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03
05
2016

Prof. Dr. Kuno Hottenrott, Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) ©dvs

Wie soll sich der deutsche Spitzensport ändern und künftig definieren? Für welche Werte soll er stehen? Kommentar von Prof. Dr. Kuno Hottenrott (dvs)

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Eine Nation wie Deutschland, die zu den reichsten Ländern der Welt zählt, muss in der Lage sein, eine breitangelegte Leistungssportkultur zu erhalten und zu fördern. Zukünftig nur noch in Sportarten zu investieren, die bei den Olympischen Spielen erfolgreich sein werden, wäre ein Zurückfallen in das ehemalige DDR‐Leistungssportsystem.

In diesem zentralistischen System konzentrierten sich die Fördermaßnahmen auf erfolgsversprechende olympischen Sportarten, andere Sportarten wie Basketball, Hockey, Reiten, Wasserball oder Moderner Fünfkampf erhielten keine Unterstützung.

Die Förderung des Spitzensports in Deutschland sollte aus der Perspektive erfolgen, möglichst vielen jungen Menschen die Chance zu geben, sich in ihrer favorisierten Sportart maximal zu verwirklichen, d.h. ihr genetisches Potential für Höchstleistungen mit erlaubten Mittel und Methoden in einem gesellschaftlich akzeptierten Rahmen auszuschöpfen.

Für diese Ausrichtung bedarf es im Leistungssportsystem weniger Monopolisierung und Zentralisierung, sondern mehr Dezentralisierung mit einer flächendeckenden Schaffung von wohnortnahen Trainingsstätten, mit pädagogisch und psychologisch ausgebildeten hochqualifizierten Trainern, denen eine hohe Verantwortung und Akzeptanz zugesprochen wird.

Damit werden Voraussetzungen geschaffen, mehr Talente für den Nachwuchs zu gewinnen und zu fördern. Investitionen in den seit Jahren vernachlässigten Sportstättenbau öffnen zugleich die Chance, die tägliche Sportstunde in den Schulen einzuführen, wie es in vielen Ländern der Welt bereits umgesetzt wird.

Leitgedanke der Spitzensportförderung darf also nicht ein rigoroses Konzentrationsprogramm für den sportlichen Erfolg sein, sondern es sollte sich auf die Rückgewinnung von Werten, Vertrauen und der gesellschaftlichen Akzeptanz des Leistungssports konzentrieren.

Eine Nation wie Deutschland muss den Mut haben, auch Sportler zu Olympischen Spielen zu nominieren, die keine Medaillenchancen haben. Ziel muss die Stärkung der spitzensportlichen Repräsentanz bei internationalen Wettbewerben in möglichst vielen Sportarten sein.

Die sportliche Leistung des Einzelnen, die dahinterstehende Person des Athleten, sein Trainingsfleiß, seine Motivation und weniger der Erfolg, sind verstärkt in den Blick zu rücken. Es muss zwischen Leistung und Erfolg klar unterschieden werden. Sportliche Leistungen sind das Ergebnis eines langfristigen Trainingsprozesses. Aufgrund der hohen Leistungsdichte in allen Sportarten, wird sportlicher Erfolg zunehmend von Zufälligkeiten geprägt.

Insofern sind die Platzierten keine Verlierer, keine Enttäuschung für die Sportnation, sondern das letzte bisschen Glück, die Chance für den Sieg war an diesem Tag möglicherweise nicht gegeben. Entscheidend ist, dass Athleten aus verschiedenen Ländern und Kulturen einen fairen und sportlichen Wettkampf bestritten haben.

Die Wertschätzung einer Nation wird anders als in den Zeiten des kalten Krieges kaum im Zusammenhang mit dem sportlichen Erfolg, mit dem Rang im Medaillenspiegel bei Olympischen Spielen, Welt‐ oder Europameisterschaften gesehen. Deutschland würde auch ohne eine sportliche Spitzenposition als wirtschaftlich erfolgreiche Nation anerkannt sein.

Die Medaillenflut der Chinesen bei den Olympischen Spielen in Peking wurde von den Menschen wegen der strengen zentralistischen Vorgaben und den vielfach inhumanen Trainingsbedingungen eher kritisch betrachtet.

Der globalisierte Spitzensport der Zukunft muss wieder stärker seine traditionelle Symbolkraft für die Gesellschaft entfalten und Werte wie Fairness, Respekt, Solidarität, Leistungswille, Fleiß, Durchhaltevermögen in den Fokus stellen.

Prof. Dr. Kuno Hottenrott (dvs) im Weser Kurier, Montag, dem 25. April 2016

Zur Person

Kuno Hottenrott ist Direktor des Institut für Leistungsdiagnostik und Gesundheitsförderung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 2013 ist er der Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft.

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