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26
09
2011

Thomas Seibert (vorne) vor der Löwenburg ©wus-media - Wilfried Raatz

Wenn Kronprinzen Könige werden – Überraschungen beim Herkules-Berglauf mit Hessischen Meisterschaften – Wilfried Raatz berichtet

By GRR 0

Die Kasseler können es drehen und wenden wie sie wollen, der Herkules-Berglauf im Bergpark Wilhelmshöhe wird auch nach 22. Auflagen kein Klassiker der deutschen Berglaufszene werden.

Zwar stimmten fast dreihundert Läufer für „ihren“ Berglauf im Norden des Hessenlandes ab und der Hessische Leichtathletik-Verband (HLV) vergab zudem die Landesmeisterschaften nach Kassel – und dennoch bleibt der Kasseler Herkules-Berglauf lediglich eine tolle Laufveranstaltung mit einer Ambiance erster Güte in einer anspruchsvoller Hügellandschaft. „Der Reiz wäre, die 539 Treppenstufen hinauf zum Herkules zu laufen als Ersatz für die mäßige Steigung auf der Fahrstraße“, hat der deutsche Berglaufmeister Timo Zeiler sogleich eine Verschärfung parat.

Dies jedoch weniger als Kritik, sondern eher als Vorschlag für ein zusätzliches Highlight für eine Veranstaltung, die der PSV Grün-Weiß Kassel als einer der leistungsstarken Laufclubs in Deutschland mit einem Mindestmaß an Manpower und einem Höchstmaß an Routine gekonnt über die Runden brachte.

Bei einem Kilometerschnitt von knapp vier Minuten bleibt für die Spitze keineswegs die Muße für die touristischen Highlights auf dem Weg zu Kassels charakteristischem Wahrzeichen in 515 Meter über NN, das leider seit längerem in wenig dekorativem Plastik verhüllt. Der Zahn der Zeit (sprich Umweltbelastungen) hat längst Besitz über das 70 Meter hohe Bauwerk mit dem Oktogon, der Pyramide und der Kupferstatue des griechischen Halbgottes Herakles ergriffen.

Gigantische Ausmaße hat die Wassertreppe, an deren Fuß die Läufer nach knapp fünf Kilometer vorbeikommen und das Ziel praktisch schon im Augenwinkel haben, wäre nicht die breite, mäßig ansteigende Forststraße vom Kaskadenrestaurant zum Karlsberg, die noch einmal einen schnellen Fuß fordert.

Und diesen hatte der vierfache deutsche Berglaufmeister Timo Zeiler am Ende einer nicht unbedingt zufrieden stellend verlaufenen Saison nicht, so dass 300 Meter vor dem Ziel der auf Sichtweite stets folgende Thomas Seibert fast mühelos die Spitze übernehmen und damit den Start-Ziel-Sieg des Läufers von der Schwäbischen Alb im Trikot der MTG Mannheim zu verhindern wusste. „Ich dachte, dass Timo für mich zu stärk wäre, deshalb habe ich mich von Beginn an auf Rang zwei und damit die Hessenmeisterschaft konzentriert“, gab der für den SSC Hanau-Rodenbach startende Tagessieger später zum besten.

„Da wir zu dritt in der Verfolgung liefen, hatte ich eigentlich schon genug zu tun, die anderen in Schach zu halten. Deshalb habe ich fast nicht mitbekommen, dass ich im Schlussteil immer näher an Timo heran gelaufen war. Wenn man von hinten an den Führenden aufläuft, dann hat man einen psychologischen Vorteil – und diesen habe ich zum Sieg genutzt!“ Bei einer Siegerzeit von 24:19 Minuten lag Seibert, der übrigens als Junior bei Berglauf-Weltmeisterschaften im Nationaltrikot lief, drei Sekunden vor dem erklärten Favoriten.

Timo Zeiler nahm den knapp verpassten Sieg hingegen nicht so tragisch. Er hatte sich erst kurzerhand für einen Start in Kassel entschlossen anstelle zum eigentlich eingeplanten, aber verkehrstechnisch aufwändig zu erreichenden Schneeberglauf in Puchberg in Niederösterreich zu fahren. „Mir fehlt derzeit die Schnelligkeit, um gegen Straßenspezialisten wie es Thomas Seibert inzwischen ist, im Schlusssport bestehen zu können“.

Der 30jährige Neu-Mannheimer lässt die Saison derzeit etwas ausklingen, um nach einer Regeneration für das Wintertraining gut gerüstet zu sein. „Zwei kleinere Läufe in der Region werden noch folgen, doch diese bestreite ich eher aus einem reduzierten Training heraus“.

„Der Zieleinlauf ist eine Sensation“, kommentiert Grün-Weiß-Organisator Winfried Aufenanger am Mikrophon der sichtlich in die Jahre gekommenen Laufsprecheranlage das Ergebnis des 22. Herkules-Berglaufes auf seine ihm eigenen Weise im lauschigen Schulhof der Reformschule im Kasseler Stadtteil Bad Wilhelmshöhe. Und meinte damit aber auch die Reihenfolge bei den Frauen. Denn nicht die in einer ähnlichen Favoritenrolle gestarteten vierfachen deutschen Juniorenmeisterin Kerstin Straub lief als Tagesschnellste über die Ziellinie am verhüllten Herkules, sondern die Kasseler PSV-Athletin Katrin Arndt. „Kerstin hat mich bergab zweimal überholt, in den Steigungen konnte ich mich immer wieder absetzen“ so die überraschende Siegerin nach 28:18 Minuten und 14 Sekunden Vorsprung auf die Läuferin des SSC Hanau-Rodenbach.

Ihre Siegerzeit bedeutet zudem auch neuer Streckenrekord. Als Langstrecken-Spezialistin wollte sie das Heimspiel zum Herkules-Denkmal eigentlich nur als letzten Test vor dem Kölner Halbmarathon in einer Woche nutzen. Herausgekommen ist nun allerdings der Gewinn der Hessischen Meisterschaft im Berglaufen. Und durfte das (Hoch-)Gefühl mit Thomas Seibert teilen, dass Kronprinzen auch sehr schnell zu Königen werden können, wenn diese einmal nicht auf Normallevel laufen sollten.

Für Timo Zeiler sollte der kleine Ausflug zum Herkules-Denkmal im schmucken Bergpark Wilhelmshöhe mit dem Zieleinlauf keineswegs beendet sein, sondern sein Trainer schickte ihn zum „Auslaufen“ noch einmal vom Kaskadenrestaurant den Schlussanstieg hinauf, doch keineswegs über die Original-Berglaufstrecke über Forststraßen, sondern die 530 Stufen entlang der Kaskadenbassins – sehr zum Erstaunen so mancher Mitläufer, die die herrlich angelegte Sichtachse vom Herkules über das Schloss Wilhelmshöhe hinunter zur Reformschule zu Fuß gingen. „Eine herrliche Anlage, die man im Laufen natürlich nicht genießen kann. Doch dafür jetzt umso mehr…!“

Wie im Vorjahr, als er alleine Dieter Baumann den Vortritt lassen musste, lief auch heuer Thomas Thyssen auf Augenhöhe mit den Stars. Der PSV-Läufer musste zwar den unwiderstehlich vorwärts stürmenden Thomas Seibert ziehen lassen, landete jedoch nach 24:38 Minuten auf Rang drei und blieb im Duell mit dem früheren 800 m-Spezialisten Johannes Wennmacher erneut obenauf. Der als Mitfavorit gehandelte bergerfahrene Schotte Andrew Liston (im Trikot der LG Wettenberg) kam nach einer Irrfahrt durch Kassel („Es war schwierig, auch ohne Papst-Besuch!“) auch auf dem schnellen Parcours nicht zureckt und wurde nach 25:50 nur Fünfter. Dahinter wurde es richtig eng im Zieleinlauf: Direkt von einem Afghanistan-Einsatz zurück stellte sich Felix Kaiser der Herkules-Herausforderung und verwies als Sechster den früheren Radspezialisten Michael Kutscher als auch den starken M 45er Joachim Katzer auf die Plätze.

Schon auf Position elf folgte sehr zur Freude seines Trainers Jürgen Stephan der 19jährige Jonathan Keuchel und holte sich die hessische Jugendmeisterschaft in 26:18 Minuten und lag damit klar vor seinem PSV-Vereinskollegen Hendrik Franke (28:45). „Das könnte wieder einmal einer werden….!“ Und zog erste Parallelen zu Julian Flügel, der unter Stephans Regie inzwischen ein Medaillengewinner bei deutschen Meisterschaften auf der Bahn, der Straße und im Cross geworden ist. 

Sichtbar älter sind die Erstplatzierten bei den Frauen, sieht man einmal von der 25jährigen Katrin Arndt und der 23jährigen Kerstin Straub einmal ab. Auf Platz drei folgte nämlich die 43jährige Tanja Nehme nach 29:31 Minuten, dahinter die 41jährige Sandra Barborseck und die 45jährige Theologie-Professorin Petra Freudenberger-Lötz. Ultra-Läuferin Antje Krause wurde noch Achte und musste sich angesichts der nur 6,2 km langen Distanz wie eine Sprinterin fühlen, denn ihre Beinmuskulatur fühlten sich schon vom Start weg übersäuert.

Und lachend: „Aber Schmerzen aushalten ist man als 100 km-Läuferin gewohnt“.

 

Wilfried Raatz

author: GRR

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