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08
09
2011

Laufen ist gesund. Das ist unbestritten, aber es ist ebenso klar, dass ein Wettkampf, wo der Körper bis an die Grenze und nicht selten auch darüber hinaus gefordert wird, bestehende körperliche Probleme schonungslos offenlegt. ©LSB - NRW - Andrea Bowinkelmann

Wie viel LAUFEN ist sinnvoll? – Jürg Wirz in CONDITION

By GRR 0

Es gibt kein Patentrezept, das für jeden anwendbar ist, keine allgemeingültige Formel. Während ein Marathonläufer der Weltklasse ohne nennenswerte Probleme 200 oder 250 km in der Woche läuft, sind für einen übergewichtigen Zeitgenossen möglicherweise schon 30 km zu viel. Die Belastungsgrenze ist sehr individuell, je nach Alter, körperlichen Voraussetzungen und Trainingsjahren.

Durch ein dosiertes, maßvolles Training lässt sich diese Grenze aber verschieben, auch im Alter. Das ist das Erfreuliche.

Laufen steigert nicht nur das allgemeine Wohlbefinden und die Kondition, es reduziert auch das Risiko für viele Erkrankungen, wie solche im Bereich von Herz und Kreislauf und auch Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit).

Der Blutdruck sinkt, Cholesterinwerte werden günstig beeinflusst und der Bewegungsapparat sowie das Immunsystem werden gestärkt. Es gibt unzählige Untersuchungen, die das belegen. Ein paar Beispiele: Wer mehr Sport treibt, kann mit statistischer Zuverlässigkeit davon ausgehen, dass er länger lebt als jener, der ein bewegungsarmes Leben führt; für jede Trainingsstunde dürfen Sie zwei zusätzliche Lebensstunden erwarten.

Der Nutzen ist größer, je mehr Kalorien verbraucht werden (Dr. Ralph Paffenbarger im „Journal of the American Medical Association, 1995). Die „National Runner‘s Health Study“ zeigt: Läufer, die den wöchentlichen Trainingsumfang erhöhen, verringern den Anteil des „bösen“ LDL-Cholesterins am Gesamtcholesterin. Zudem wird auch der systolische Blutdruck reduziert. Die Reduktion des LDL-Cholesterins bei jenen, die mehr als 65 km in der Woche laufen, bedeutet eine 30-%ige Verringerung des Risikos für Herzanfälle.

Im „Journal of the National Cancer Institute“ wurde berichtet, dass bei Frauen im gebärfähigen Alter das Brustkrebsrisiko reduziert wird, je höher der wöchentliche Kilometerumfang ist. Gemäß einer Studie von Dr. Kenneth Cooper haben Männer, die regelmäßig trainieren, ein um 60 % verringertes Risiko für Herzanfälle, bei den Frauen sind es 40 %.

Immer mehr Menschen laufen

Es gibt immer mehr Menschen, die den positiven Nutzen von Laufen (und Walking) an sich selbst erfahren. Verschiedene Quellen nennen etwa 17 Millionen Menschen, die in Deutschland regelmäßig laufen/joggen oder zumindest gelegentlich. Das sind immerhin 27 % der über 14-Jährigen.

Die Zahl der Starts bei Volksläufen überstieg 2008 zum ersten Mal die Zwei-Millionen-Grenze (genau 2.038.963) und ist weiterhin leicht zunehmend. Etwa 25 % der Teilnehmer sind weiblich. Wenn man von sechs Starts pro Jahr ausgeht, gibt es also etwa 340.000 Menschen, die in Deutschland regelmäßig an Laufveranstaltungen teilnehmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass im ganzen Land jährlich etwa 180 Marathonläufe durchgeführt werden. Der Lauf mit der größten Teilnehmerzahl ist selbstverständlich der Berlin-Marathon mit rund 35.000 Finishern, neun haben mehr als 2.000 Läufer im Ziel, alle anderen sind kleiner.

Innerhalb kürzester Zeit waren in diesem Jahr die 40.000 Startplätze für Berlin weg.

In Chicago (dort findet der Marathon am 9. Oktober zum 35. Mal statt) waren alle 45.000 Startplätze innerhalb von 31 Tagen verkauft. In New York bewerben sich jedes Jahr mehr als 100.000 um die 50.000 Startplätze. Kein Zweifel, der Laufboom ist weltweit ungebremst. Das ist einerseits erfreulich, denn Laufen macht Spaß und ist gesund.

Immer mehr Menschen wollen „wenigstens einmal im Leben“ einen Marathon laufen. Wer die 42,195 km bewältigt hat, gilt nicht nur in der Laufszene als richtiger Mann (oder richtige Frau), sondern zunehmend auch in der Berufswelt. Je größer der Drang ist, an einer dieser Massenveranstaltungen teilzunehmen, desto größer wird indessen auch die Gefahr, vor allem für Menschen, die ihre eigene Leistung nicht richtig einschätzen und nicht ausreichend trainiert sind.

Wissenschaftler der Sporthochschule Köln zeigten eindrücklich, dass das häufig vorkommt. Sie untersuchten die Leistungsfähigkeit von trainierenden Hobbyläufern nach dem Zufallsprinzip. Mehr als die Hälfte der Jogger war über ihrem persönlichen Leistungsvermögen unterwegs – weil sie es nicht besser wissen oder ihrem Körper bewusst (zu) viel zumuten.

Fatale Zwischenfälle

Wer nicht auf seinen Körper hört und Warnsignale missachtet, muss seine Unvernunft zuweilen sehr teuer bezahlen. Extremsport kann Gelenke und den gesamten Bewegungsapparat irreparabel schädigen – und Herz
und Kreislauf überlasten. Immer wieder kommt es daher zu Kreislaufzusammenbrüchen und sogar zu Todesfällen. James „Jim“ Fixx war der Autor des 1977 veröffentlichten Bestsellers „The complete book of running“ (Das komplette Buch des Laufens), von dem mehr als eine Million Exemplare verkauft wurden. Fixx war einer der Protagonisten der Laufbewegung, die in den 70er Jahren in den USA begann und danach auch nach Europa überschwappte.

Im Alter von 52 Jahren starb Fixx nach einem Lauftraining an einem akuten Herzversagen, was die Kritiker unverzüglich auf den Plan rief. Laufen sei eben doch nicht so gesund, hieß es. Später wurde bekannt, dass der Amerikaner prädisponiert war: Sein Vater starb mit 43 Jahren an einem Herzinfarkt; Jim Fixx war ein starker Raucher, bevor er mit 36 Jahren zu laufen begann und brachte 100 kg auf die Waage.

Meist trifft es Laienläufer, aber nicht nur: 2007 in New York brach der 28-jährige US-Marathonläufer Ryan Shay nach 9 km leblos zusammen. Shay war vier Jahre zuvor amerikanischer Marathonmeister geworden und gehörte an jenem 3. November zum Favoritenkreis. Die Obduktion ergab, dass weder Medikamente noch Doping im Spiel waren.

DER LAUFBOOM IST WELTWEIT UNGEBREMST! GRUNDSÄTZLICH GILT: WER AN EINER VERLETZUNG LEIDET; TRAINIERT NICHT:

Laufen ist gesund. Das ist unbestritten, aber es ist ebenso klar, dass ein Wettkampf, wo der Körper bis an die Grenze und nicht selten auch darüber hinaus gefordert wird, bestehende körperliche Probleme schonungslos offenlegt.

Das sind im Normalfall Schwachstellen im Bewegungsapparat, die sich in Muskel- oder Gelenkschmerzen äußern, im schlimmsten Fall aber auch angeborene oder durch entsprechende Lebensweise erworbene Herz-Kreislauf-Schwächen. Ein Wettkampf bedeutet für den Organismus eine große Belastung, insbesondere bei hohen Temperaturen und/oder hoher Luftfeuchtigkeit. Wer Risikofaktoren in sich trägt – erblich bedingte Herzprobleme, Übergewicht, Rauchen – oder nicht wirklich gesund ist, kann nicht vorsichtig genug sein.

Wer viele Jahre ohne Sport verbracht hat und jetzt mit dem Laufen beginnen will, sollte sich unbedingt von einem Arzt gründlich untersuchen lassen (Belastungstest, bei dem eine eventuelle Vorschädigung des Herz-Kreislauf-Systems festgestellt werden kann) und die Erlaubnis einholen. Mit ärztlicher Überwachung und dosierter Belastung können in den meisten Fällen aber sogar auch Herzpatienten laufen.

Wer an einer fiebrigen Erkrankung leidet, läuft nicht! Grundsätzlich gilt auch: Wer an einer Verletzung leidet, trainiert nicht. Verzichten Sie auch bei kleineren Problemen ein paar Tage lang aufs Laufen und alle Aktivitäten, die den Bereich reizen könnten. (Im Falle eines Ermüdungsbruchs dauert die Trainingspause mehrere Wochen.) Wenn Sie wieder ins Training einsteigen, laufen Sie langsamer, damit die Verletzung nicht wieder aufbrechen kann. Stretchen Sie nicht, es sei denn, es handelt sich um eine Verletzung des Iliotibialbandes, das an der Außenseite des Beins von der Hüfte bis knapp unterhalb des Knies verläuft.

Bleiben Sie in der Phase des Heilungsprozesses mit Ihrem Arzt in Verbindung, folgen Sie seinen Anweisungen und handeln Sie nach dem gesunden Menschenverstand. Am besten, Sie üben Geduld und wechseln vorübergehend zu einer Alternativsportart, zum Beispiel Aquajogging oder Radfahren.

Wenn Sie – vielleicht sogar mit schmerzstillenden Medikamenten – bei einer Verletzung Ihr normales Trainingsprogramm weiterführen, riskieren Sie eine lange Zwangspause oder im schlimmsten Fall sogar das Ende Ihrer „Laufkarriere“.

Laufen kann zur Sucht werden

Sport ist gesund, wenn er maßvoll betrieben wird. Er kann aber auch zur Sucht werden. Betroffene leiden unter dem inneren Zwang, sich sportlich zu betätigen, ohne Wettkampfambitionen zu haben. Bei einem Teil der Sportsüchtigen kann gleichzeitig eine Essstörung (Anorexia athletica = bewusste Verringerung des Körpergewichts bis an die Grenze des Untergewichts oder darüber hinaus) vorliegen; in diesen Fällen dient intensives Trainieren vor allem dazu, das Körpergewicht zu reduzieren, um eine bestimmte Idealfigur zu erreichen. (Bei jungen Frauen, hin und wieder auch bei Läuferinnen, kommt auch die sogenannte Bulimie vor, die Ess-Brech-Sucht zur Reduzierung des Körpergewichts.) Bei Männern geht auch der zwanghafte Wunsch nach immer mehr Muskelmasse in Richtung Sportsucht.

Für die Entstehung von Sportsucht gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Auf der psychischen Ebene kann regelmäßig betriebener Sport dazu dienen, das Selbstbewusstsein zu steigern, Misserfolge in anderen Bereichen zu kompensieren und Problemen auszuweichen. Ein anderer Erklärungsansatz betont die Bedeutung der körpereigenen Hormonproduktion.

Bei intensiverer sportlicher Betätigung schüttet der Körper vermehrt Endorphine aus. Langstreckenläufer bezeichnen diesen Zustand als „Runner’s High“. Es geht aber auch um die aktuellen Ideale in der westlichen Leistungsgesellschaft. Leistung – auch sportliche, wie zum Beispiel das Absolvieren eines Marathonlaufs – hat einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert, hinzu kommen die Schönheitsideale, die sich zunehmend auch auf Männer beziehen.

Wie viel Laufen soll’s denn sein?

Nochmals zur Ausgangsfrage: Wie viel Laufen ist sinnvoll? Antwort: Es kommt ganz darauf an, welche Ziele Sie verfolgen.

Wenn Sie bloß etwas für Ihre Fitness und Ihr persönliches Wohlbefinden tun wollen, genügen 3 x 30 min in der Woche. Vergewissern Sie sich, dass Sie daneben auch möglichst viel zu Fuß unterwegs sind. Der bekannte amerikanische Coach und Bestsellerautor Jeff Galloway, Erfinder der Run-Walk-Run-Methode, empfiehlt an trainingsfreien Tagen 10.000 Schritte und an Trainingstagen 6.000. (Damit Sie die Anzahl der Schritte kennen, benötigen Sie einen Schrittzähler.) Stehen Sie öfter vom Stuhl auf und gehen Sie von einem Büro zum anderen, anstatt den Kollegen anzurufen, verwenden Sie Treppen statt den Fahrstuhl, parken Sie das Auto weiter vom Einkaufszentrum entfernt, gehen Sie ums Kinderspielfeld herum, während Sie Ihren Kindern (oder Enkelkindern) beim Spielen zusehen oder schaffen Sie sich einen Hund an, mit dem Sie sich regelmäßig bewegen (müssen).

Gehen/Walking ist eine hervorragende Methode zur Fettverbrennung.

Sport sollte einen Ausgleich zum Alltag bilden und nicht im Zentrum stehen, es sei denn, Sie bereiten sich auf einen für Sie wichtigen Wettkampf vor. Dann darf man die Prioritäten tatsächlich vorübergehend in Richtung Training verschieben. Wer an kürzeren Straßenläufen teilnehmen will, wird 2-3 x in der Woche laufen gehen, wer sich auf einen Halbmarathon oder Marathon vorbereitet, mindestens 3-4 x. Wieviel Sie laufen, hängt nicht nur davon ab, wie viel Sie in Ihren Sport investieren wollen, sondern mindestens so sehr, wie viel Training Ihr Körper verkraftet. Für alle, die größere Ziele haben, gilt deshalb auch: Laufen allein genügt nicht.

Wer größere Fortschritte machen will, muss vielseitig trainieren, das heißt alle Trainingselemente, wie Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit und Kraft, berücksichtigen. Mit einem stärkeren Muskelkorsett wird auch die Laufökonomie besser: Sie laufen mit dem gleichen Aufwand länger und schneller. Das haben auch die Besten längst erkannt. Marathoneuropameister Viktor Röthlin geht jede Woche einmal in den Kraftraum und macht daneben noch regelmässig Übungen für den Rücken und Bauchbereich. Lornah Kiplagat, die Halbmarathonweltmeisterin von 2007 und eine der bestenMarathonläuferinnen der Welt, macht, außer in den letzten drei Tagen vor einem Rennen, sogar 3 x in der Woche ein Krafttraining. An ihnen sollten wir Normalsterbliche uns orientieren.

Und noch etwas: Wenn die Leistung stagniert, sind Sie möglicherweise übertrainiert und/oder übermüdet. (Stress am Arbeitsplatz, zu wenig oder zu wenig erholsamer Schlaf oder ungenügende Regeneration nach einem harten Training kann dazu führen.) Dann reduzieren Sie das Trainingund/oder ziehen Sie einen zusätzlichen trainingsfreien Tag ein. Möglich ist aber auch, dass Sie sich ein Ziel gesetzt haben, das, gemessen an Ihrem momentanen Leistungsvermögen, zu hoch ist. Obwohl wir mit den Füßen laufen, brauchen wir dazu auch Fingerspitzengefühl – und den gesunden Menschenverstand.

Wenn Sie das beherzigen, werden Sie das Laufen immer genießen können – ein Leben lang!

Sind Sie sportsüchtig?

Sportsucht äußert sich auf verschiedene Weise: Ausdauersport ist zentraler Lebensinhalt (berufliche Ambitionen und soziale Kontakte verlieren an Bedeutung); bei erzwungenem Verzicht auf Sport treten körperliche Symptome wie Nervosität oder Magenschmerzen auf oder psychische wie Schuldgefühle oder Depressionen; der Drang zu trainieren, wird als innerer Zwang erlebt; körperliche Warnsignale werden ignoriert; auch bei Verletzungen und/oder Krankheiten wird trainiert.

Mit dem Selbsttest können Sie herausfinden, ob Sie sportsüchtig sind:

Mit dem Selbsttest können Sie herausfinden, ob Sie sportsüchtig sind:

1. Wenn ich zwei Tage nicht trainieren kann, fühle ich mich unwohl.
O Nein (1)
O Trifft etwas zu (2)
O Ja (3)

2. Manchmal bin ich richtig süchtig nach Training.
O Nein (1)
O Trifft etwas zu (2)
O Ja (3)

3. Wenn ich nicht trainieren kann, habe ich Entzugserscheinungen.
O Nein (1)
O Trifft etwas zu (2)
O Ja (3)

4. Wenn es um Sport geht, sind mir Familie und Freunde oft egal.
O Nein (1)
O Trifft etwas zu (2)
O Ja (3)

5. Einen Tag keinen Sport zu treiben, ist unvorstellbar.
O Nein (1)
O Trifft etwas zu (2)
O Ja (3)

6. Ich treibe auch dann Sport, wenn ich nicht ganz gesund bin.
O Nein (1)
O Trifft etwas zu (2)
O Ja (3)

7. Sport ist mein wichtigster Lebensinhalt.
O Nein (1)
O Trifft etwas zu (2)
O Ja (3)

8. Ich treibe Sport, auch wenn es keinen Spaß macht.
O Nein (1)
O Trifft etwas zu (2)
O Ja (3)

9. Manchmal verheimliche ich gegenüber anderen, dass ich so viel Sport treibe.
O Nein (1)
O Trifft etwas zu (2)
O Ja (3)

Auswertung: Ankreuzen und Punkte addieren

Bis 10 Punkte: Keine Sportsucht – Sie treiben Sport aus Freude. Achten Sie auf feste Trainingstermine, -programme und -partner.

11-18 Punkte: Hohe Bindung an den Sport – Sie sind dem Sport sehr verbunden. Achten Sie darauf, dass Sie sich auch künftig keinem Zwang aussetzen.

19-22 Punkte: Neigung zur Sportsucht – Sie gehen (zu) oft an Ihre Grenzen. Passen Sie auf, dass das Training nicht Ihre Gesundheit und Ihr soziales Netz beeinträchtigt.

23-27 Punkte: Stark gefährdet – Inneren Zwang und Entzugserscheinungen haben Sie bereits erlebt. Fragen Sie sich, ob Sie gesundheitliche und soziale Grenzen überschreiten. Reden Sie mit Freunden. Wenn Sie Ihre Zwänge nicht unter Kontrolle bekommen, brauchen Sie Hilfe.

Quelle: Prof. Dr. Thomas Schack, Universität Bielefeld, Abt. Neurokognition und Bewegung

Jürg Wirz in CONDITION, 06/2011

author: GRR

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