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Symbolbild - 2020 Tokyo Olympic Games Tokyo, Japan July 29-August 8, 2021 Photo: Andrew McClanahan@PhotoRun

Anmerkungen zur Krise des deutschen Hochleistungs sports – sport-nachgedacht.de – Prof. Dr. Helmut Digel

By GRR 0

Ist man aus beruflichen Gründen oder auch nur aus privaten Interessen über mehrere Jahre Beobachter des deutschen Hochleistungssports, so nimmt die Verwunderung immer mehr zu und sie scheint endlos zu werden.

Der deutsche Hochleistungssport ist international immer weniger konkurrenzfähig, hat den Anschluss zur Weltspitze verloren. Er befindet sich in einer Krise. So oder so ähnlich lautet die Klage jener, die angeblich oder tatsächlich etwas über Fragen der Hochleistungssportentwicklung zu sagen haben.

Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird diese Klage diskutiert. Auf der Tagesordnung des Sportausschusses des Deutschen Bundestages ist sie ein Dauerthema. In Form von Worten und statistischen Befunden lässt sich diese Klage in vielen 1000 Seiten finden, die allein im Zeitraum von 2015 bis 2025 geschrieben und veröffentlicht wurden; nachfolgend nur ein kleiner Ausschnitt:

  • 2015: Erfolgsfaktoren der Athleten Förderung
  • Athletenvertretungen im Hochleistungssport. Sachstand und Reformoptionen. Wissenschaftliche Dienste, Deutscher Bundestag 2016
  • Potas Bericht: Potenzialanalyse der Olympischen Sommer Sportverbände 2019 bis 2021 Auftraggeber, BMI und DOSB,
  • Potas -Wintersportbericht 2022
  • Bund – Länder – Sport AG: Kurz Konzept zum Neustart der Sportförderung, 15.9.2023
  • Seit 2004: Sportentwicklungsbericht (Weiterentwicklung der ehemaligen Finanz- und Strukturanalysen des Deutschen Sportbundes FISAS)
  • Letzter „Sportentwicklungsbericht 2023 – 2025“
  • Seit 2007 Zielvereinbarungen zwischen DOSB und BMI
  • Bund – Länder – Sport AG: Feinkonzept zur Nachsteuerung und Optimierung der Förderung des Leistungs- und Spitzensports in Deutschland, 29. September 2023
  • Entwicklungsplan Bewegung und Sport des Bundesministeriums des Innern und für Heimat und des Bundesministers für Gesundheit, Oktober 2024
  • „Gesetz zur Regelung der Förderung des Spitzensports und weiterer Maßnahmen gesamtstaatlicher Bedeutung im Sport sowie zur Errichtung der Spitzensport-Agentur“ (SpoFöG). Dieses Gesetz wurde im August 2024 im Gesetzgebungsverfahren vorgestellt, jedoch durch den „Bruch“ der „Ampel“ „auf Eis gelegt“.
  • Sinus: Mehr als Medaillen? Was sich unsere Gesellschaft vom Leistungssport erwartet. Auftraggeber: Deutscher Olympischer Sportbund e.V., „Athleten Deutschland e.V.“ Juli 2025.

Nicht unerwähnt bleiben dürfen bei dieser Aufzählung „Papiere“ und Beschlüsse zum Nachwuchsleistungssport; auch hier eine kurze Aufzählung ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

  • Nachwuchsleistungssport-Konzept 2020: Leitlinien für die Weiterentwicklung des deutschen Systems der Nachwuchsförderung, verabschiedet am 7. Dezember 2013.
  • Rahmenrichtlinien zur Entwicklungsbewertung und Förderung des Nachwuchsleistungssports (RRL): 2021 verabschiedet und in 2025 fortgeschrieben. Sie sollen einen einheitlichen Rahmen zur Bewertung von Sportarten und Disziplinen für eine leistungsgerechte Entwicklungsbewertung und Förderung bieten.
  • Handlungsleitfaden zu den Regionalen Zielvereinbarungen (RZV): Ein verbindliches Steuerungsinstrument auf regionaler Ebene, das die Verzahnung zwischen Nachwuchs- und Spitzensport sicherstellen soll.
  • Stützpunktkonzept 2022: Ziel: Schaffung optimaler Rahmenbedingungen für erfolgreiche leistungssportliche Karrieren der Athlet*innen durch Olympiastützpunkte, Bundesstützpunkte und Bundesleistungszentren.
  • Anforderungsprofil für bundeseinheitliche Kaderkriterien: Einheitliche Standards für Landeskader und Nachwuchskader durch Spitzen- und Landesverbände.
  •  Nicht zu vergessen die 43 „Eliteschulen des Sports“ (EdS), an denen in 15 Ländern 108 Haupt-, Real- und Gesamtschulen sowie Gymnasien mit mehr als 11.500 „Eliteschülerinnen“ und „Eliteschülern“ schulisch unterstützt und gefördert werden. Hinzu kommt eine Vielzahl von „Partnerschulen“ des Leistungssports in den Ländern. Kostenträger all dieser Einrichtungen sind die Länder, insbesondere die dortigen Kultusbehörden, und projektbezogen ergänzend durch den Sponsor „Sparkassen Finanzgruppe“. Die Einrichtung von „EdS“ setzt die Erfüllung von durch den DOSB vorgegebenen „Qualitätskriterien“, sogenannten „Vergabekriterien“, für eine temporäre, an den Olympiazyklus gebundene Anerkennung voraus.

Dies ist nur eine Auswahl der „Papiere“, Gutachten und Protokolle, die von den für den deutschen Hochleistungssport verantwortlichen Institutionen allein in den letzten 10 Jahren veröffentlicht wurden. Der Umfang der einzelnen Gutachten reicht von 15 Seiten bis zu mehreren Hundert Seiten und die Diktion dieser Publikationen ist nicht selten „schwere Kost“, von der man vermuten kann, dass vieles selbst von manchen Betroffenen nie wirklich gelesen wurde.

In diesen Tagen hat nun ein neues Papier die deutsche Sportöffentlichkeit „erregen“ können. „Ambitionierter. Agiler. Erfolgreicher“. „Mehr Leistung wagen – für den Spitzensport von morgen“ lautet die Überschrift dieser neuen Publikation, bei der diesmal die Stiftung Deutsche Sporthilfe „wagt“ (in Anlehnung an den Titel: “Mehr Leistung wagen“), dem deutschen Hochleistungssport den Spiegel vorzuhalten.

Anlässe dafür gibt es genügend und der Inhalt dieses Papiers ist durchaus relevant und die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen sind nicht nur diskussionswürdig. Von vielen würde man sich sogar wünschen, dass sie sofort umgesetzt werden. Die FAZ lobt den Mut der Autoren und „Athleten Deutschland“ begrüßt das Papier ebenso, denn in ihm wird u. a. die Erhöhung der direkten finanziellen Förderung der Athleten[1]gefordert.

Auf die Frage, warum Deutschland den Anschluss an die Weltspitze verloren hat, sehen die Sporthilfeautoren die Ursachen für diesen Niedergang in einem fehlenden gesellschaftlichen Bekenntnis zur Eliteförderung, in zersplitterten Zuständigkeiten, in einer unklaren Trennung zwischen Breiten- und Spitzensport, in einer zu geringen Anerkennung der Spitzenleistungen in unserer Gesellschaft und in einer fehlenden systematischen Einbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.

Kurzfristig fordert die Sporthilfe für das von ihr geförderte „Top Team“ eine Erhöhung der finanziellen Förderung von 800 € auf 1500 € monatlich. Für das „Potenzial Team“ soll die Fördersumme von 700 € auf 1000 € monatlich erhöht werden. Die Prämienzahlungen und Förderleistungen für Athletinnen und Athleten sollen steuerlich freigestellt werden. Alle Kaderathleten ab dem 16. Lebensjahr sollen Zugang zur freiwilligen Versicherung der Verwaltungs- Berufsgenossenschaft erhalten.

Die Forderungen, die die Organisation des deutschen Hochleistungssports betreffen, beziehen sich auf die Bundesstützpunkte, die deutlich reduziert werden sollen und für die klare Zuständigkeiten zu schaffen sind. Die Olympiastützpunkte sollten gebündelt und in ihrem Einfluss gestärkt werden und für den Beruf des Trainers bedarf es gemäß der Expertise der Sporthilfe einer grundlegenden Reform.

Die Trainer sollen bei einer – bereits im Entwurf eines Spitzensportfördergesetzes gennannten – „Spitzensport- Agentur“ nach der Tarifstruktur des öffentlichen Dienstes angestellt werden; sie erhalten befristete „Vier-Jahres-Verträge“ mit klaren Perspektiven und es wird eine Abfindungsregelung durch den Bund eingeführt.

Die Forderung nach einer vermehrten Einbindung der Wirtschaft in den deutschen Hochleistungssport muss angesichts der Autorenschaft dieser Studie überraschen, denn dies ist ja bisher die ureigenste Aufgabe der Stiftung Deutsche Sporthilfe gewesen, die jedoch dieser Aufgabe in den vergangenen Jahrzehnten immer weniger nachgekommen ist, beziehungsweise hat die deutsche Wirtschaft sich um die Entwicklung des Hochleistungssports immer weniger gekümmert. Hier wäre somit ein wenig Selbstkritik durchaus angebracht.

Zu überprüfen wäre auch, warum in Bezug auf die in der Analyse beklagte unzureichende Kooperation mit der Wissenschaft im Forderungskatalog der DSH nicht mehr eingegangen wird. Dabei wäre es angebracht, die Rolle der deutschen Sportwissenschaft in Bezug auf die Förderung des Hochleistungssports auf den Prüfstand zu stellen, denn vom Qualitätsverlust im Bereich von Forschung und Lehre an deutschen Universitäten, der mittlerweile über mehrere internationale Vergleichsstudien offengelegt wurde, ist ganz offensichtlich auch die Sportwissenschaft betroffen. Sie bedarf dringend einer Qualitätsoffensive und einer Reform, wenn Sie eine relevante unterstützende Rolle für den deutschen Hochleistungssport spielen möchte.

Politisch verlangt die Stiftung eine stärkere Einbindung in die Entscheidungsstrukturen des deutschen Hochleistungssports. Die DSH ist bereit, Verantwortung zu übernehmen und sieht sich als Partnerin der Bundesregierung. Sie erwartet, dass die Stiftung Deutsche Sporthilfe in dem zu erwartenden „Sportfördergesetz“ bei der „Spitzensport- Agentur“ berücksichtigt wird, damit aus Visionen konkrete Ergebnisse werden, die bereits 2028 bei den Spielen in Los Angeles sichtbar sein sollen.

Betrachtet man die Rolle, die bislang die DSH im komplexen System des deutschen Hochleistungssports innehatte und ihr zugedacht war, so müssen manche Aspekte der Analyse und vor allem manche Forderungen überraschen und sie können von Kritikern durchaus als anmaßend bezeichnet werden. Dies betrifft auch ihre Annahme, dass man bereits 2028 bei den Olympischen Sommerspielen die Erfolge sehen könnte, wenn man den Empfehlungen der DSH folgt.

Legt man die Vorschläge der DSH und auch alle übrigen Vorschläge der zuvor publizierten Expertise gemeinsam auf einen Tisch und prüft, was dieses „Konglomerat“ zur Lösung der Krise des deutschen Hochleistungssports tatsächlich leistet, so ist aus meiner Sicht das Ergebnis mehr als ernüchternd. In der großen Mehrheit der Expertisen werden Annahmen gemacht, die einer genauen Überprüfung nicht standhalten:

  • DOSB, „Athleten Deutschland e.V.“, DSH begrüßen, dass die politische Verantwortung für die staatliche Sportpolitik vom Innenministerium auf das Kanzleramt übertragen wurde, dass es nunmehr eine Ministerin gibt für ein Ressort, „Sport und Ehrenamt“.

Wie kommt man zu der Annahme, dass durch „Prominenz“ und Namensänderung des jetzt zuständigen Bundes-Ressorts bei gleichzeitig weitgehender Übernahme des bisher im Innenministerium für Sport verantwortlichen Personals eine Leistungssteigerung der deutschen Athletinnen und Athleten bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zur Folge haben soll?

  • DOSB, „Athleten Deutschland e.V“, DSH verlangen die Einrichtung einer unabhängigen Spitzensport-Agentur, und der Gesetzgeber sieht eine solche Agentur in einem von ihm geplanten Sportgesetz vor.

Wie kommt man zu der Annahme, dass durch die Einrichtung einer Spitzensport- Agentur, die die bestehende Steuerungsinstanz innerhalb des DOSB ablösen soll und an die Zuständigkeiten übertragen werden, die bislang eine personell reichlich ausgestattete hauptamtliche Abteilung des DOSB im Zusammenwirken mit den Olympischen Fachverbänden verantwortlich war, ein Beitrag zur Steigerung der sportlichen Höchstleistungen deutscher Athletinnen und Athleten erbracht wird?

  • Die Sporthilfe nimmt an, dass durch die Aufstockung der Grundförderung um nahezu 100 % und der „Potenzial Förderung“ um mehr als 30 % sich die Wahrscheinlichkeit sportlicher Erfolge bei den nächsten Olympischen Sommerspielen erhöht.

Wie kommt man zu der Annahme, dass durch die Erhöhung von individuellen             Budgets für Athletinnen und Athleten und durch die Steuerbefreiung von Prämien die „extrinsische“ Motivation zu erhöhten Leistungen führt und damit die Erfolge bei Olympischen Spielen gesteigert werden können?

Wie in den Vorschlägen der DSH wird in vielen Expertisen eine Veränderung der bestehenden organisatorischen Strukturen gefordert. Einige Experten bevorzugen eine stärkere Zentralisierung, andere nehmen an, dass föderale Strukturen leistungsfähiger sein könnten. Die Debatte über die angebliche Konkurrenzsituation zwischen Zentralismus und Föderalismus im deutschen Hochleistungssport hat längst den Charakter einer unendlichen Geschichte – ohne dass man dabei eine Lösung erkennen könnte.

Der entscheidende Fehler ist dabei wohl darin zu erkennen, dass sich die Vorschläge und Forderungen meist immer auf das gesamte System des Hochleistungssports beziehen und dabei die spezifischen Eigenheiten der jeweiligen olympischen Sportarten und deren Binnendifferenzierung so gut wie nicht zur Kenntnis nehmen. Dabei gibt es möglicherweise Sportarten, für die weder ein Stützpunktsystem noch ein Olympiastützpunktsystem wirklich Sinn macht. Andere Sportarten benötigen hingegen dringend effektive dezentrale Förderstrukturen. Innerhalb mancher Sportarten bedarf es einer Binnendifferenzierung bei der Frage der zentralen oder föderalen Förderung der jeweiligen Einzeldisziplinen.

Bei fast allen Forderungskatalogen, die derzeit zur Bewältigung der Krise des deutschen Hochleistungssports auf dem Tisch liegen, findet sich ein gemeinsamer Nenner. Es wird allgemein angenommen, dass man mehr Geld benötigen wird, wenn man Deutschland wieder zurück auf eine Spitzenposition im Olympischen Ranking führen möchte. Diese Forderung ist wohl nahe liegend und allein unter dem Aspekt der dringend notwendigen Sanierung bestehender Sportstätten ist sie auch mehr als berechtigt. Doch vor dem Hintergrund einer schon existierenden viel zu hohen Staatsverschuldung der Bundesrepublik und mit Blick auf die schwierige Lage der deutschen Wirtschaft sind pauschale Forderungen nach einer Erhöhung des Etats für den deutschen Hochleistungssport wenig hilfreich und noch weniger zielführend.

Will der deutsche Sport sinnvolle Forderungen zugunsten einer subsidiären staatlichen Förderung des Hochleistungssports an die deutsche Bundesregierung und an die Landesregierungen herantragen, so muss man von ihm erwarten, dass er sich zunächst selbstkritisch in einem Spiegel betrachtet, der ihm schon länger vorgehalten wird. Er muss eine fundierte Problemanalyse vorlegen, die eine nachvollziehbare Hierarchisierung aufweist.

Für jedes einzelne Problem hat der deutsche Sport einen Lösungsvorschlag zu unterbreiten, und auf der Grundlage einer vereinbarten Rangliste von Problemstellungen muss Problem für Problem abgearbeitet werden. Dies ist ein langer Weg. Eine solche Vorgehensweise verbietet es, kurzfristige Erwartungen zu erzeugen, die nicht eingehalten werden können. Vielmehr ist langfristige „Kärrnerarbeit“ von Nöten und manche der erforderlichen Maßnahmen werden auch erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt ihre Wirkung zeigen, als dass man sie von einem Olympiazyklus zum nächsten planen könnte.

Es ist hier nicht der Ort, wo die Problemanalyse durchgeführt werden kann und entsprechende Lösungsvorschläge auf den Prüfstand zu stellen sind.

Doch von einem Problem muss hier gesprochen werden und es scheint mir sicher zu sein, dass es mit seiner großen Brisanz ein Schlüsselproblem der deutschen Hochleistungssportkrise darstellt. In allen mir bekannten wissenschaftlichen Studien zu den Erfolgsfaktoren im Hochleistungssport gibt es einen gemeinsamen Nenner:

In jeder hierarchisch angeordneten Liste von Erfolgsfaktoren nimmt die Qualität des Schulsports den ersten Platz ein. Doch ausgerechnet über diesen Faktor wird von den aktuell handelnden deutschen „Krisenmanagern“ kaum gesprochen. Vom Sport der Kinder und Jugendlichen, vom Sport in Kitas und Vorschulen, vom Sport in unserem öffentlichen Schulwesen und an Universitäten ist in den meisten Expertisen zum deutschen Leistungssport allenfalls nur am Rande die Rede.

Die Frage nach den tragfähigen Basisstrukturen des deutschen Hochleistungssports wird so gut wie gar nicht gestellt. Dabei handelt diese Frage vom schwierigsten und wichtigsten Problem, das Deutschland zu lösen hat, wenn es mittel- und langfristig einen Spitzenplatz unter den Leistungssport Nationen einnehmen möchte:

Wo findet ein Kind ein Angebot, wenn es Badminton spielen und diese Sportart schließlich auch als Leistungssport betreiben möchte? Wie weit und wie oft müssen Eltern fahren, um ihrem Kind die Ausübung dieser Sportart zu ermöglichen?

Wie viel Trainer oder Übungsleiter gibt es für einen Jugendlichen, der am Hammerwurf interessiert ist, die ihn auf seinem langwährenden Weg zur Leistungsspitze dieser Sportart begleiten können? Wo und wie viele Sportstätten mit einem Hammerwurf Käfig gibt es?

Wann endlich werden die in den Stundentafeln der Schulen vorgeschriebenen Pflichtstunden für das Fach Sport endlich in allen Bildungsgängen angeboten – und von dafür fachlich qualifizierten Sportlehrkräften tatsächlich auch gehalten? Warum ist es in Deutschland nicht möglich, ein fünfstündiges Pflichtfach Sport an den öffentlichen Schulen durchzusetzen?[2]

Welche Folgen hat es für die aktive Ausübung des Sports durch Kinder und Jugendliche, wenn nun auch noch „E-Gaming“ – fälschlicherweise von der Politik „eSport“ genannt – von dort auch noch durch Anerkennung, als „gemeinnützig“ gefördert und in Sportvereine integriert werden soll?

Was hätte es zur Folge, wenn deutschen Athletinnen und Athleten entgegen den Entscheidungen der Sportverbände rein arbeitsrechtlich erlaubt werden müsste, an den „Enhanced Games“ im nächsten Jahr in Las Vegas sanktionslos starten zu dürfen?

Können dann verantwortungsvolle Eltern ihre Kinder überhaupt noch in die existierenden leistungsorientierten Nachwuchsförderprogramme der Schulen, Vereine und Verbände schicken?

Diese und ähnliche Fragen machen deutlich, dass ohne umfassende Investitionen in den Schulsport und in die Basisstrukturen des deutschen Sports, dessen Reform nicht gelingen kann. Hätten wir einen „Sport Atlas“, was für eine Industrienation wie Deutschland eigentlich schon längst selbstverständlich sein müsste, so würden wir erkennen, dass für nahezu sämtliche olympische Sportarten viel zu große schwarze Flecken zu entdecken sind und dass eine ausreichende Versorgung mit nachrückenden Athleten und Athletinnen schon längst nicht mehr gesichert werden kann. Für einen „Sport Atlas Deutschland“ muss das Rad nicht neuer  erfunden werden.

Unsere Konkurrenten in Großbritannien und Frankreich verfügen über eine exzellente Software und versorgen schon seit langem ihre Bevölkerung mit allen relevanten Informationen über die Sportangebote in ihren Ländern.

Die Situation, die bei den deutschen Leichtathletikmeisterschaften beobachtet werden kann, ist symptomatisch für das gesamte System des deutschen Hochleistungssports:

Wo früher noch Vor- und Zwischenläufe stattgefunden haben, erreichen heute die Starterinnen und Starter direkt die Finalläufe. Bei manchen Disziplinen können nicht einmal die vorhandenen Startplätze gefüllt werden. Die Zahl der Athletinnen und Athleten, die die vorgegebenen Normen erreichen, hat in vielen Einzeldisziplinen kontinuierlich abgenommen.

Blicken wir dabei auf die Basis dieser Sportart, so kann man das eigentliche Problem erkennen. Aus ehemals intakten eigenständigen Leichtathletikvereinen sind Leichtathletikgemeinschaften geworden. Es hat nicht nur in der Leichtathletik ein Vereins- bzw. ein Disziplinensterben in den einzelnen Sportarten stattgefunden bei gleichzeitiger Vergrößerung der Gesamtzahl der Mitgliedschaften in den Vereinen des Deutschen Olympischen Sportbunds.

Der DOSB ist stolz auf seine wachsenden Gesamtzahlen in den Vereinen des DOSB. Gleichzeitig wird dabei jedoch verkannt, dass diese Zahlen ohne Aussagekraft für das zukünftige Leistungspotenzial jener sportlichen Disziplinen sind, in denen Deutschland sich bei Olympischen Spielen mit den besten der Welt vergleichen möchte.

Will man das eigentliche Problem des deutschen Hochleistungssports lösen, so bedarf es keiner redundanten Diskussionen am Dach des Systems über höhere Prämien, Stützpunktsysteme, Sportgesetze und Sportagenturen. Es bedarf vielmehr einer innovativen kommunalen Sportpolitik. Es bedarf neuer Anreize zur Gründung von Trainingsgemeinschaften und Sportabteilungen. Es bedarf einer gezielten Förderung von Ehrenamtlichen im Bereich der jeweiligen Basis einer Sportart. Es bedarf ergänzender Wettkampfstrukturen.

Es bedarf eines attraktiven Kinder- und Jugendsportangebots, um diese für den Sport zu gewinnen, um zu verhindern, dass man sie an die sozialen Medien und den „E-Sport“ verliert. Es bedarf einer Sport- und Bewegungskampagne, die ihres gleichen sucht. Es bedarf Männer und Frauen wie Jürgen Palm, der einstmals uns gezeigt hat, was seine „Trimm-Aktionen“ bewirken können. Seine Ideen zu einem „Sport für Alle“ wirken noch bis heute, sind bis heute noch modern!

Zunehmend deutlich wird aber auch wie erforderlich eine Aktion „Wettkampfsport für Kinder und Jugendliche“ ist, die altersgemäß, leistungsorientiert und zunehmend sportartspezifisch auszugestalten ist.

Letzte Bearbeitung: 17.10.2025

[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird gelegentlich auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

Prof. Dr. Helmut Digel
Eberhard Karls Universität Tübingen
Institut für Sportwissenschaft
Wilhelmstr. 124 – 72074 Tübingen – Germany
Mobil: +49 162 2903512 – Tel. 00498641 6997330

 

author: GRR