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09
05
2012

Dr. Dr. med. Lutz Aderhold - Warum sind Frauen langsamer? ©privat

Warum sind Frauen langsamer? Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

By GRR 0

Mann und Frau unterscheiden sich nicht nur bezüglich der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, sondern auch hinsichtlich konstitutioneller, anatomischer und physiologischer Größen. Vergleicht man die Weltrekorde in den Langstrecken von 10.000 m bis 100 km und auch im 24-h-Lauf bei Frauen und Männern finden sich Leistungsunterschiede zwischen 10-15%.

Worin liegen die Gründe dafür, trainieren Frauen weniger, fehlt es an Motivation oder Veranlagung?

In erster Linie ist die unterschiedliche Leistungsfähigkeit im Langstreckenlauf von Frau und Mann genetisch bedingt. Die Divergenz der Leistungskurven beginnt sich mit der Geschlechtsreife auszuprägen. Die Unterschiede sind in erster Linie eine zweckmäßige Anpassung an die Geschlechtsfunktionen. Frauen haben zwar in Bezug auf Beweglichkeit und Koordination Vorteile, sind aber in der Herz-Kreislauf- und Lungenleistungsfähigkeit sowie Muskelkraft klar benachteiligt (Aderhold und Weigelt 2012).

Frauen sind im Durchschnitt 10 bis 15 cm kleiner und 10 – 20 kg leichter. Konstitutionell ist die Frau rumpfbetont und der Mann extremitätenbetont. Insbesondere durch die Entwicklung des Beckengürtels liegt der Körperschwerpunkt bei Frauen weiter unten, was sich beim Lauf und Sprung nachteilig auswirkt. Durch den kleineren Winkel zwischen Oberschenkelhals und Oberschenkelknochen ergeben sich bei der Frau ungünstigere Hebelverhältnisse. Durch die besondere Beckenform entsteht bei Frauen häufig eine X-Beinstellung.

Die männlichen Sexualhormone und androgenen Hormone der Nebennierenrinde bedingen beim Mann nach der Pubertät ein stärkeres Muskelwachstum. Das Verhältnis aktiver Körpermasse zum Fettgewebe ist beim Mann günstiger. Der Mann hat einen höheren (ca. 40 bis 50%) Anteil der Muskulatur am Gesamtkörpergewicht als die Frau (ca. 30 bis 35%). Auch können Männer durch den höheren Testosteronspiegel mehr Kraft entwickeln. Bei den Frauen dominiert der Muskelfasertyp I, was für Ausdauerleistungen prädestiniert.

Männer haben eine größere Anzahl an Muskelfasern vom Typ IIa, was mit einer vermehrten Anlage zur Schnellkraftausdauer verbunden ist. Auch der Kraftzuwachs durch Training ist beim Mann größer. Frauen sind in allen Krafteigenschaften (Schnellkraft, Maximalkraft, Kraftausdauer) deutlich unterlegen. Da zwischen Muskelmasse und Grundumsatz eine enge Beziehung besteht, hat die Frau aufgrund des niedrigeren Muskelanteils einen geringeren Grundumsatz.

Durch die Östrogene ist der Fett- und Wassergehalt von Bindegewebe und Muskulatur bei Frauen höher, was mit einer höheren Dehnfähigkeit und Flexibilität verbunden ist. Das Verhältnis von „aktivem“ zu „passivem“ Gewebe ist durch den höheren Fettanteil zugunsten des passiven Gewebes verschoben (Marees de 2003). Die Fettverbrennung soll bei der Frau durch die Östrogene besser funktionieren, was bei den ganz langen Strecken Vorteile bringen kann, die übrigen Nachteile aber nicht aufwiegt.

Da auch Männer genügend Fettreserven haben, stellt die Fettverbrennung auch bei extremen Ausdauerbelastungen keinen leistungsbegrenzenden Faktor dar. Die Menge an muskulärem Glykogen und Kreatin ist bei beiden Geschlechtern nahezu gleich. Bei Langzeitausdauerbelastungen weist die Frau einen geringeren Eiweißabbau (Proteinkatabolismus) auf. Frauen sollen aufgrund ihrer erhöhten Östrogenspiegel eine größere antioxidative Potenz aufweisen.

Weitere Unterschiede bestehen in dem  höheren relativen Herzvolumen sowie der größeren Lunge und Atemleistung beim Mann. Das kleinere Herz der Frau hat trotz höherer Herzfrequenz ein geringeres Herzminutenvolumen. Bei der Verwendung von Herzfrequenzformeln zur Trainingssteuerung werden Frauen häufig unterfordert. Es ist deshalb sehr viel besser, die individuelle maximale Herzfrequenz zu bestimmen, oder zumindest eine frauenspezifische Formel zu verwenden. Die maximale Sauerstoffaufnahme, als Kriterium der Ausdauerleistungsfähigkeit, ist bei der Frau wesentlich geringer (10-15%). In dieses Maß der Leistungsfähigkeit gehen die Herzkreislauffunktion, die Lungenfunktion und der Energiestoffwechsel ein. Der Laktatspiegel steigt deshalb bei Frauen unter gleicher Belastung schneller an als bei Männern (Weineck 2010). Die Frau erreicht annährend die gleichen maximalen Laktatkonzentrationen im Blut wie der Mann.  

Frauen haben außerdem weniger rote Blutkörperchen und Hämoglobin, was eine geringere Sauerstoffaufnahme- und -transportkapazität bedingt. Diese Einschränkung verstärkt sich noch bei Eisen-mangel, der bei menstruierenden Langstreckenläuferinnen häufig ist, insbesondere wenn sie wenig Fleisch essen. Allerdings benötigen Frauen auch weniger Sauerstoff, da sie weniger Muskulatur damit versorgen müssen. Auch die Anzahl der Mitochondrien sowie die oxidative und glykolytische Kapazität sind bei Frauen geringer (10-15%).

Frauen haben zwar einen leichteren Knochenbau und sind durchschnittlich kleiner und leichter, diese Vorteile können aber die physiologischen Nachteile nicht ausgleichen. Frauen haben außerdem noch ein dickeres Unterhautfettgewebe und weniger Schweißdrüsen, was die Wärmeregulation erschwert.

Aus physiologischer Sicht gibt es hinsichtlich der Trainierbarkeit und der Trainingseffekte keine großen geschlechtsspezifischen Unterschiede. Es muss also keine unterschiedlichen Trainingspläne oder differenzierten Trainingseinheiten geben. Durch Training laufen bei beiden Geschlechtern die gleichen Anpassungsprozesse ab. Allerdings unterliegt die Leistungsfähigkeit beim weiblichen Geschlecht durch den Menstruationszyklus stärkeren Schwankungen. Frauen beteiligen sich weniger an Wettkämpfen, sie gehören häufiger zu den Gesundheits- und Genussläuferinnen.

Auch wenn Frauen die Leistungsfähigkeit von Männern im Ausdauerbereich bedingt durch die anatomisch-physiologischen Voraussetzungen nicht erreichen können, so scheinen sie doch ökonomischer mit ihren körperlichen Ressourcen umzugehen, die höhere Lebenserwartung spricht jedenfalls dafür.

 

 Dr. Dr. med. Lutz Aderhold

 

Literatur:

Aderhold L, Weigelt S. Laufen! … durchstarten und dabeibleiben – vom Einsteiger bis zum Ultraläufer. Stuttgart: Schattauer 2012.

Marees de H. Sportphysiologie. Köln: Sportverlag Strauss 2003.

Weineck J. Sportbiologie. Balingen: Spitta 2010.    

 

   

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