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09
01
2013

Wolfgang Heinig: „Wir möchten Athleten unterstützen, ihre Träume zu verwirklichen" ©Lothar Pöhlitz

Wolfgang Heinig: „Wir möchten Athleten unterstützen, ihre Träume zu verwirklichen“ – Wilfried Raatz im Gespräch mit dem Bundestrainer

By GRR 0

Bei den Cross-Europameisterschaften im Freiluftmuseum Skanzen in Szentendre vor den Toren der ungarischen Hauptstadt Budapest (9. Dezember) gab Wolfgang Heinig, der neue Cheftrainer Lauf beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV), mit drei Medaillen sein Comeback als Bundestrainer, nachdem er bis 2004 schon für den Marathonbereich verantwortlich zeichnete.

Über seine sicherlich vorzeigbare Bilanz, aber auch mit dem Blick voraus unterhielt sich der Fachjournalist Wilfried Raatz mit dem neuen Leitenden Bundestrainer Lauf.    

 

Wie fällt mit nun einigen Tagen Abstand ihr persönliches Fazit über die 19. Cross-Europameisterschaften aus?

Wolfgang Heinig:

Mit Maya Rehberg und Corinna Harrer konnten unsere Leistungsträger in der europäischen Spitze mithalten, wenngleich Corinna Harrer nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte war und ihre Möglichkeiten nur bedingt ausschöpfen konnte. Dahinter jedoch gab es erhebliche Unterschiede, auch wenn es für die Mannschaften im U 20- und U 23-Bereich Medaillen gab. In der Breite und Dichte haben andere Nationen in Europa ähnliche Probleme wie wir, sonst hätten nicht wie bei den U 20-Juniorinnen Punktzahlen über 100 Punkte zu Medaillen gereicht.

Das war allerdings nur die halbe Wahrheit. Wir wissen, dass die DLV-Juniorinnen bei einer Cross-EM immer für Medaillen gut sind. Doch wie fällt die Bilanz für den männlichen Bereich aus?

Wolfgang Heinig:

Wir mussten natürlich erkennen, dass wir im Juniorenbereich kein europäisches Niveau haben, auch wenn ein Johannes Motschmann am Anfang mutig mitgelaufen ist. Aber letztlich ist die abrufbare Leistung ein Spiegelbild des Belastungsniveaus. Und hier muss ich klar sagen, dass wir das Belastungsniveau nicht haben, um in Europa mithalten zu können! Unsere Stärke liegt also im weiblichen Bereich, Probleme haben vor vorrangig im männlichen Bereich!

Gut, das ist der Blick auf den Nachwuchs. Als in Europa führende Leichtathletik-Nation ist es natürlich auffällig, dass Deutschland bei den Männern und Frauen bis auf Christiane Danner als Einzelstarterin bei den Frauen durch Abwesenheit geglänzt hat. Wie rechtfertigen Sie diese Entscheidung?

Wolfgang Heinig:

Auch wenn verschiedene Trainer im Vorfeld der EM gefordert haben, auch ein Männer- und Frauenteam an den Start zu stellen – die Entscheidung mit Einzelstartern war richtig. Wir haben einfach eine zu geringe Dichte im Spitzenbereich. Nur mit unseren drei, vier besten Läufern in Topform hätte es vielleicht gereicht. Gerade das Frauenrennen hat gezeigt, auf welch hohem Niveau in Europa gelaufen wird – und wir unseren sich angebotenen Läuferinnen keinen Gefallen mit einer EM-Nominierung gemacht hätten.

Cross-Europameisterschaften sind sicherlich auch immer eine vorzügliche Gelegenheit, sich mit Trainerkollegen aus anderen Ländern auszutauschen. Hatten Sie trotz des gedrängten Zeitplanes mit einer verspäteten Anreise Kontakt zu anderen Trainern?

Wolfgang Heinig:

Natürlich haben wir uns mit den Schweizern und Österreichern ausgetauscht. Aber auch mit den Portugiesen, die wie wir eine gemeinsame Odyssee über Frankfurt und Wien zu überstehen hatten. Aber auch mit dem Trainer von Mo Farah. Aber eigentlich gibt es keine neuen Erkenntnisse. Das Niveau ist bei der Cross-EM erheblich gestiegen, so dass eine Teilnahme nur dann einen Sinn macht, wenn die zielgerichtete Vorbereitung im September beginnen kann. Die Zeiten sind vorbei, dass man eine derartige EM aus Spaß mitnehmen kann. In anderen Ländern wird bereits im U 20-Bereich mit anderen Belastungen gearbeitet, wovon wir weit entfernt sind.   

Diese Cross-Europameisterschaften in Ungarn wurden somit der Startpunkt für Ihre Tätigkeit als Leitender Bundestrainer Lauf, die sie am 1. November aufgenommen haben. Welche Schwerpunkte sehen Sie in Ihrer künftigen Arbeit?    

Wolfgang Heinig:

Ich kann natürlich auf einen gewachsenen Trainerstamm beim DLV zurückgreifen, der seit einigen Jahren bereits in verschiedenen Altersbereichen aktiv ist. Ein gewisses Läuferpotential ist vorhanden. Es ist aber auch erforderlich, dass wir die Zusammenarbeit mit Sportwissenschaftlern besser darstellen müssen. Der Fokus liegt natürlich auf 2016. Aber wir haben praktisch zur Halbzeit im Jahr 2014 die Europameisterschaften in Zürich. Dort werden wir natürlich sehen können, wo wir zu diesem Zeitpunkt stehen und was noch zu tun sein wird

Reichen diese Korrekturen aus, um dem Laufbereich einen, gemessen an der Anzahl der Laufsport treibenden Bevölkerung, entsprechenden Stellenwert geben zu können?

Wolfgang Heinig:

Es gilt außerden, einige strukturelle Veränderungen vorzunehmen, um die Kräfte stärker bündeln zu können. Es gibt eine Reihe von Übungsleitern, die ticken ähnlich wie ich, so dass wir künftig eine klare Aufgabenverteilung auf Verbandsebene vornehmen können. Als Teammanager sehe ich eine Aufgabe darin, die Zusammenarbeit innerhalb der Nationalmannschaft, aber auch mit internationalen Trainern zu intensivieren. Die Situation mit Heimtrainern, die weniger eine Sportlehrerausbildung, sondern eine Qualifikation mit einer Übungsleiterlizenz haben, sollte verbessert werden. Deshalb wird auf die Trainerweiterbildung besonderen Wert gelegt werden müssen.

Bedeutet für Sie die Ernennung zum Cheftrainer Lauf beim Deutschen Leichtathletik-Verband eine persönliche Rehabilitierung nach der Vertragsauflösung 2004?

Wolfgang Heinig:

Es war eine andere Zeit, es waren andere Leute, es waren andere Vorstellungen. Das ist nicht deckungsgleich mit der aktuellen Situation beim DLV. Ich stehe für eine vernünftige Arbeit. Für mich bedeutet dies, ein Straßen-Team aufzubauen, dazu gehören auch unsere Besten wie Irina Mikitenko, Sabrina Mockenhaupt, Sören Kah, die Hahner-Zwillinge….

Ein erster Schritt wird im Januar bereits getan, wenn wir mit einer großen Mannschaft ins Trainingslager nach Chiclana gehen. Eine Gruppe wird mit Katrin Dörre-Heinig, die die Marathonläufer verantwortlich betreuen wird, nach Iten in die Höhe gehen.

Trainingsmaßnahmen in Spanien und Kenia – bedingt dieses nicht zugleich einen  starken Etat, der für diese Maßnahmen zur Verfügung stehen muss?

Wolfgang Heinig:

Ich denke, hier ist nicht nur der Verband gefordert. Ein Teil der Athleten verdient mit ihrem Sport gutes Geld. Die geplanten Trainingsmaßnahmen sind nur zu schultern, wenn sich Verband, Vereine, Ausrüster und Athleten in diese Belastungen teilen, damit zumindest die Unkosten gedeckt werden können. Aber es ist nicht das Geld alleine, das hier von Bedeutung ist. Es ist die Motivation, der Biss, der Traum…

Wie groß sehen Sie die Chancen, innerhalb von zwei bis vier Jahren den Anschluss an das internationale Niveau im Mittel- und Langstreckenlauf herstellen zu können?

Wolfgang Heinig:

Wir haben eine Reihe von jungen Leuten, die diesen Anschluss herstellen können. Das haben die Europameisterschaften in Helsinki gezeigt. Dabei kann der Bogen von Mittelstrecklern wie Sören Ludolph, Florian Orth oder Diana und Elina Sujew bis hin zum Marathonbereich mit den Hahner-Zwillingen gespannt werden.

Im männlichen Bereich ist die Qualität geringer als im weiblichen. Hoffnungen setze ich aber auch auf junge Läufer wie Homiyu Tesfaye, der ab Sommer auch international für Deutschland startberechtigt ist. Auf den Langstrecken ist es wichtig, mit hohen Belastungen einem Läufer wie Arne Gabius nachzueifern, der in Europa schon wahrgenommen wird.  

Ist nicht wie im Fall von Arne Gabius aber ein Widerspruch zu Ihrer Philosophie zu erkennen?

Wolfgang Heinig:

Keineswegs. Arne Gabius hat bei Dieter Baumann viele Umfänge gelaufen, so dass er jetzt höchste Qualitäten setzen kann. Im Trainingslager in Kenia konnte er höchste Belastungen auch mit den Spitzenläufern mitlaufen. Ich behaupte nach wie vor, dass Langstreckler mit einer Grundlage von 6000 bis 8000 Jahreskilometern daraus Qualität entwickeln können. Es bringt nichts, jedes Jahr lediglich die Umfänge zu steigern.

Wenn man Ihren Ausführungen Glauben schenken darf, sehen Sie durchaus Licht am Horizont im Langstreckenbereich?

Wolfgang Heinig:

Wir haben durchaus ein Lauf-Potential, das zu Spitzenleistungen befähigt ist. Und diese Athleten haben ein Recht, von erfahrenen Trainern geführt zu werden. Natürlich müssen neue Ideen ins Training eingebaut werden. So darf eine Hypoxiekette nicht am Ende der Karriere stehen. Nur so können wir auch einen neuen Belastungsanspruch realisieren!

Aber es ist in erster Linie eine Frage, die der Sportler für sich beantworten muss. Träume zu haben ist entscheidend. Deshalb stellt sich die Frage: Wer möchte sich diesen Traum erfüllen? Wir können diese jungen Sportler als Trainer nur begleiten.

Denn nicht wir erringen die Medaillen, sondern das sind alleine die Athleten, der sich diese Träume verwirklichen möchten.    

 

Wilfried Raatz – "erschienen in "Leichtathletik – 2/2013".

 

 

author: GRR

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