Blog
22
07
2025

U23 Championships Bergen 2025 - Logo

Großes Team – Starker Auftritt – Das DLV-Team bei den Europa meisterschaften der U23 – Von Dr. Wolfgang Blödorn

By GRR 0

Bei den Europameisterschaften der Klasse U23 vom 17.-20. Juli 2025 in Bergen (Norwegen) distanzierte das deutsche Team die europäischen Nationen sowohl in der Medaillen- als auch in der Platzierungswertung klar. 

In beiden Wertungen ist ein ungefährdeter erster Rang zu konstatieren.

Mit insgesamt 26 Medaillen holte der DLV genauso viele Medaillen wie 2005. Der Rekord bei der Europameisterschaft der U23 in den letzten zwanzig Jahren wurde eingestellt. Das Ergebnis von acht Medaillen aus 2023 ist Vergangenheit. Es war aber auch das weitaus schlechteste Abschneiden des DLV in den letzten zwanzig Jahren (vgl. Tab. 1).

2025 konnten die DLV-Einzelstarter 22 (!) Medaillen erringen (vgl. Tab. 2). Eine gewaltige Leistungssteigerung! Stärke zeigte das DLV-Team auch in der Platzierungswertung (vgl. Tab.3). 83 Einzelstarter waren daran beteiligt. Davon konnten sich aber knapp die Hälfte nicht für den Endkampf um Platz Acht und damit die Medaillen qualifizieren.

Tab. 3: Platzierungsergebnisse des DLV-Teams der Einzelstarter bei der EM U23 2025

Bei der Betrachtung der Tabellen ist die Anmerkung zu beachten, dass es sich um Platzierungen oder Medaillen von Einzelstartern geht. Leichtathletik ist und bleibt eine individuelle Einzelsportart. Obwohl sie wichtig sind, können Staffeln die fehlenden Leistungen von Einzelstartern auf Dauer nicht ersetzen und wurden deshalb in den vorliegenden Tabellen nicht berücksichtigt.

Wenn die Werfer nicht wären …

Tab. 4: Übersicht der Platzierung nach Disziplinblöcken im DLV-Team von Einzelstartern bei der EM U23 2025

Tabelle 4 lässt es klar und deutlich erkennen: Das DLV-Team besitzt ausgesprochene Stärken, aber auch ausgeprägte Schwächen. Von einem flächendeckenden Erfolg des DLV-Teams in allen Disziplinblöcken bei den Europameisterschaften 2025 kann keine Rede sein! Im Gegenteil: Der Disziplinbock Wurf stellt mit elf Medaillen die Hälfte der Medaillengewinner. Der Block Wurf ragt damit großartig aus den Disziplinblöcken im DLV heraus.

Die Disziplinblöcke Sprint, Sprung und Lauf im DLV sind abgehängt

Wird der Block Mehrkampf wegen seiner nur zwei Möglichkeiten, Medaillen zu gewinnen, aus dem Leistungsspiegel herausgenommen, dann schnitt der Block Lauf in Relation zu der Anzahl der Starter am schlechtesten ab. Hier waren aber auch die meisten Einzelstarter zu verzeichnen, die sich nicht für den Endkampf qualifizieren konnten. Von 60 theoretisch möglichen Medaillengewinnen wurden lediglich vier realisiert.

Aber auch die Disziplinblöcke Sprint und Sprung taten sich nicht besonders hervor. Von 30 möglichen Medaillen im Block Sprint wurden drei errungen. Im Sprung konnten von 24 Möglichkeiten drei Erfolge auf den Medaillenplätzen verzeichnet werden. Für den DLV gilt es deshalb grundsätzlich für die Zukunft, den erfolgreichen Ansatz aus dem Disziplinblock Wurf auf die Blöcke Sprint, Sprung und Lauf zu übertragen.

Große Defizite im Block Lauf

Mit zwanzig Disziplinen stellt der Block Lauf den größten Anteil an Platzierungsmöglichkeiten bei den Blöcken bei der Europameisterschaft der U23. Insgesamt könnten hier 60 Medaillen zu gewinnen sein. Er besitzt damit den größten Pool aller Disziplinblöcke, um zu einem positiven Medaillenspiegel beizutragen.

Auf den Mittelstrecken (800 m und 1500 m) konnten die DLV-Starter keine Medaille erringen. Ein sechster und ein achter Platz stehen zu Buche. Eine besondere Schwäche im Mittelstreckenlauf ist bei den Frauen festzustellen. Nur eine Starterin über 1500 m und völlige Fehlanzeige im 800 m-Lauf.

Zu den Leistungen der Männer siehe hierzu auch den Artikel vom 18.06.2015 in GRR („800 m der DLV-Männer auf der Straße zur WM in Tokio 2025“). Es erweckt den Anschein, es lägen auf den Mittelstrecken noch Reserven bei den Trainingsmittel und der Leistungsentwicklung. Diese zu finden und zu beheben ist Aufgabe der Trainer und der Leistungsdiagnostik im DLV.

Dem DLV-Vorstand gegenüber muss die Frage erlaubt sein, ob die Förder- und Trainingsstruktur im Disziplinblock Lauf noch den internationalen Ansprüchen genügt. Es stellt sich auch die Frage, ob die Heimtrainer durch Fort- und Weiterbildung auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand sind. Auch die Beratung der Heimtrainer durch die Leistungsdiagnostik und die Bundestrainer scheint Wünsche übrig zu lassen.

Tiefe Sorgen um die Zukunft im Block Lauf des DLVs
2007 veröffentlichte das IAT Leipzig einen wissenschaftlichen Artikel mit dem Titel „Das Nachwuchstraining in den leichtathletischen Ausdauerdisziplinen – Entwicklungstendenzen und Ansätze zur Weiterentwicklung“.

Hierin wurde u.a. gefordert, im Nachwuchstraining der Langfristigkeit der Leistungsentwicklung den Vorrang vor Erfolgen im Nachwuchsalter zu geben. Sie verweisen auf die Notwendigkeit einer datenbasierten Nachwuchsförderung, um Anschluss an das internationale Leistungsniveau zu gewinnen. Langfristige Leistungsdiagnostiken, Trainingsanalysen, Wettkampfbetreuungen und

Trainerberatungen sind demnach notwendig.
18 Jahre nach der IAT-Studie konnten DLV-Mittelstreckler und Mittelstrecklerinnen keine Medaille bei Olympischen Spielen, Weltmeister- oder Europameisterschaften mehr erringen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Ergebnis im Block Lauf im DLV-Team mehr als nur besorgniserregend. Ist es denkbar, dass im DLV die Erkenntnisse dieser Studie nicht ausreichend und konkret genug sowie der Situation passend umgesetzt wurden?

Was stimmt im Disziplinblock Lauf nicht in der Leistungsdiagnostik, der Talentauswahl, der Talentberatung und der Talententwicklung?

Der DLV muss dringend die Nachwuchsförderung im Lauf neu ordnen
Betrachtet man das Ergebnis der Europameisterschaft der U23-Klassen in diesem Jahr, dann darf man festhalten, die Leistungsdiagnostik der IAT Leipzig für den Block Lauf hat es in der Vergangenheit nicht geschafft, die selbst geforderten Ergebnisse zu verwirklichen.

Diese mangelnde Umsetzung ist nicht nur für den DLV bedauerlich, sondern besonders für die vielen hoffnungsvollen Lauftalente in Deutschland. Es erscheint dringend geboten, die bisherigen Konzepte zur Talentauswahl, Talentberatung und Talententwicklung im DLV zu hinterfragen und neu zu strukturieren! Werden hier nicht wirksame Maßnahmen getroffen, dürfte die Zukunft für den Lauf im DLV wenig erfreulich werden!

Das starke Geschlecht bei der EM U23 in Bergen waren die Frauen
Neben einer Analyse nach Disziplinblöcken erscheint auch ein Blick auf die Medaillenausbeute der Geschlechter sinnvoll zu sein. Die Tabelle 5 macht sehr deutlich klar, es besteht eine sehr große Geschlechtsdifferenz beim Gewinnen von Medaillen. Die Frauen haben bei der Europameisterschaft der U23 in Norwegen fast dreiviertel aller Medaillen gewonnen!

Nun kann man einwenden, die Anzahl der DLV-Starterinnen war auch höher als die der DLV-Starter. Dabei sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass der Durchschnitt bezüglich der Ranglistenplätze in der DLV-Bestenliste 2025 mit Stand vor der Europameisterschaft 2025 der U23 der Frauen mit 2,49 schlechter war als der der Männer mit 1,86.

Kurz formuliert: Trotz der besseren Platzierungen in der DLV-Bestenliste waren die Starter der mU23 im Durchschnitt klar schlechter als die der wU23! Zeiten und Weiten vor einer Europameisterschaft der U23 scheinen nur wenig Aussagekraft für den Erfolg bei der Europameisterschaft zu besitzen.

Dieses Faktum wirft Fragen nach den Gründen oder Ursachen dieser auffälligen Geschlechterdifferenz auf. Der DLV-Vorstand ist aufgefordert, Ursachenforschung zu betreiben und Maßnahmen zu ergreifen, diese enormen Unterschiede vermindern. Die Beseitigung der Geschlechterdifferenz in den Medaillenrängen könnte die Chancen auf ein Mehr an Medaillen für den DLV befördern.

Tab. 5: Übersicht der Medaillengewinne nach Geschlecht im DLV-Team von Einzelstartern bei der EM U23 2025

Fazit

Das DLV-Team hat bei den Europameisterschaften in Bergen einen überragenden Erfolg erzielt!

Es darf aber nicht davon ausgegangen werden, dass sich dieser Erfolg in der Klasse der Aktiven fortsetzt. Dies war auch nach dem großen Erfolg bei der Europameisterschaften 2005 der U23 nur sehr bedingt der Fall.

Der Glanz des Erfolges bei den Europameisterschaften der U23 vom vergangenen Wochenende wird bei genauerem Hinsehen etwas matter. Dies verdeutlichen die Tabellen 4 und 5. Der DLV-Vorstand und seine nachgegliederten Institutionen im Leistungssport haben noch eine Menge Arbeit vor sich, um die bestehenden Unebenheiten auszugleichen.

Über den gelungenen Coup in Bergen euphorisiert zu strahlen, würde bedeuten, sich der Realität zu verweigern. Die Leichtathletik in Deutschland würde in diesem Fall wieder zurückgeworfen.

Man muss die Probleme nur anpacken wollen!

Dr. Wolfgang Blödorn

Die spezielle Ausdauer als Maß zur Bestimmung des Leistungs potentials im Lauf – Dr. Wolfgang Blödorn

Anmerkungen zu Pöhlitz‘ Beitrag „Wenn auf der Zielgerade die Sekunden verrinnen – Für die letzte Runde den Sieg vorbereiten“ – Dr. Wolfgang Blödorn*

DLV-Team holt Bronze bei der Team EM 2025 in Madrid – Von Dr. Wolfgang Blödorn

.

 

author: GRR