der Gesundheitszustand und die subjektive Leistungsbereitschaft von Jürgen Haase waren zum Untersuchungszeitraum sehr gut.
Untersuchungsmethodik und Ergebnisse
Die telemetrische Beobachtung der Pulsfrequenz wurde während der Vorwärmung, des Wettkampfes und der Erholungsphase zweimal pro Minute und beim 800 m Lauf durchlaufend registriert. Der Blutdruck wurde vor Beginn des Einlaufens, in den Pausen und in der Erholung im Minutenabstand gemessen.
Bei der Beurteilung der Resultate nach dem 10000 m Lauf kann die Gesamtreaktion als ökonomisch bezeichnet werden.
Die Anpassungsreaktion bei Belastungsbeginn verläuft günstig, es wird relativ schnell eine Herzfrequenz von 180 Schl./min erreicht. Da der Vorstart-Ausgangswert bei 100 Schl./min. lag, ergab sich eine Steigerung innerhalb von 30 Sekunden um 48 %, nach 60 Sekunden um 80 %. Sicher hat dabei die erste schnelle Runde, die über dem Durchschnitt lag, mitgewirkt.
Danach bewegte sich die Herzfrequenz auf einem stabilen Niveau unter den Bedingungen eines relativen steady-state. Als die Geschwindigkeit nach 400 m etwas reduziert wurde, änderte sich die Frequenz nicht wesentlich. Nach einer Erhöhung der Geschwindigkeit ab 2400 m stieg der Puls und stabilisierte sich auf höherem Niveau, blieb aber auch auf diesem Plateau, als ab 6000 m die Geschwindigkeit etwas nachließ.
Interessant ist noch, dass trotz bedeutender Tempoverschärfung während der letzten 400 m (Spurt) keine Frequenzerhöhung mehr zustande kam. So kann man die Tatsache, dass sich die Pulsfrequenz über die gesamte Strecke zwischen 182 – 194 Schl./min. bewegte als besonders positiv einschätzen.
Auch im Erholungsverhalten kann man eine ausgezeichnete Funktionsfähigkeit des Organismus erkennen, nach 6 Minuten wurden bereits 98 Schl./min. gemessen. Nach 10 Minuten registrierten wir im Blutdruck Ausgangswerte.
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Die Europameister im 10.000-m-Lauf (nach WIKIPEDIA)
1934: Ilmari Salminen | 1938: Ilmari Salminen | 1946: Viljo Heino | 1950: Emil Zátopek | 1954: Emil Zátopek | 1958: Zdzisław Krzyszkowiak | 1962: Pjotr Bolotnikow | 1966: Jürgen Haase | 1969: Jürgen Haase | 1971: Juha Väätäinen | 1974: Manfred Kuschmann | 1978: Martti Vainio | 1982: Alberto Cova | 1986: Stefano Mei | 1990: Salvatore Antibo | 1994: Abel Antón | 1998: António Pinto | 2002: José Manuel Martínez | 2006: Jan Fitschen | 2010: Mo Farah | 2012: Polat Kemboi Arıkan | 2014: Mo Farah | 2016: Polat Kemboi Arıkan ————————————————————————————————
800 m und 10000 m brachten keine unterschiedlichen Herzfrequenz-Ergebnisse
Sehr interessant ist, dass die Herzfrequenz bei einer maximalen Leistung über 800 mähnliche Reaktionen zeigte wie beim 10000 m-Lauf, obwohl die Belastung von der Geschwindigkeit und Streckenlänge her eine völlig andere, höhere Struktur aufweist.
Trotz wesentlich höherer Geschwindigkeit übersteigt der maximale Puls die über 10000 m erreichten Werte nicht. Die Erholung dagegen verläuft wesentlich schneller als nach dem 10000 m Lauf.
Eine gute Organismusreaktion nach einem 800 m Wettkampf in 1:53,6 (für einen Langstreckler aus den 60igern recht gut) zeigt, dass die mit Hilfe der Dauerleistungs-methodik erreichte Anpassungsfähigkeit des Organismus sich auch günstig auf wesentlich kürzere Strecken mit hohen Geschwindigkeiten auswirken kann. Das zeigt, dass ein hoher Grad an Grundlagenausdauer auch entsprechend intensivere Belastungen ermöglicht und nicht zu Schwierigkeiten bei der Entwicklung der wettkampfspezifischen Ausdauer führen muss.
Zu berücksichtigen ist bei einer solchen Beurteilung, dass J.H. einen sehr großen Anteil seines GA–Trainings oberhalb 4,6 m/s (3:37 min/km) als Qualitätstraining absolvierte („und mit seinem intensitätsorientierten Ausdauertraining zwei Trainingsgruppen verschliss“ – ergänzt vom Autor des Beitrages)
Bei einem Belastungsmaximum bildete die Herzfrequenz ein Plateau
Nach den Trainingsbeobachtungen gibt es echte Beziehungen zwischen dem Puls und der Laufgeschwindigkeit. Auf niedrige Geschwindigkeiten reagiert die Pulsfre-quenz mit geringer Schlagzahl. Bei Dauerläufen, deren Geschwindigkeit zwischen 3,5 und 4,5 m/s liegt wurden in Abhängigkeit vom Trainingszustand Frequenzen von 140 – 160 Schl./min festgestellt. Wächst die Geschwindigkeit in Richtung 5 m/s (3:20 min/km) und darüber wurden HF um 180 Schl./min registriert.
Bemerkenswert ist, dass bei weiterer Temposteigerung z.B. in Wettkämpfen auch in Abhängigkeit von der Strecke zwischen 5,5 m/s (10000 m / 3:00 min/km) und etwa 7 m/s (Mittelstrecken – 400 m in 57“) die Pulsfrequenzen nur noch unwesentlich anstiegen und keine Beziehungen zu den erheblichen Geschwindigkeitsunterschieden erkennbar waren.
„Deshalb ist anzunehmen, dass die Herzfrequenz, wenn sie das individuelle Belastungsmaximum erreicht, sich ohne Rücksicht auf Geschwindigkeitsveränderungen auf einem optimalen Plateau bewegt“
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*zusammengefasst und modifiziert nach einem Beitrag von Büttner, Minarovjech, Burger aus Theorie und Praxis des Leistungssports 4 / 1966 (TuPL / IAT)
Autoren:Minarovjech, V.; Büttner, G.; Burger, H. (1966)
Titel: Die Pulsbeobachtung während des Rekordlaufs von Jürgen Haase über 10.000m
Lothar Pöhlitz
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