Zur 400-m-Unterdistanz in der Lauf-Nachwuchsausbildung ©A. Rigal
Zur 400-m-Unterdistanz in der Lauf-Nachwuchsausbildung – Lothar Pöhlitz in der Leichtathletik Coaching-Academy
© Lothar Pöhlitz – Dezember 2016 – Die bestehenden, gültigen deutschen Rekorde über 800 m wurden von Willi Wühlbeck vor 30 Jahren (1983) mit 1:43,65 und Sigrun Wodars vor 26 Jahren (1987) mit 1:55,26 Minuten aufgestellt.
Ein Leistungsbereich, der inzwischen Grundvoraussetzung für Medaillen bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften ist. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass das 8 x 100 m um 12,9 für Männer bzw. 8 x 100 m um 14,4 Sekunden für Frauen ohne Pause bedeutet, und bis zu den Weltrekorden nur 0,3 Sekunden schneller notwendig wären, scheint das theoretisch alles machbar.
Wenn es nur so einfach wäre. Beobachtungen lassen jedoch den Schluss zu, dass derzeit den 400-m-Läufern aerobe Kapazität, den 800-m-Läufern Geschwindigkeit, und beiden ein hohes Maß an Laufökonomie/Lauftechnik fehlt.
Wissenschaftlich ist belegt, dass die ererbten Verteilungsverhältnisse von ST- und FT-Fasern durch Training nicht veränderbar sind, durch Lauftraining aber die Stoffwechseleigenschaften in den Muskelfasern verbessert werden können. Schnelligkeits- und Schnelligkeitsausdauertraining prägen durch eindeutig gerichtete Trainingsreize die anaerobe Energiegewinnung in den FT-Fasern besonders aus. (NEUMANN u. a. 2002 S. 264)
400-m-Alarm – U18-EM ohne 400-m-Teilnehmer, U20-WM keine männl. Jgd.
Bei den Männern ein letzter Platz im 4×400-m-Finale bei der EM 2016 in Amsterdam, die Frauen-Staffel wurde Fünfte. Im Einzel keine Finals. Weil auch bei der U18-EM keine 400-m-Läufer für die Einzelwettbewerbe der Mädchen und Jungen, und für die U20-WM nur 2 weibliche Jugendliche für die 400 m nominiert wurden, weist uns das auf die Problematik auch für die Zukunft der Mittelstrecken hin – leider kein neues Problem.
Konsequenz: Die Läufer müssen sich zügig selbst um den schnellen Nachwuchs kümmern und möglichst früh Talente finden, deren Schnelligkeits-/Schnellkraftfähigkeiten und Willensqualitäten eines Tages 2 schnelle Runden im Spitzenbereich möglich machen, und sie auch selbst ausbilden. Unsere derzeitigen Besten über 800 m, beispielsweise bei den Männern mit Leistungen um 1:46 Min., und deren 400-m-Leistungsfähigkeit, machen den großen Abstand zu den Weltbesten auf dieser Strecke deutlich.
Sprinttrainer sind natürlich bemüht – das zeigen die letzten Jahre –, auch mittelmäßige Sprinter selbst zu behalten und in den 4×400-m-Staffeln unterzubringen. Das schwächt natürlich auch die Konkurrenzfähigkeit auf 1500 m, weil kein besonderer Druck auf die 800-m-Läufer wirkt, die Strecke zu wechseln.
Die 400-m-Unterdistanz – ein wichtiger Teil der Mittelstreckenausbildung
Mehr qualitativ-intensitätsorientiertes Training
Das Mittelstreckentraining erfordert letztendlich eine optimale Balance zwischen überwiegend schnellem, anaerobem Training, Unterdistanzstärke und aerober Kapazität. An der Ausdauer arbeiten alle, viele aber ohne die notwendigen Trainingseinheiten in 10-20 % schneller als Renntempo und für die Kraft, um die erste Runde „möglichst leicht, schnell und entspannt gelaufen“ zu ermöglichen. Die 400-m-Unterdistanz – das zeigen die Bestenlisten – gehört für viele von 800-5000 m offensichtlich nicht zum Trainingskonzept. Dabei brauchen Mittelstreckler nicht nur das Renntempo, sondern auch Schnelligkeit, Schnelligkeitsausdauer, viel spezielle Kraft und eine möglichst optimale Lauftechnik bis ins Ziel.
In der Fachliteratur wird auch immer wieder auf die Zusammenhänge zwischen der 400-m-Leistung, spezieller Kraft, explosiven Sprüngen bzw. explosiver Sprungkraftausdauer (bis zu 30“) hingewiesen. Geschwindigkeit aber setzt ein außerordentliches genetisches Erbe, einen hohen Anteil schnellzuckender FT-Muskelfasern und die volitive Bereitschaft zu harter, anaerober V02max-Arbeit voraus.
Sie darf im Schüleralter oder im Jugendtraining nicht länger aufs Spiel gesetzt werden, wie das Niveau in den derzeitigen Jugendbestenlisten über 400 m dokumentiert. Das Problem bleibt bestehen, wenn in der Talentsuche und -ausbildung alles beim alten bleibt und die dann bei der Talentsuche „schnellsten, die in der Regel zu langsam sind“ müssen gleich für die längeren Strecken ausgebildet werden.
800-m-Läufern fehlt Geschwindigkeit , den 400-m-Läufern aerobe Kapazität
Wenn für Spitzenzeiten über 800 m nach den ersten 400 m eine 49,.. bei den Männern und eine 57,.. bei den Frauen als Zwischenzeit nötig ist, braucht man Bestzeiten um 3-4 Sekunden schneller als die Durchgangszeiten, d.h. 45er- bzw. 53er-Zeiten, um eines Tages mit den Weltbesten konkurrieren zu können. Wer aber nach der passenden 400-m-Zwischenzeit bei 600 m keine Laktatreserven hat und die letzten 100 m nicht mit mehr als 20 mmol/l Laktat schafft, hat den richtigen Schlüssel für die Strecke noch nicht gefunden. Ein Weg dahin wäre das „schneller bei kürzeren Pausen“.
Sprintqualität, spezielle Kraft und Laktattoleranz
Sprintqualität, Schnelligkeitsausdauer und spezielle Kraft für 400 m müssen durch harte, anaerobe V02max-Arbeit in Kombination mit spezieller Ausdauer auf der Grundlage eines hohen aeroben Basisniveaus vorbereitet werden. Wenn weltweit die Sportwissenschaft die anaerob/aeroben Anteile an der Energiegewinnung für 400 m im Bereich um 70:30 % und für 800 m um 60:40 % beschreibt, und die Laktatwettkampfwerte deutlich über 20 mmol/l für beide Strecken liegen, unterstreicht das die Bedeutung, die dem Training der Laktattoleranzentwicklung und der Laktatmobilisationsfähigkeit zukommen muss. Da muss mehr als 50 % anaerobe schnelle Arbeit einfach sein.
Beobachtungen lassen den Schluss zu, dass den 400-m-Läufern aerobe Kapazität, den 800-m-Läufern Geschwindigkeit, und beiden ein hohes Maß an Laufökonomie/Technik fehlt.
„Doppelte 200-m-Bestleistung + ca. 4 Sekunden“
400 m: In den ersten und den letzten 100 m liegt der Schlüssel für Läufer
Die Faustregel, um den 400-m-Ausbildungsstand zu bewerten, ist sich entweder an der „doppelten 200-m-Bestleistung + ca. 4 Sekunden“ oder an der Differenz zwischen den ersten und zweiten 200 m im Rennen um 2 Sekunden zu orientieren. Damit wird schon deutlich, dass die erste Entwicklungsreserve in der 200/100 m Bestleistung und damit bei 400-m-Rennen in der 100-m-Angangs-/Startzeit liegt. Die zweite Aufgabe ergibt sich aus der Praxis, den in der Regel „zu langsamen“ letzten 100 m.
Will sich eine 800-m-Läuferin beispielsweise auf 54,0 über 400 m verbessern, so wäre die Lösung für das Rennen 26“ + 28“ = 54“. Das funktioniert aber nur, wenn die 200-m-Bestleistung zum Zeitpunkt des Rennens mindestens 25“ (Formel: 2 x 25“ + 4“ = 54“) beträgt. Im Detail müsste man dafür beispielsweise anstreben:
13,5“ (a.d. Tiefstart) + 12,5“ fliegend + 13,0“ + 15“ = 54,0“
(d.h. die Läuferin muss 300 m mit Reserven am besten < 39“ können). Die letzten 100 m allein weisen auf die Bedeutung der Schnelligkeitsausdauer für die 400-m-Leistung und der finalen 150 m mit Laktatanstieg auf > 20 mmol/l im Ziel hin.
Eine Schlüssel–TE zur Problemlösung (im Verlaufe des Jahres systematisch aufzubauen) wäre z.B.:
1 – 2 – 3 x (300 m + 100 m P: 25“-30“ / Sp: lang)
beispielsweise so gestaltet:
100 m 95-100 % + 200 m in 80-90 % „ökonomisch“ + P: 25“-30“ + 100 m „max.“
Natürlich sind auch diese Kombinationen denkbar wie z.B.:
1-3 x 200 m (95%) / P: 1´ + 1 x 100 (90 %) P: 1´+ 1 x 60 m max. / SP: 5´
oder
1-3 x 300 m (90 %) + P 1´ + 1 x 100-150 m max. / SP: 5´
Daneben sind in einer 400-m-Vorbereitung für Mittelstreckler noch diese Aufgaben zu lösen (Beispielhafte Teil-TE):
- 2-3 x (3-5 x 60-150 m) Summe pro TE: 400-1400 m
- 1-6 x 300-150 m / Summe pro TE: 300-900 m
- 8-12 x 6-7 Sek. alaktazid – >95 % bis maximal
- 4-6 x 10-20 m a.d. Tiefstart oder 20 m fliegend max.
Laufschnelligkeit ist nur durch spezielle, nicht durch allgemeine Übungen trainierbar. Submaximale Intensitäten bereiten maximale Intensitäten vor, haben selbst aber nur eine indirekte Wirkung auf die Verbesserung der Maximalgeschwindigkeit.
Siehe auch LCA 2/2008 Schnelligkeitsentwicklung im Jugend-Aufbautraining Lauf Teil 1 – 4
Fotos: Rigal, Kiefner, Schneider
Lothar Pöhlitz
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