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20
10
2010

Laufen ist gesund, logisch. Aber warum zieht man sich dabei so leicht Verletzungen zu? Das fragte sich unser Autor und bat dazu einige Top-Experten um Rat. Entstanden ist ein beeindruckender Leitfaden: Wie man sein Leben lang laufen kann, ohne sich zu verletzen

AMBY BURFOOT in RUNNERS WORLD – Verletzungsfrei laufen – 10 GEBOTE für EWIGE LAUFFREUDE – Laufen ist gesund, logisch. Aber warum zieht man sich dabei so leicht Verletzungen zu?

By GRR 0

Mitte der 1970er Jahre erklärte mir der angesehene Laufarzt George Sheehan, der auch regelmäßig als Kolumnist für die US-amerikanische RUNNER’S WORLD arbeitete, er sei immer wieder überrascht, dass er offensichtlich der einzige gesunde Läufer sei.

Eine Umfrage unter den Lesern des Magazins brachte damals tatsächlich zutage, dass 60 Prozent der Befragten unter chronischen Beschwerden litten. Sheehan konnte dies gar nicht glauben und schrieb in einer seiner Kolumnen: „Gott hat uns dazu geschaffen zu laufen. Was macht ihr falsch, dass ihr solche Schmerzen habt?“

 

Was macht ihr falsch, dass ihr solche Schmerzen habt?“

 

Diese Frage ist auch knapp 40 Jahre nach dem ersten großen Laufboom noch aktuell: In einer Umfrage auf runnersworld.com erklärten immerhin 66 Prozent der Teilnehmer, dass sie 2009 irgendwann einmal beim Laufen Schmerzen hatten. Das Ergebnis erstaunte mich auch insofern, da sich doch Ausrüstung, Trainings-anleitungen und medizinische Versorgung in den vergangenen Jahrzehnten enorm verbessert haben.

Ich wollte der Sache auf den Grund gehen und dachte mir, dass sich in den zahlreichen wissenschaftlichen Studien zum Thema Laufverletzungen doch sicher plausible Erklärungen dafür finden würden. Doch nachdem ich Hunderte von Dokumenten durchgearbeitet hatte, war ich kaum klüger als vorher. Die meisten Studien machten keinen besonders seriösen Eindruck, vor allem irritierten mich aber die oft widersprüchlichen Ergebnisse und Schlussfolgerungen.

So erfuhr ich aus einer Studie, dass bestimmte Laufverletzungen vor allem Frauen beträfen, und aus einer anderen, dass genau dieselben Verletzungen speziell Männern drohten. Einmal hieß es, alte Läufer seien besonders verletzungsanfällig, ein anderes Mal wurde dies jungen Läufern nachgesagt. Mal galten Läufer mit Überpronation als besonders gefährdet, dann wieder solche mit Unterpronation, und so ging’s immer weiter.

Kurz: Die Wissenschaft brachte mich nicht weiter. Also machte ich mich an Plan B: Ich interviewte nahezu ein Dutzend der angesehensten Laufexperten der USA – Biomechaniker, Mediziner, Physiotherapeuten und filterte aus ihren Erkenntnissen „10 Gebote für ewige Lauffreude“ heraus.

Natürlich kann ich nicht versprechen, dass Sie sich nach dem Lesen der folgenden Seiten nie wieder verletzen werden. Aber ich garantiere: Wenn Sie meine Vorschläge befolgen, sinkt Ihr Verletzungsrisiko bestimmt – und die Freude am Laufen nimmt zu.

 

I  Grenzen erkennen

 

Sich zu verletzen ist keine Kunst und es geht auch ganz schnell, man braucht nur ohne Maß und Verstand zu laufen. „Ich glaube, dass jeder Läufer eine individuelle  Belastungsgrenze hat“, sagt die Biomechanikerin Irene Davis von der University of Delaware. „Ihre persönliche Grenze kann bei 15 Laufkilometern pro Woche liegen oder bei 150. Sobald Sie darüber hinausgehen, reagiert der Körper mit Beschwerden.“

Verschiedene Studien haben übrigens gezeigt, dass bei 20, 40, 65 und 130 Laufkilometern pro Woche magische Grenzen liegen, an die man sich vorsichtig herantasten und bei deren Überschreiten man seinen Körper genau beobachten muss, um kein Risiko einzugehen.

Auch der erfahrene Läufer und Fußspezialist Stephen Pribut warnt davor, es mit dem Training zu übertreiben: Wer zu viel, zu schnell oder zu oft läuft, muss mit Problemen rechnen, da sind sich alle Experten und ausnahmsweise auch alle Untersuchungsergebnisse einig. Der Körper braucht Zeit, um sich an einen Mehraufwand beim Lauftraining zu gewöhnen, egal ob das die Intensität, den Umfang oder die Häufigkeit betrifft.

Laufexperten haben dieses Problem erkannt und daraus die sogenannte Zehn-Prozent-Regel entwickelt. Sie besagt, dass man seine Laufumfänge niemals um mehr als zehn Prozent pro Woche erhöhen darf. Wenn Sie bisher also 20 Kilometer pro Woche laufen, dürfen Sie in der folgenden Woche nicht mehr als 22 Kilometer laufen – zumindest, wenn Sie verletzungstechnisch auf der sicheren Seite sein wollen.

Für ambitionierte Läufer, also zum Beispiel für Marathonläufer, können sogar diese zehn Prozent schon zu viel sein. Der Leistungsdiagnostiker Reed Ferber von der University of Calgary (Kanada) hat festgestellt, dass diejenigen Marathonläufer am seltensten verletzt sind, die ihre Vorbereitung schon auf einem relativ hohen Niveau beginnen, diese dann über 16 statt der üblichen 12 Wochen strecken und dabei den Umfang nie um mehr als fünf Prozent pro Woche steigern.

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Seien Sie der Igel und nicht der Hase! Steigern Sie Ihre wöchentlichen (und auch monatlichen) Laufumfänge äußerst vorsichtig und halten Sie sich dabei an die Zehn-Prozent-Regel. Sind Sie ein verletzungsanfälliger Läufer, dann wählen Sie lieber noch niedrigere Steigerungsraten. Achten Sie darauf, dass auf einen harten, also intensiven Lauftag immer ein Ruhetag oder ein leichter Lauftag folgt. 

Einsteiger sollten sich einen Hart-leicht-leicht-Rhythmus angewöhnen. Selbst viele Topläufer reduzieren während einer Woche des Monats die Umfänge um 20 bis 40 Prozent, um ihrem Körper eine Extrapause zu
gönnen. Und denken Sie auch daran, dass nicht nur zu hohe Kilometerumfänge zu Problemen führen können, sondern auch zu intensives Training, also zu viele Bergaufläufe, Intervalltrainings oder schnelle Dauerlaufkilometer. „Mindestens 70 Prozent des gesamten Laufumfangs sollten frei von größerer Belastung sein“, sagt dazu Trainingsexperte Reed Ferber.

Unser Rat: Führen Sie ein detailliertes Lauftagebuch – halten Sie fest, wie Sie wann trainiert haben. So können Sie leicht feststellen, bei welchen Laufeinheiten und -umfängen Beschwerden aufgetreten sind und bei welchen nicht. Und noch ein wichtiger Hinweis der Experten: Ein ausgefallenes Training sollte man nicht gleich am nächsten Tag nachholen – schon gar nicht zusätzlich zu dem Laufpensum, das man sich für diesen Tag ohnehin schon vorgenommen hat.

 

II Auf den Körper hören

 

Dies ist vermutlich die bekannteste und am häufigsten wiederholte Regel zur Vermeidung von Verletzungen, und es ist ehrlich gesagt nach wie vor die beste. Sie lautet: Laufen Sie nur dann, wenn Sie sich wohlfühlen, wenn Sie also keinerlei Schmerzen beim Laufen spüren! Schließlich kommen 99 Prozent aller Laufbeschwerden nicht etwa aus dem Nichts, sondern kündigen sich durch Steifheit, Unwohlsein oder Bewegungseinschränkungen an.

Es liegt ausschließlich an Ihnen, wie ernst Sie diese Signale nehmen. „Läufer sind im Hinblick auf das Schmerzempfinden Verdrängungskünstler. Sie laufen gegen Schmerzen an, bei denen ‚normale‘ Menschen permanent ‚Aua!‘ schreien würden – nur um nicht aufs geliebte Laufen verzichten zu müssen“, sagt Reed Ferber, der dieses Phänomen täglich in seiner Praxis beobachtet.

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Schon bei den kleinsten Schmerzen sollten Sie das Laufen für mindestens 48 Stunden unterlassen. Ersetzen Sie das Training durch zügiges Gehen, Laufen im Wasser (Aquajogging) oder Radfahren. Nach zwei Tagen steigen Sie dann wieder in Ihr Lauftraining ein – aber nur mit 50 Prozent des Umfangs, den ein durchschnittlicher Lauftag bei Ihnen umfasst. Bleiben Sie schmerzfrei, lassen Sie sich weitere zwei Tage Zeit, um das gewohnte Niveau wieder zu erreichen. Treten jedoch erneut Schmerzen auf, setzen Sie noch einmal 48 Stunden mit dem Laufen aus.

III Laufschritt verkürzen

 

Dieser Tipp mag vielleicht überraschen, zumal die Schrittlänge in Läuferkreisen nur selten diskutiert wird. Doch mehr als die Hälfte der von uns befragten Experten schlug zur Vorbeugung gegen Verletzungen eine Optimierung des Laufschritts vor, und damit meinten sie vor allem eine Verkürzung des Schritts. Wie zur Bestätigung wurde im Dezember 2009 eine Studie veröffentlicht, die zu dem Schluss kam, dass Läufer, die ihre Schrittlänge um 10 Prozent verkürzen, das Risiko von Überlastungsbeschwerden im Schienbeinbereich um drei bis sechs Prozent reduzieren.

Was dahintersteckt: Zu lange Laufschritte stellen eine unnötige Belastung für den Bewegungsapparat dar und kosten außerdem Energie. „Wenn Sie die Schrittlänge verkürzen, ist der Fußaufsatz weicher. Die hohen Aufprallkräfte, die auf den Fuß einwirken, werden so reduziert“, sagt der Orthopäde Alan Hreljac von der California State University in Sacramento. Und glauben Sie nicht, die Länge des Laufschritts sei so unveränderbar wie ein Fingerabdruck. Man kann sie sehr wohl verändern – man muss es nur wollen und in jedem Dauerlauftraining üben.

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Wenn Sie oft mit Verletzungen zu kämpfen haben, speziell im Bereich der Schienbeine, könnte es sich für Sie lohnen, es mit einem verkürzten Laufschritt zu probieren. „Wir reden von einer Verkürzung um etwa zehn Prozent. Das bewirkt zudem, dass man eine höhere Schrittfrequenz läuft“, sagt Biomechanikerin Irene Davis.

Beginnen Sie zunächst nur mit kleineren Laufabschnitten, in denen Sie bewusst auf einen kürzeren Schritt achten. Und bedenken Sie, dass Sie Ihren Schritt nur um rund 10 Zentimeter verkürzen sollen – Sie sollen Ihre Runden nicht in kleinen Tippelschrittchen laufen.

Wo tut es Läufern weh?

ANZAHL DER VERLETZUNGEN unter 1162 Läufern, die an einer Internetbefragung auf runnersworld.com teilnahmen:

230 Iliotibialband-Syndrom (ITS)
209 Patellaspitzen-Syndrom
170 Plantarfasziitis (Fersensporn)
159 Schienbeinschmerz
128 Achillessehnenreizung
122 Oberschenkelbeschwerden
79 Ermüdungsbruch
65 Piriformis-Syndrom

 

IV Krafttraining zur Stabilisierung des Körpers nutzen

 

Bei jedem Laufschritt müssen Sie das Drei- bis Vierfache Ihres Körpergewichts (also je nach Statur 180, 250 oder gar 350 Kilo) abfangen, gleich darauf wieder ganz in die Luft bringen und dabei auch noch stabil halten. Schritt für Schritt. Das erfordert kräftige Muskeln – und zwar nicht nur in den Beinen. Glaubt man Reed Ferber, sind es vor allem die Muskeln der Hüfte, die Läufer speziell kräftigen sollten. Aus seiner Praxis weiß er, dass zum Beispiel 90 Prozent der Knieprobleme bei Läufern aus einer Instabilität des Körperzentrums resultieren.

„Eine stabile Körpermitte sorgt eben auch für einen ökonomischen Bewegungsablauf der unteren Extremitäten“, sagt er. „Wenn Läufer Adduktoren, Abduktoren und Gesäßmuskeln trainieren, entlasten sie damit die gesamte Beinmuskulatur – Ober- und Unterschenkel, aber auch die Füße.“

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Keine Angst, Sie sollen jetzt keine Muskelberge aufbauen, sondern einfach nur Ihre Hüftmuskulatur sowie Bauch-, Rücken- und Beinmuskeln widerstandsfähiger machen. „Ein gesunder Laufstil setzt voraus, dass der Läufer kein Muskeldefizit hat“, sagt Michael Fredericson, Professor für Sportmedizin an der Stanford University (USA). „Ein Mangel an Körperstabilität bedeutet, dass man Energie zum Ausbalancieren von Muskelschwächen aufwenden muss, die man besser für die Fortbewegung verwenden könnte, und führt in der Folge zu Überlastungen.“

V Die neue (alte) P2ECH-Regel beachten

 

Gegen muskuläre Schmerzen und/oder Gelenkbeschwerden hilft nichts besser als PECH: Pausieren (P), Kühlen mit Eis (E), komprimierende Verbände (C=Compression) und Hochlegen (H). Diese Maßnahmen sind altbekannt und werden nach wie vor von allen Experten als die sinnvollsten genannt, wenn es darum geht, Schmerzen zu minimieren, Schwellungen zu reduzieren und Heilungsprozesse anzuregen.

Das einzige Problem bei der ansonsten genialen PECH-Regel: Studien zeigen, dass die meisten verletzten Läufer fast ausschließlich das E beachten, das P, C und H jedoch vergessen. Das heißt, sie laufen weiter, vereisen die Schmerzen, laufen, vereisen, laufen, vereisen, gehen aber nie an die Ursachen und denken gar nicht daran, sich mal ein paar Tage Ruhe zu gönnen.

Deshalb hat Bruce Wilk, einer der angesehensten US-Sport-Orthopäden, dem P für Pausieren noch ein „hoch zwei“ hinzugefügt, was bedeuten soll, dass man erst dann wieder laufen darf, wenn die Beschwerden vollständig abgeklungen sind – und keinen Tag früher.

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Die PECH-Methode ist umso erfolgreicher, je schneller Sie alle Maßnahmen nach einer Verletzung einleiten. Sind Sie umgeknickt oder haben Sie sich den Oberschenkel gezerrt, heißt dies aber auch, dass Sie unbedingt
ein paar Tage komplett aufs Laufen verzichten müssen. Darauf sollten Sie sich sofort einstellen. Grundsätzlich gilt: Legen Sie die betroffene Region hoch, reiben Sie den schmerzenden Bereich mehrmals täglich 10 bis 15 Minuten lang mit Eis oder einem Coolpack ab und legen Sie einen Verband mit mäßigem Druck an.

Komprimierende Verbände werden vor allem an den Gliedmaßen bei Schwellungsneigung und Krampfadern sowie an den Gelenken bei Ergüssen und Prellungen eingesetzt. Testen Sie täglich, ob Sie schmerzfrei gehen (nicht laufen!) können. Erst wenn Sie beim Gehen keine Schmerzen mehr spüren, dürfen Sie wieder die ersten langsamen Laufschritte machen.

VI Ebenen Laufuntergrund suchen

 

Wir möchten wetten, dass die meisten von Ihnen diesen Faktor unterschätzt haben: Laufwege, vor allem Straßen, fallen oft zu den Seiten hin ab, und man tendiert dazu, immer auf derselben Seite zu laufen – etwa um den entgegenkommenden Verkehr frühzeitig zu bemerken (und seien es nur andere Fußgänger oder Radfahrer). Dies bedeutet, dass man seine Beine permanent unterschiedlich belastet.

Damit zwingt man den Fuß, der näher am Rand aufsetzt, zu einem stärkeren Abrollen über die Außenseite (Supination) und den anderen Fuß zu einem verstärkten Einknicken nach innen (Überpronation). Außerdem muss man ständig eine gewisse Höhendifferenz ausgleichen. Für ein paar Schritte ist all das kein Problem. Aber man macht beim Laufen 160 bis 180 Schritte pro Minute, in 60 Minuten also immerhin rund 10 000 Schritte, und das Tag für Tag, Woche für Woche und Monat für Monat.

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Auch wenn es zunächst banal klingt: Wenn Sie nicht in der Mitte laufen können, sind Sie gut beraten, beim Laufen immer wieder die Straßen- oder Wegseite zu wechseln. Natürlich gibt es auch ebene Laufwege, und je einsamer die Laufstrecke, desto problemloser können Sie die Wegmitte nutzen – aber tun Sie dies dann bitte auch! „Laufbahnen zum Beispiel sind vollkommen eben“, sagt Sportmediziner Michael Fredericson, „sie sind daher der beste Laufuntergrund für all jene, die bereits unter einseitigen Überlastungsproblemen leiden.“

Aber Vorsicht: Denken Sie daran, auf einer Laufbahn ab und zu die Laufrichtung zu wechseln (wenn möglich). Bei ständigem Laufen gegen den Uhrzeigersinn (wie üblich) wird sonst das linke Bein durch die Kurven mehr belastet als das rechte. In dieser Hinsicht völlig problemlos ist übrigens die Nutzung eines Laufbands. Für Läufer, die nach einer Überlastungsverletzung ein Comeback planen und schonend Ihre Laufumfänge steigern wollen, ist es sogar sehr zu empfehlen.

VII Nicht zu viele Wettkämpfe

 

Sportmediziner haben in mehreren Studien nachgewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen der Häufigkeit der Verletzungen und der Zahl der absolvierten Wettkämpfe besteht: Je öfter Sie an Rennen teilnehmen, desto höher ist Ihr Verletzungsrisiko. Vermutlich steigt es auch mit der zunehmenden Häufigkeit anderer harter Laufbelastungen, wie etwa Intervalltrainings.

Wenn Sie also unter der Woche zweimal im hochintensiven Tempobereich laufen und zusätzlich am Wochenende noch bei einem Wettkampf starten, dann sind das enorme Belastungen – und vermutlich fehlt Ihnen dazwischen die Zeit, um wieder voll zu regenerieren. Falls Sie ein eher verletzungsanfälliger Läufer sind, sollten Sie deshalb überlegen, ob es sich wirklich lohnt, die letzten fünf Prozent Leistung durch ein riskantes Tempotraining herauszukitzeln – oder ob Sie der Gesundheit Vorrang geben und darauf verzichten, was Ihr Verletzungsrisiko um bis zu 25 Prozent senken würde.

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Denken Sie daran, dass Wettkämpfe und harte Intervalleinheiten mit einer Regenerations-phase nachbereitet werden müssen. Die goldenen Regel lautet: für jeden Intensitätskilometer ein halber Tag. Und bedenken Sie, dass selbst Olympiateilnehmer nie mehr als maximal zehn Prozent ihres Trainings im hochintensiven Tempobereich absolvieren. Verletzungsanfällige Läufer sollten sich intensive Läufe deshalb besser komplett sparen – das raten die Experten.

VIII Die Beinrückseite dehnen

 

Über kaum etwas wird so viel diskutiert wie über das richtige Stretching. Es konnte bislang noch in keiner Studie bewiesen werden, dass regelmäßiges Dehnen als Bestandteil eines Aufwärmprogramms das Risiko von Überlastungsbeschwerden verringert. „Seit ungefähr zehn Jahren ist der gesundheitliche Nutzen des Stretchens unter Wissenschaftlern umstritten“, sagt Michael Ryan, der dazu an der University of Wisconsin-Madison (USA) forscht.

Dennoch halten die meisten Laufexperten am Stretching fest. Ihr Argument: Bei Läufern verspannen sich nur ganz bestimmte Muskelgruppen, und in genau jenen Körperbereichen treten die meisten Verletzungen auf. Daraus ziehen sie den Schluss, dass man die betreffenden Muskelpartien flexibler machen sollte, um Überlastungen zu verhindern. An erster Stelle stehen dabei die Oberschenkelrückseiten und die Waden. Eine größere Flexibilität des hinteren Oberschenkels scheint zum Beispiel die Belastungen für das Knie zu verringern. Und gleich mehrere Studien deuten darauf hin, dass verspannte Wadenmuskeln in letzter Konsequenz zu einer Achillessehnenreizung oder einer Plantarfasziitis (Fersensporn) führen können.

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Es gibt keine eindeutigen Beweise, dass Stretching Überlastungsbeschwerden vorbeugt, aber es fällt auf, dass Knie- und Achillessehnenbeschwerden mit unflexiblen Muskeln einhergehen, die in diesen Bereichen ansetzen. Also kann man sagen: Stretching lohnt sich – und schadet keinesfalls. Aber dehnen Sie nicht nur statisch (dabei wird die Dehnbelastung 30 Sekunden gehalten), sondern auch dynamisch (in einer kontinuierlichen Bewegung). Denken Sie aber immer daran, die Muskulatur vor dem Dehnen aufzuwärmen.

Im Fall der Fälle: Positiv denken!

Wie die richtige Einstellung dabei hilft, schneller wieder gesund zu werden

KEINE FRAGE, VERLETZT ZU SEIN IST EINFACH NUR NERVIG. Aber indem Sie fluchen, schimpfen oder sich in Selbstmitleid suhlen, werden Sie auch nicht schneller wieder gesund. Im Gegenteil! Eine negative Einstellung schadet der Gesundung. „Wer seine Verletzung eher als Herausforderung sieht und nicht mit seinem Schicksal hadert, ist viel eher bereit, alles dafür zu tun, um schnell wieder fit zu werden“, sagt Nick Galli von der University of Utah (USA).

STOPPZEICHEN SETZEN

Depressive Stimmungen und negative Gedanken können für eine vermehrte Ausschüttung bestimmter Hormone, wie etwa Cortisol, sorgen, was den Stress nur verstärkt. Galli empfiehlt seinen verletzten Patienten deshalb, sich ein Mantra oder ein visuelles Symbol zurechtzulegen, um negative Gedanken abzuwehren. Wenn Sie also wieder einmal glauben, dass Sie nie wieder einen Marathon absolvieren können, stellen Sie sich zum Beispiel ein großes rotes Stoppschild vor. Dieses Signal soll Sie daran erinnern, negative Gedanken beiseitezuschieben. Versuchen Sie sich anzugewöhnen, bei negativen Gedanken sofort an dieses imaginäre Stoppschild zu denken.

ERSATZ FINDEN

„Verletzte Läufer sind auf Entzug. Sie vermissen die Endorphinausschüttung, die Ihnen das Lauftraining so schön regelmäßig beschert hat“, sagt Barbara Walker, Psychologin am Zentrum für Sportmedizin in Cincinnati (USA). Sorgen Sie also für Ersatz, indem Sie anderen Sport treiben, der Sie außer Atem und Ihre Endorphine in Wallung bringt. Am besten geeignet sind Ausdauersportarten wie Radfahren, Schwimmen und (gerade für Läufer) Aquajogging.
Die Ersatzdroge macht Sie -wieder etwas glücklicher – und Sie halten Ihre Form.

UNTERSTÜTZUNG SUCHEN

Bei Verletzungen ist der Zuspruch anderer Läufer sehr heilsam. Viele -Ihrer Lauffreunde waren sicher auch schon mal verletzt und können aus eigener Erfahrung berichten, dass es irgendwann wieder aufwärts geht. Das tut gut. Wenn Sie gewöhnlich in einer Gruppe trainieren, dann halten Sie den Kontakt, gehen Sie zum Treffpunkt, auch wenn es nur dazu dient, sich bei den anderen mal so richtig auszuheulen. Vielleicht machen Sie sich auch nützlich, zum Beispiel indem Sie auf dem Rad für die Läufer Verpflegung transportieren oder auf der Laufbahn die Zwischenzeiten geben. Das Lob dafür kann für einen Moment die tiefsten Wunden heilen.

SICH ETWAS VORMACHEN

Nutzen Sie die Kraft der Vorstellung! Eine Möglichkeit der „Heilung durch Selbstbetrug“, besteht zum Beispiel darin, sich vorzustellen, wie Sie mit leichtem, lockerem Schritt dahinlaufen, aufrecht, schnell und dynamisch. „Neuromuskuläre Prozesse bewirken, dass dabei Zellreaktionen in Gang gesetzt werden wie beim richtigen Laufen“, sagt Barbara Walker. Sie empfiehlt auch eine zweite Form der Visualisierung: „Stellen Sie sich immer wieder vor, wie Ihre Verletzung heilt und wie die Schmerzen verschwinden. Das verstärkt nachweislich den Blutfluss und regt die Regenerationsprozesse an.“

NEUE ZIELE FORMULIEREN

Setzen Sie sich Ziele. Das hält Ihre Motivation auch dann aufrecht, wenn Sie gerade gar nicht laufen können. Außerdem erinnert es Sie immer wieder daran, dass Sie sich nicht hängen lassen sollten. Dabei dürfen die nächsten Laufziele ruhig noch in weiter Ferne liegen (etwa der Frankfurt-Marathon 2011). Definieren Sie auch Vorhaben, die nichts mit dem Laufen, wohl aber mit Ihrer Fitness zu tun haben: Kraulen lernen, 20 Liege-stütze schaffen, mehrere Yoga-Grundübungen beherrschen – es gibt bestimmt vieles, was Sie schon immer tun wollten, fürs Laufen aber bisher vernachlässigt haben.

IX Alternativen trainieren

 

Beim Laufen muss der Körper mit jedem Schritt ein Vielfaches seines eigenen Gewichts auffangen. Muskeln, Sehnen und Gelenke bekommen das zu spüren. Deshalb sind sich alle Experten einig, dass Ruhetage in den Trainingsplan jedes Läufers gehören, ohne Ausnahmen. Läufer, die zu Verletzungen neigen, sollten sogar niemals zwei Tage hintereinander laufen. Ruhetage müssen allerdings nicht bedeuten, dass man gar keinen Sport treibt, denn es gibt genügend gelenkschonende Alternativen zum Laufen.

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Nutzen Sie mindestens einmal pro Woche eine alternative Ausdauersportart, um einerseits nicht aus dem Training zu kommen, andererseits Ihren Körper aber dennoch zu entlasten. Dabei stärken Sie natürlich auch beim Laufen vernachlässigte Muskelgruppen und senken damit wiederum Ihr Verletzungsrisiko. Für Läufer besonders geeignete Alternativsportarten sind neben den bekannteren wie Schwimmen und Radfahren auch Einheiten auf dem Crosstrainer oder Ruder-Ergometer. Aber natürlich sollten Sie es mit den ungewohnten Alternativen nicht übertreiben – sonst sorgt dies wiederum für neue Überlastungssymptome. Und das wäre kontraproduktiv.

X Passende Schuhe wählen

 

Laufschuhe sind in den vergangenen Jahren immer besser geworden. Sie haben eine höhere Atmungsaktivität und eine verbesserte Passform, sie werden in verschiedenen Weiten angeboten und halten länger. Und das Beste: Das Angebot ist heute viel größer als früher: Ob stabil oder flexibel, schwer oder leicht, weich oder hart – Sie haben die freie Auswahl.

Und es gibt Schuhe für jeden Zweck: für den Wettkampf, das Training, für Trails oder die Bahn. Dadurch sollte es jedem möglich sein, einen Laufschuh zu finden, der tatsächlich zu seinen individuellen Ansprüchen passt, auch wenn das zugegebenermaßen nicht einfach ist. „Den einen optimalen Schuh gibt es nicht“, sagt J. D. Denton, der als Laufschuhverkäufer schon seit 35 Jahren den Markt beobachtet. „Und einen Schuh, den man bei einer bestimmten Verletzung vorziehen sollte, gibt es erst recht nicht“, ergänzt Denton. „Schuhe sind nicht dazu gemacht, Verletzungen auszukurieren, aber mit der richtigen Schuhwahl kann man Verletzungen vermeiden.“

Vor dem Schuhkauf muss man deshalb viele Modelle durchprobieren, bis der Schuh gefunden ist, der wirklich passt. Im Idealfall kann man dies vor dem Kauf im Laufschuhgeschäft tun.
 
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Glauben Sie nicht, dass Sie durch einen neuen Laufschuh Verletzungen ignorieren könnten, die durch falsches Training oder muskuläre Dysbalancen zustande gekommen sind. Wenn Sie neue Laufschuhe brauchen, besuchen Sie immer ein Lauffachgeschäft, das Ihnen eine optimale Beratung bietet.

Generell gilt: Kaufen Sie eher einen Schuh, der leichter und flexibler ist, und achten Sie besonders auf Ihr subjektives Gefühl beim allerersten Hineinschlüpfen. Haben Sie sich im Schuh sofort wohlgefühlt? Hielt das Gefühl auch noch nach den ersten Laufschritten im Laden an? Wenn ja, dann ist das ein gutes Zeichen.

Mussten Sie den Schuh erst ein paar Meter „einlaufen“, bevor er Ihnen gefiel? Weniger gut. Gleichen Sie Ihren persönlichen Eindruck mit der Empfehlung des Verkäufers ab. Stimmt beides überein, ist die Chance groß, dass der ausgewählte Schuh der richtige für Sie ist.

 

AMBY BURFOOT in RUNNERS WORLD – August 2010

author: GRR

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