Was bleibt von Olympia? Heiraten in der Kupferkiste - Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ©Horst Milde
Was bleibt von Olympia? Heiraten in der Kupferkiste – Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Im Lichte des Projekts Olympiapark erscheinen die Spiele nicht als Ziel der Entwicklung, sondern als Mittel zum Zweck. Der Olympiapark von 250 Hektar, der größte neu geschaffene Park seit 150 Jahren, soll auf einer einstigen Industriebrache das Zentrum eines neuen Stadtquartiers bilden.
Er hat den Olympiapark gebaut. Er hat die Hallen und das Olympiastadion auf das Gelände gestellt, Straßen, Brücken und zehntausend Bäume. Das Olympische Dorf mit 2800 Wohnungen ist sein Werk. Und jetzt schleppt er Wasserflaschen ins Quartier der deutschen Mannschaft: Klaus Grewe, fünfzig Jahre alt, ein großer Mann mit Stoppelhaar.
Wie 70.000 andere steckt er in der lila-roten Uniform der freiwilligen Helfer, diesem Sporttrikot mit Schulter-klappen. „Game Makers“ nennen die Organisatoren der Spiele in London ihre Volunteers, die Macher der Spiele, und auf keinen von ihnen trifft die Bezeichnung besser zu als auf ihn.
Erst Trainings-, dann Wohngebiet: Im Olympiadorf
„Er ist der Mann, der wirklich geliefert hat“, lobt Jerome Frost in Anspielung auf die Olympic Delivery Agency, den Bauherrn Olympias. Frost war dort für Design und Regeneration verantwortlich, Grewe war der Projektmanager.
Der Deutsche in London stammt aus der Nähe von Bremen und hat zwanzig Jahre in Berlin gelebt. Als seine Frau vor sieben Jahren einen Ruf nach London annahm und die Familie mit drei Kindern folgte, dauerte es gerade acht Wochen, bis die Stadt den Zuschlag für die Olympischen Spiele bekam.
„Die Nachnutzung macht mich stolz“
Grewe, der am Bau des Hauptbahnhofs von Berlin und am Gotthard-Basistunnel in den Alpen mitgearbeitet hatte, heuerte an. Im vergangenen Winter, scherzt er, habe er sich dann arbeitslos gemacht: Er übergab das Projekt vorzeitig und schöpfte das Budget von umgerechnet 7,9 Milliarden Euro nicht aus; Rückstellungen von drei Milliarden Euro blieben unberührt.
Aufmerksam liest er Zeitungsberichte über die Verschiebung der Flughafeneröffnung in Berlin. Gerade solche Peinlichkeit, die mit Milliarden Euro zu Buche schlagen kann, hat das Projektmanagement in London vermieden; das war sein Job.
Erst die Touristen, später die Londoner: Im Olympiapark in Stratford
Wenn Grewe über das Olympiagelände geht, freut er sich zwar über die Wettkämpfe, wie jeder hier. Doch er sieht weit über die Schlussfeier am 12. August hinaus. Sein freiwilliges Engagement für die Spiele verbietet es ihm, mit Journalisten zu sprechen. Aber als er noch Profi war im Dienste Olympias, sagte er: „Die Nachnutzung macht mich stolz.“
Basketballhalle nach Rio
Eines der besten Beispiele dafür ist die Handball-Arena, wegen ihrer Außenhaut Copper Box genannt, Kupferkiste. Während das Olympiastadion um 60.000 auf 25.000 Plätze verkleinert und die Schwimmhalle 15.000 ihrer 17.500 Sitze verlieren wird, während die Basketballhalle zerlegt und nach Rio de Janeiro verschifft und die Wasserball-Arena in Einzelteilen verkauft werden wird, soll ausgerechnet die Heimstatt einer Sportart, die in Großbritannien keine Basis hat, stehen bleiben.
Wie eine gigantische Schulsporthalle ist sie konzipiert, mit aus- und einfahrbaren Sitzreihen. Sie wird dringend gebraucht nach den Olympischen Spielen – als Gemeindezentrum, in dem die indischen und pakistanischen Hochzeiten mit bis zu dreitausend Gästen stattfinden können. Jetzt schon ist die Halle für die kommenden drei Jahre ausgebucht.
Tanztee, Bowlingturniere, Basare – die Manager des Olympiaprojektes, von Grewe bis zu Sebastian Coe, dem Olympiasieger und obersten Olympiamacher von London, haben fleißig die Nachbarschaft besucht, um festzustellen, was gebraucht, was gewollt und was abgelehnt wird. „Wir sind rausgegangen und haben die Leute gesucht“, erzählt Grewe. „So haben wir die Bürgerbeteiligung eingearbeitet. Alles andere ist unkalkulierbar.“
„Erbe lernen“
Ob es um Bäume ging, die stehenbleiben sollten, um Zugänge und Ausblicke, alles wurde notiert und floss in die Planung ein. „So haben wir das Risiko definiert und kalkuliert“, sagt Grewe.
Vor Beginn der Bauarbeiten entstand so ein 1400 Seiten umfassender Report über 9000 Vorgänge. Der Aufwand hatte seinen Preis; doch ein vor Gericht erzwungener Baustopp hätte Milliardenkosten verursachen können – und die Spiele gefährdet.
„Hat geliefert“: Klaus Grewe
Zwölf Milliarden Euro lässt sich London diese kosten; drei Viertel der Riesensumme stecken in den Bauten. Unter dem Stichwort „Erbe lernen“ soll die Herangehensweise als Beispiel für Großprojekte in Großbritannien dienen.
Und, verspricht Frost, London wolle mit diesem Konzept Zufriedenheit in den Stadtvierteln schaffen, in denen im August 2011 noch gewalttätige Unruhen, Plünderungen und Brandstiftungen die Welt aufschreckten.
Im Lichte des Projekts Olympiapark erscheinen die Spiele nicht als Ziel der Entwicklung, sondern als Mittel zum Zweck. Der Olympiapark von 250 Hektar, der größte neu geschaffene Park seit 150 Jahren, soll auf einer einstigen Industriebrache das Zentrum eines neuen Stadtquartiers bilden.
Die 2800 Wohnungen für 50.000 Athleten und Offizielle, die das Olympische Dorf bilden, sind längst verkauft – zur Hälfte als Sozialwohnungen für umgerechnet gut 200.000 Euro die einen, als Luxuswohnungen für Millionäre die anderen. Für 12.000 weitere Wohnungen sind Baugenehmigungen erteilt; ein Ring in der Dimension von vier weiteren Olympischen Dörfern soll den Olympia Park umschließen.
Schulen auf dem Olympiagelände
Auch deshalb leisten die zwei Kraftwerke nicht, wie es im Moment ausreichend wäre, sechs Megawatt, sondern schaffen aus Gas und Biomasse zwanzig. Der Ort, an dem das größte Sportereignis der Welt stattfindet, soll schließlich auch nach der Schlussfeier lebendig bleiben – ein Anspruch, den seit den sechziger Jahren allein München (1972) und Atlanta (1996) erfüllt haben; die Stadt in Amerika allerdings hat das Olympiastadion für sein Baseballteam bis auf eine Kurve abgerissen.
Damit die Menschen, die jetzt schon in den benachteiligen Quartieren im Osten Londons leben, nicht vertrieben werden, sollen sie vom kommenden Jahr an ihre Kinder auf dem Olympiagelände einschulen können. Chobham Academy, eine private Schule, beginnt im September 2013 mit dem Unterricht, ein Jahr bevor die neuen Wohnungen fertig werden.
Längst verkauft: Die Wohnungen im olympischen Dorf
Nach der Schlussfeier am 12. August beginnt der Rückbau. Auch damit erklärt sich die Konstruktion des Olympiastadions: Die luftige Konstruktion besteht aus Fertigteilen und gebrauchten Ölrohren, die weiter verkauft werden. Mit diesem Prinzip haben Grewe und seine Kollegen die Kosten niedrig gehalten. Stahlträger zum Beispiel sind fast durchweg in ihrer Normlänge verbaut. So kann das Material nach Gebrauch zum Neupreis verkauft werden.
Brücken an einen Verleih in den Niederlanden
47 der 150 Brücken werden aus dem Olympiapark entfernt. Sie sind bereits an einen Brückenverleih in den Niederlanden verkauft. „Wir haben Stahlträger über den Fluss gelegt. Das sieht nicht schön aus, aber wir haben es mit Bäumen kaschiert“, sagt Grewe. „Wir haben Asphaltflächen grün gestrichen. Das sieht während der Spiele gut aus. Danach werden sie rausgerissen, und es kommt die Legacy.“
Statt der bereitgestellten 1,7 Milliarden Euro hat der Park nur 216 Millionen gekostet. Vierzig Jahre Stadtentwicklung, schätzt Grewe, haben die Olympischen Spiele auf einen Schlag ermöglicht. „Olympia ist ein toller Katalysator.“
London fordert mit diesem Konzept Olympia heraus. Prestigebauten ohne Konzept für Nachnutzung oder sinnvollen Rückbau, wie Sportveranstaltungen sie seit Jahrzehnten schaffen, sollten in Zukunft tabu sein. Hinter den Maßstab, den London setzt, dürfen die Spiele der Zukunft nicht zurückfallen.
Michael Reinsch, London in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 12. August 2012