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23
06
2008

156 Fackelträger werden die olympische Flamme heute vom Norbulingka Park zum Potala-Palast, der ehemaligen Winterresidenz der Dalai Lamas tragen.

Wo ist die Fackel? Untergejubelt – Heute wird die olympische Fackel durch Tibet getragen. Wie inszeniert ist dieser Lauf? Benedikt Voigt, Peking, und Ruth Ciesinger, Berlin im Tagesspiegel

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Es ist das Jahr der Unglücke in China, und abergläubische Chinesen haben die Schuldigen dafür gefunden: die fünf Olympiamaskottchen namens Fuwa. „Der Fluch der Fuwa“ nennen sie die Unglücksserie, weil sich jede Tragödie einem Maskottchen zuordnen lässt.

Der Fisch steht für die aktuelle Regenkatastrophe in Südchina, die Schwalbe für ein Zugunglück in Shandong, der Panda für die vom Erdbeben heimgesuchte Provinz Sichuan. Das Fackelmaskottchen hat sein Unglück bei den Protesten gegen den Fackellauf in London und Paris erlebt, die tibetische Antilope bei den Unruhen in ihrer Heimat im März. Doch was passiert eigentlich heute, wenn Fackel- und Tibetmaskottchen aufeinandertreffen?

Vor unangenehmen Folgen fürchten sich offenbar auch Chinas Behörden. Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen wird deshalb heute der olympische Fackellauf durch Tibets Hauptstadt Lhasa führen. Am 14. März hatten sich an gleicher Stelle friedliche Demonstrationen von Tibetern zu gewalttätigen Protesten und Unruhen gegen Han-Chinesen entwickelt. Seitdem herrscht in der seit 1949 von China annektierten Provinz der Ausnahmezustand. Ausländische Touristen dürfen nicht mehr einreisen, Journalisten konnten sich lediglich während drei staatlich organisierter Reisen über die Ereignisse informieren, eine unabhängige Untersuchung der tödlichen Auseinandersetzungen lässt die chinesische Regierung nicht zu.

Der elf Kilometer lange Fackellauf durch Lhasa wird deshalb von zahlreichen Exiltibetern und Menschenrechtsorganisationen als Provokation begriffen. „Die Situation in Lhasa ist alles andere als normal“, sagt Sophie Richardson von Human Rights Watch. „Die Behörden fürchten, dass die Tibeter versuchen, erneut zu protestieren, und die Tibeter fürchten, dass sie jederzeit aus allen möglichen Gründen festgenommen werden könnten.“ Ihre Organisation wirft der Pekinger Olympiaorganisation (Bocog) und dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) vor, mit dem heutigen Lauf die olympische Bewegung zu beschädigen. „Ich sehe keine Probleme“, sagt hingegen Bocog-Mediendirektor Li Zhanjun. Es sei alles gut vorbereitet.

Die Umstände des heutigen Laufes sprechen eine andere Sprache. Ursprünglich sollte der Fackellauf drei Tage lang durch Tibet führen, nun ist er auf einen Tag verkürzt worden. Überraschend ist der tibetische Abschnitt der „heiligen Flamme“, wie die Olympiaorganisatoren die Fackel nennen, vor einer Woche abgesetzt und erst am Dienstag neu terminiert worden. Beobachter vermuten, die Verkürzung und das Verwirrspiel sollten Protestkundgebungen und Anschläge verhindern.

Bocog-Sprecher Sun Weide widerspricht: „Der Lauf führt deshalb nur noch an einem Tag durch Lhasa, um den neuen Zeitplan des Fackellaufs einzuhalten.“ Nach dem Erdbeben in Sichuan, das mindestens 70 000 Tote gefordert hat, war der Lauf während der dreitägigen Staatstrauer in China ausgesetzt worden.

156 Fackelträger werden die olympische Flamme heute vom Norbulingka Park zum Potala-Palast, der ehemaligen Winterresidenz der Dalai Lamas tragen. Die vergangenen Streckenabschnitte in der ebenfalls von Unruhen bedrohten Provinz Xinjiang und in Yunnan gaben bereits eine Ahnung auf den heutigen Lauf. In der von Tibetern bewohnten Stadt Shangri-La hatten die Mönche während des Fackellaufs bis sieben Uhr abends Ausgangssperre. „Unser Lehrer hat uns angewiesen, heute nicht das Kloster zu verlassen“, sagte ein Mönch gegenüber Reuters.

Die Nachrichtenagentur berichtet weiter, dass es in der Provinz Xinjiang starke Sicherheitsvorkehrungen, Ausgangssperren, Geschäftsschließungen sowie Jubel- und Folklore-Inszenierungen der Uiguren-Minderheit gegeben habe. Ein uigurischer Ladeninhaber, der dem Spektakel vor seiner Haustür nichts abgewinnen konnte, sagte: „Das sind Chinas Olympische Spiele.“ Nicht seine.

Es sind wohl auch nicht die vieler Tibeter. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International sitzen seit den Unruhen rund 1000 Tibeter ohne Anklage in den Gefängnissen. Auch die Ankündigung der chinesischen Regierung im Mai, sie werde die offiziellen Gespräche mit Gesandten des Dalai Lama wieder aufnehmen, hat daran nichts geändert. Chinas Führung fürchtete einen massiven Imageschaden. Tatsächlich kamen am 4. Mai die beiden Sondergesandten des Dalai Lama mit den chinesischen Vizeministern Zhu Weiqun und Sithar im chinesischen Shenzhen zu einem „informellen Treffen“ zusammen.

Mit ungewöhnlichem Ergebnis. Nachdem in der Vergangenheit chinesische Offizielle derartige Treffen am liebsten verschwiegen, verkündete diesmal Präsident Hu Jintao persönlich, die nächsten Gespräche mit den Tibetern würden „zeitnah“ und im „konstruktiven Dialog“ stattfinden. Die Gesandten des Dalai Lama lobten „die offene und freie Diskussion in freundlicher und respektvoller Atmosphäre“. Sehr viel mehr ist seitdem aber nicht passiert.

Eine „siebte Runde“ der chinesisch- tibetischen Gespräche, von denen es seit 2002 insgesamt sechs gegeben hat, war für die zweite Juniwoche erwartet worden. Doch Peking erklärte Anfang des Monats, wegen des schweren Erdbebens müsse das Treffen verschoben werden. Bei der tibetischen Exilregierung in Dharamsala hofft man, dass die „Runde“ trotzdem noch in diesem Monat stattfinden wird. Nur ist fraglich, ob überhaupt etwas dabei herauskommt. Es soll um eine „echte Autonomie“ für Tibet und die sechs Millionen Tibeter gehen. Diese berufen sich dabei auf ein Weißbuch Pekings zu den Minderheitenrechten, das jedoch nicht umgesetzt worden ist.

Die Chinesen wiederum unterstellen ihren Verhandlungspartnern mit Blick auf die Charta der Exiltibeter, dass sie das Ziel der Unabhängigkeit trotz gegenteiliger Beteuerung des Dalai Lama nicht aufgegeben haben. Außerdem, politische Autonomie – was heißt das, und für welches Gebiet soll sie gelten? Der Dalai Lama nennt Katalonien oder Südtirol als Beispiele, konkreter wird er nicht. Das heutige Tibet macht bereits einen großen Teil des chinesischen Staatsgebietes aus; zählt man noch die angrenzenden Provinzen hinzu, in denen ebenfalls Tibeter leben, wächst die Fläche auf ein Drittel des Landes an. Darauf würde sich Peking nicht einlassen.

Sam Zarifi, Amnestys Asien-Pazifik- Direktor, hofft, dass der Fackellauf die Augen der Welt auf das Schicksal der Tibeter lenkt: „Es kommen nur sehr wenig Informationen aus Tibet heraus, aber die Informationen, die wir haben, malen ein schreckliches Bild von willkürlicher Haft und Gefangenenmissbrauch.“ Der Fackellauf sei auch eine Gelegenheit, Licht in ihre Situation zu bringen.

Benedikt Voigt, Peking, und Ruth Ciesinger, Berlin im Tagesspiegel vom Sonnabend, dem  21.06.2008

 

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