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22
09
2024

Olympiastadion Berlin - Foto: Horst Milde

Warum die geplante Olympiabewerbung erneut scheitern könnte – sport-nachgedacht.de – Prof. Dr. Helmut Digel

By GRR 0

Olympische Spiele in Deutschland sind ohne Zweifel ein wünschenswertes Ziel. Wer wie ich sein ganzes Leben in der Welt des Sports verbracht hat und dabei viele Olympische Spiele hat besuchen dürfen, für den wären Olympische Spiele erneut in Deutschland der sportliche Höhepunkt seines Lebens.

Bislang sind die Bemühungen – nach Berlin 1936 und München 1972 – zum dritten Mal Olympische Sommerspiele in Deutschland auszutragen, meist sehr kläglich gescheitert. Fünfmal war dies bereits der Fall.

 

Die Gründe für das Scheitern sind vielfältig. Manche haben sich bereits überlebt, andere sind nach wie vor von Bedeutung. Was dabei ärgerlich ist, ist die Tatsache, dass die Analyse des Scheiterns von den Verantwortlichen bis heute nicht sorgfältig durchgeführt wurde.

Noch ärgerlicher ist es, dass die nun mehrfach lauthals verkündete neue Bewerbung mit noch weniger Sorgfalt vorbereitet wurde und deshalb das Scheitern auch dieser Bewerbung bereits absehbar ist.
Da finden in Paris im Jahr 2024 sehr schöne und gelungene Olympische Spiele statt und plötzlich entdeckt auch ein deutscher Bundeskanzler mit seiner Bundesinnenministerin die Chancen, die für Deutschland bei der Durchführung von Olympischen Spielen existieren könnten. Hat man zuvor das IOC mit seinem deutschen Präsidenten geradezu gemobbt und es in der Öffentlichkeit mit häufig negativen und mitunter auch inkompetenten Kommentaren und Meinungen infrage gestellt, so suchte man nun sogar noch in Paris den schnellen persönlichen Kontakt mit dem scheidenden IOC Präsidenten Bach in der Annahme, dass dieser möglicherweise noch etwas dafür tun könnte, damit eine deutsche Bewerbung Erfolg haben kann.
Das Nationale Olympische Komitee für Deutschland, vertreten durch den DOSB, hat schon seit längerem seine Absicht bekundet, sich für die Ausrichtung von Olympischen Spielen zu bewerben. Eine eigene Planstelle wurde eingerichtet und eine nahezu völlig wirkungslose Kommunikationskampagne zugunsten der Spiele wurden auf den Weg gebracht.

Mit der Euphorie von Paris wurde auch ein Sonderetat für eine deutsche Bewerbung durch die Bundesregierung bewilligt. Jeder, der es wohlwollend mit diesem Anliegen meint, wird sicher hoffen, dass nun in den nächsten Wochen und Monaten die Grundlagen erstellt werden, um diese Bewerbung auf den Weg zu bringen. Dabei ist dieser Weg dank der „Agenda 2020“ und der Agenda „2020 +5“ des IOC heute leichter zu begehen denn je. Nach einer offiziellen Bekundung seiner Bewerberinteressen gegenüber dem IOC, muss der DOSB in einen vorbereitenden fachlichen Dialog mit dem IOC und dessen Experten¹ eintreten, um sich nach einem sinnvollen Prüfverfahren als „offizieller Bewerber“ der Entscheidung der IOC- Exekutive zu stellen. Dank der „Agenda 2020“ sind heute die Bewerbungskosten wesentlich geringer als dies früher der Fall war. Bis zur Zulassung als offizieller Bewerber wäre nicht einmal ein Sonderhaushalt der Bundesregierung notwendig. Notwendig ist allerdings, dass sich der Bewerber Klarheit verschafft, warum er sich mit wem an welchem Ort um Olympische Spiele bewerben möchte.

Diese Frage ist bis heute noch nicht beantwortet. Es gibt bis heute noch keine tragfähige Begründung, warum sich Deutschland für Olympische Spiele bewerben möchte, welche Ziele man mit der Durchführung Olympischer Spiele erreichen möchte und weshalb sich das IOC ausgerechnet für eine deutsche Bewerbung entscheiden soll.

Vielmehr hat der DOSB mögliche Spiele in Deutschland auf eine kommunikative „Plattform“ gestellt, auf der sich jeder geschwätzige Sportfunktionär und jeder noch geschwätzigere Politiker mit seinen Wünschen über zukünftige Spiele in Deutschland beteiligen kann. Dabei musste es nahezu zwangsläufig zu einem „Selbstläufer“ werden, dass jede größere Stadt in Deutschland den Wunsch äußert, dass man sie als möglicher Austragungsort von Olympischen Wettbewerben bei einer deutschen Bewerbung berücksichtigt. Für keine der an diesem „Geschwätz“ beteiligten Institutionen und Personen ist dabei jedoch klar, für welchen Termin man sich überhaupt bewerben möchte, ob man sich für Winter- oder für Sommerspiele bewirbt (wobei eine Bewerbung für Winterspiele mit jedem weiteren Monat, den man abwartet, unwahrscheinlicher wird), und ob man sich möglicherweise für zwei oder für drei Termine bewerben sollte, da die Wahrscheinlichkeit nicht sehr hoch ist, dass man bereits bei einer ersten Bewerbung erfolgreich ist.

Ein gesellschaftspolitisch durchaus interessantes Jahr für die Durchführung Olympischer Spiele in Deutschland, das Jahr 2036 -100 Jahre also nach den nationalsozialistischem Spielen – wurde zur Disposition gestellt. Doch es wurde dabei alles getan, dass durch das „Geschwätz“ die besonderen Möglichkeiten dieses Termins bereits heute verspielt sind.

Derzeit existieren nur einige für deutsche Zukunftsprojekte typische und meist sehr inhaltslose Leerformeln wie „Nachhaltigkeit“, „nicht um jeden Preis“, „weltoffen“, die das DOSB-Bewerbungsvorhaben kennzeichnen.

Aus organisationssoziologischer Sicht, aber auch unter dem Gesichtspunkt des Managements lässt sich das derzeitige deutsche Bemühen um Olympische Spiele nur als „stümperhaft“ bezeichnen.

Dabei muss man zugegebenermaßen darauf hinweisen, dass es heute schwieriger denn je ist, eine deutsche Bewerbung, die Aussicht auf Erfolg hat, verantwortungsvoll auf den Weg zu bringen Es gibt mittlerweile eine internationale Konkurrenz in diesem Wettbewerb um zukünftige Spiele, wie es sie schon seit langem nicht mehr gegeben hat, ganz gleich, ob man sich für die Spiele im Jahr 2036, 2040 oder 2044 bewirbt. Es werden viele Nationen mit interessanten Städten ihren Hut in den Ring werfen. Einige haben dies bereits getan. Folgt man den Aussagen des IOC, so liegen bereits Interessensbekundungen aus Indien, Malaysia, Polen, Ungarn, Türkei, Indonesien, Marokko und Ägypten vor. Es stimmt: Nicht jedes dieser Länder kann auf vergleichbare Planungsarbeiten und eine notwendige politische Unterstützung verweisen, wie dies bei Deutschland der Fall ist.

Doch stellt sich die Frage, warum das IOC eine Bewerbung Deutschlands, das bereits zweimal die Spiele durchgeführt hat, gegenüber einem Land wie Indien oder Indonesien den Vorzug geben soll, die zu den bevölkerungsreichsten Nationen dieser Erde gehören, und die zum ersten Mal – und das völlig zu Recht – ihren Anspruch auf die Durchführung von Olympischen Spielen erheben.

In diesem Zusammenhang muss auch daran erinnert werden, dass die beiden früheren Bewerbungen Frankreichs für die Olympischen Spiele 2008 und 2012 beim ersten Mal kläglich und beim zweiten Mal sehr knapp gescheitert sind, den Spielen von Paris 2024 also eine dritte Bewerbung vorausgegangen ist.

Allein die unübersichtliche Lage über die zukünftigen Bewerber sollte jedem in Deutschland klarmachen, dass eine deutsche Bewerbung schon etwas ganz Besonderes sein sollte, wenn man mit ihr international konkurrenzfähig sein möchte. Mit kreativen und klugen Ideen könnte diese “Hürde“ jedoch überwunden werden, und man kann dem DOSB nur wünschen, dass er mit der notwendigen Unterstützung aus Wissenschaft, Kultur und Kunst die richtigen Personen findet, die ein „Alleinstellungsmerkmal“ für die deutsche Bewerbung erarbeiten, das international nicht übersehen werden kann.

Die wichtigsten Gründe, warum dennoch eine derzeitige deutsche Bewerbung zum Scheitern verurteilt sein könnte, sind m.E. jedoch anderer Natur: Bereits in der Vergangenheit wurde der Fehler gemacht, dass man angenommen hat, dass man in einer parlamentarischen Demokratie nicht das Parlament die Frage einer zukünftigen Bewerbung entscheiden lässt, sondern dass hierzu eine Volksbefragung stattzufinden habe. Mittlerweile hat sich das sog. „Volk“ bereits zweimal gegen olympische Spiele in Deutschland ausgesprochen und es darf nicht angenommen werden, dass das Resultat bei einem dritten Versuch ein anderes sein könnte.

Auf der Grundlage des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 ist in Deutschland ein demokratischer Staat entstanden, in dem dessen Bürgerinnen und Bürger über eine Wahlentscheidung, die alle vier Jahre stattfindet, dem Bundestag ein Mandat auf Zeit gibt, um über die wichtigen Belange unserer Gesellschaft zu entscheiden. Olympische Spiele in Deutschland sind ohne Zweifel ein Projekt, das unter diese wichtigen Belange einzuordnen ist.

Will Deutschland Olympische Spiele wirklich durchführen, so bedarf es der geschlossenen Unterstützung sowohl der Regierung als auch der Opposition. Es bedarf eines einstimmigen Beschlusses des deutschen Bundestages. In einer Demokratie mit mehr als 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern geht die Gewalt vom Volke aus, doch dieses Volk hat die Gewalt zu Recht über eine Wahl an seine Vertreterinnen und Vertreter im Deutschen Bundestag abgetreten. Anders als in der Schweiz mit lediglich 8,7 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind deshalb Volksbefragungen in Deutschland nur im Ausnahmefall sinnvoll und wünschenswert. Hinzukommt, dass das Ergebnis von Volksbefragungen massenmedial auf eine äußerst gefährliche Weise beeinflusst werden kann und oft auch von Tagesereignissen abhängig ist.

Soll eine deutsche Bewerbung erfolgreich auf den Weg gebracht werden, so bedarf es schnellstens eine Klärung, ob man diese Entscheidung dem Parlament überlässt oder ob die Entscheidung an die Durchführung einer Volksbefragung gebunden wird. Dem DOSB kann man nur wünschen, dass er seine bereits getroffene Vorentscheidung noch einmal überdenkt und sich gemeinsam mit den Verantwortlichen in der Politik für den Weg über das Parlament entscheidet. Ersatzlösungen wie sie teilweise schon angedacht werden, so zum Beispiel, dass eine Kommission oder ein Kuratorium über die Frage einer deutschen Bewerbung entscheiden soll, werden sich sehr schnell als wirkungslos und kontraproduktiv erweisen.

Der entscheidende Grund, warum eine deutsche Bewerbung jedoch zum Scheitern verurteilt sein könnte, lässt sich vermutlich gar nicht oder nur mit einer außergewöhnlichen gemeinsamen Anstrengung aller Beteiligten beseitigen, die ein wirkliches und glaubwürdiges Interesse an zukünftigen Olympischen Spielen in Deutschland bekunden. Zumindest müsste dieser Grund in seiner Wirkung in einem ausreichenden Maß reduziert werden.

Wer bei der Frage, warum die bisherigen Volksabstimmungen über zukünftige Olympische Spiele in Deutschland gescheitert sind, wird sehr schnell die dahinterstehende Frage stellen müssen, welche Bedeutung die deutschen Massenmedien für die Meinungsbildung der deutschen Bevölkerung haben und wie und ob sie dabei ihrer Verantwortung nachkommen, die deutsche Bevölkerung relevant, objektiv, verständlich, fair und glaubwürdig zu informieren.

Wer die Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und in den führenden deutschen Leitmedien der Presse über die Olympischen Spiele, das IOC und nicht zuletzt auch über dessen deutschen Präsidenten systematisch analysiert, der wird nicht umhinkommen festzustellen, dass diese Berichterstattung in großen Teilen fachlich unzureichend, vorurteilsbefangen und nur ganz selten aufklärend ist oder gar einem Auftrag nach Weiterbildung der Bevölkerung nachkommt und somit im Hinblick auf eine angestrebte erfolgreiche Bewerbung sogar verantwortungslos ist.

An jedem Stammtisch in Deutschland kann man die Meinung hören, dass der Präsident des IOC der Freund von Diktatoren sei, dass die Mitglieder des IOC korrupt sind, dass das IOC sich zu Lasten der Athletinnen und Athleten bereichert, dass sich das IOC um den ihn umgebenden Doping-Sumpf nicht kümmert und dass Olympische Spiele ihre Zukunft nur noch in Staaten haben, in denen Diktatoren an der Macht sind. Pünktlich vor jeden Olympischen Spielen werden sog. „kritische Dokumentationen“ von sog. „Recherche- Journalisten“ publiziert, deren Inhalt meist überholt, allenfalls redundant, meist jedoch haltlos ist und die oft auch als böswillig zu bezeichnen sind. Die von IOC- Präsident Bach eingeleitete radikale Reformarbeit innerhalb des IOC, seine „Agenda 2020“ und „2020 +5,“ die grundlegend für den Erfolg der Pariser Spiele gewesen sind, wurden von deutschen Massenmedien so gut wie gar nicht ihren Rezipienten übermittelt und alle übrigen Reformmaßnahmen, die in den vergangenen 15 Jahren stattgefunden haben, wurden in den deutschen Medien weder dargestellt noch mit kompetenten und kritischen Kommentaren begleitet.

Vielmehr wurde das Klischee des „Putin Freundes“ Bach gepflegt. Gleichzeitig wurden die Alleinstellungsmerkmale Olympische Spiele gegenüber den kommerziell ausgerichteten Weltmeisterschaften der Sportfachverbände negiert. Von einer Pflege des „Modernen Olympismus“ in Deutschland kann schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesprochen werden. Die Olympischen Spiele werden alle vier Jahre lediglich kurzfristig entdeckt, ins Rampenlicht der massenmedialen Aufmerksamkeit gebracht und danach auch wieder sofort vergessen.

Angesichts einer nahezu „gleichgeschalteten“ deutschen Berichterstattung über das IOC, dessen Präsidenten, den Olympismus und die Olympischen Spiele kann die öffentliche Meinung, wie man sie an jedem Stammtisch hören kann, gewiss nicht überraschen. Denn jeder, der sich über Bach und das IOC äußert, tut dies auf der Grundlage seiner Informationen, die er von diesem fragwürdigen deutschen Massemedien-System erhalten hat.

Vor dem Hintergrund dieser Situation muss zu Recht gefragt werden, warum das IOC ausgerechnet seine Olympischen Spiele in ein Land geben soll, in dem die Massenmedien ja ganz offensichtlich genau diese Spiele verhindern möchten. Wäre die bisherige, überwiegend negative, deutsche Sportberichterstattung über das IOC und die Olympischen Spiele tatsächlich zutreffend und wäre sie dabei den Prinzipien einer demokratischen massenmedialen Berichterstattung gefolgt, wäre sie also objektiv, relevant, verständlich und wahrhaftig, so müsste es sich doch eigentlich verbieten, dass Deutschland sich für ein derart miserables Projekt bewirbt.

Trifft hingegen, wie hier geäußert, die Kritik an der massenmedialen Situation in Deutschland zu, so muss alles getan werden, um diese Situation zu verändern. Erst dann kann sinnvoll über eine deutsche Bewerbung für zukünftige Olympische Spiele nachgedacht werden.
Die Zeit als Intendanten wie Stolte, Chefredakteure wie Pleitgen und Sportchefs wie Valerien, Wölbert, Rabe, Friedrichs, Michel etc. noch eine Kontrolle über die Qualität der Sportberichterstattung ausgeübt hatten, scheint schon seit längerer Zeit der Vergangenheit anzugehören.

Selbst Experten wissen heute oft nicht, wer die Chefs der öffentlich-rechtlichen Sender und die Chefredakteure der wichtigsten Tageszeitungen sind. Zwar entsendet der DOSB, ebenso wie die Landessportverbände/-bünde Vertreter in die „Rundfunkräte“, die Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, doch über eine bloße Anwesenheit scheinen diese Herren und Damen nicht hinauszukommen.

Wie könnte es sonst sein, dass Live-Übertragungen immer häufiger vorgetäuscht, quälende Talkrunden in Studios, die mit teurem Design versehen sind, „abgehalten“ und laufende Sportübertragungen von den gebührenfinanzierten „Öffentlich-Rechtlichen“ durch Werbeblocks unterbrochen werden, die den wirklichen Sportfan dann in seinem Ärger zurücklassen?

Wie könnte es sonst sein, dass gleichzeitig stattfindende wichtigere Wettkämpfe nicht übertragen werden oder wenn wegen eines unsäglichen Talks eine Liveübertragung abgebrochen wird?
Wie könnte es sonst sein, dass sich immer häufiger Sportredakteure / Sportredakteurinnen – oft im „Doppelpack“ – von „Sport Experten“ begleiten lassen, deren Honorare inzwischen nach eigenen Angaben bei der ARD „knapp“ 2 Millionen €, (pro Experte 117 000 Euro), beim ZDF je Experte 50.000 € im Jahr betragen?

Bei all dem wird auf eine hinreichende sportfachliche Kompetenz der „Hauptamtlichen“ gelegentlich wohl auch fast ganz verzichtet und eine für einen kritischen Sportjournalismus notwendige sportpolitische Kompetenz ist so gut wie gar nicht anzutreffen. Der schleichende Wandel des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu einer kontinuierlichen Selbstdarstellungsshow scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein.
Angesichts solcher Entwicklungstendenzen im deutschen Sportjournalismus muss am Ende dieser Überlegungen eine grundlegende Skepsis zurückbleiben. Es muss schon ein Wunder geschehen, sollen in der näheren Zukunft Olympische Spiele in Deutschland stattfinden.

Damit eine deutsche Bewerbung nicht schon zu Beginn zum Scheitern verurteilt ist, bedarf es außergewöhnlicher, gemeinsamer Anstrengungen aller Beteiligten, die ein wirkliches und glaubwürdiges Interesse an zukünftigen Olympischen Spielen in Deutschland bekunden. Dies ist jedoch derzeit (noch) nicht zu erkennen.

Wir bräuchten ganz offensichtlich einen Willy Daume, Medienvertreter wie Stolte, und Pleitgen, Politiker wie Willy Brandt und Hans Joachim Vogel, Sportwissenschaftler wie Ommo Grupe und Kreative wie Otl Aicher und Günter Behnisch, damit wir uns berechtigte Hoffnung auf eine erfolgreiche deutsche Bewerbung für Olympische Spiele machen können. Unter mehr als 80 Millionen Deutschen müssten sich solche Menschen eigentlich finden lassen.

Ihnen sollen abschließend noch einige Empfehlungen mit auf den Weg gegeben werden, die möglicherweise dazu beitragen können, dass meine Skepsis nicht berechtigt ist und dass durch die Umsetzung wichtiger einzelner Maßnahmen berechtigte Chancen für eine erfolgreiche deutsche Bewerbung für zukünftige Olympische Spiele bestehen. Die folgenden Empfehlungen beruhen teilweise auch auf einem Austausch mit Olympischen Experten, denen zukünftige Olympische Spiele in Deutschland ein wichtiges Anliegen sind:

  1. Die erste Empfehlung ist grundlegend: Wenn Deutschland Olympische Spiele wirklich ausrichten möchte, so muss von Seiten der Politik ein deutliches Zeichen im Bereich des Schulsports gesetzt werden. Die Einführung der täglichen Sportstunde im öffentlichen Schulwesen ist – im Vergleich zu anderen Industrienationen – schon längst überfällig. Vor dem Hintergrund der bundesweiten Umsetzung des Rechtsanspruchs der Schülerinnen und Schüler auf ganztägige Förderung und Betreuung ab 2026¹ bietet sich in vielen Schulen bereits heute die einmalige Chance der Umsetzung. Sie ist gesundheitspolitisch ebenso relevant, wie sie sportpolitisch ein Fundament für eine erfolgreiche Bewerbung schaffen könnte.
  2. Grundvoraussetzung für mehr Sportunterricht in den Schulen ist allerdings auch die verstärkte Einstellung fachlich qualifizierter Sportlehrkräfte, damit „fachfremd“ erteilter Unterricht zu einem Fremdwort wird. Ebenso bedeutsam ist die Bereitstellung einer hinreichenden Sportstättenversorgung für Schulen und Sportvereine auf der Grundlage kommunaler Sportentwicklungspläne, die auch die Bedarfe und Erfordernisse des (Hoch-)Leistungssports berücksichtigt. Es ist deshalb zwingend notwendig, zeitnah einen neuen „Goldenen Plan“ für den Sportstättenbau aufzulegen, um die Ernsthaftigkeit einer Bewerbung und die damit verbundenen Ambitionen auch zu „untermauern“.
  3. Ferner müsste eine Schulsport-Kampagne, die eine Rückkehr zum „Wettkampf“ für alle Klassenstufen zum Inhalt hat, höchste Priorität besitzen. Dabei dürfen sogenannte „Unsportliche“ nicht bloßgestellt werden, sondern diese sind vielmehr zu motivieren, jene Sportaktivitäten zu finden, die für sie am besten geeignet sind und bei denen sie ihre eigenen spezifischen Talente entwickeln können. Erstrebenswert wäre es zudem, die Teilnahmebedingungen für „Jugend trainiert für Olympia & Paralympics“ zu überdenken und sie in wirkliche „Bundesjugendwettkämpfe“ aller deutschen Schulen zu überführen.
  4. Neben der Forderung nach einer Aufwertung des Schulsports gehört auch eine Aufwertung und gesellschaftliche Anerkennung der Berufe der Trainer und Trainerinnen. Gerade für hauptamtliche Trainer und Trainerinnen steht – wie es sich während der Spiele 2024 in Paris überdeutlich zeigte – die Forderung nach Arbeitsverträgen, die ihnen eine langfristige Perspektive eröffnen, nach wie vor ungelöst im Raum.
  5. Die fünfte Empfehlung zielt auf die immer noch notwendige kritische und tiefgründige Analyse der gescheiterten Olympia-Bewerbungen (seit Berchtesgaden 1992) ohne Ansehen damals beteiligter Personen durch ein Expertengremium, bestehend aus Historikern, Kommunalpolitikern, Sportfunktionären und unter Beteiligung der Medien. Das Ziel dieser Analyse muss sein, dass wir gemeinsam aus Fehlern lernen können und zukünftig eine bessere Bewerbung präsentieren, als dies in der Vergangenheit der Fall war.
  6. Die sechste Empfehlung wurde oben bereits angedeutet. Die Bewerbung um die Ausrichtung Olympischer Spiele muss als nationale Herausforderung verstanden werden, die durch die einmütige Zustimmung der Bundesregierung und einem positiven Beschluss des Bundestages sowie des Parlaments des entsprechenden Bundeslandes, in dem die Bewerberstadt liegt, unterstützt wird.
  7. Ferner ist zu empfehlen, dass die Bundesregierung ein Sondervermögen schafft, um eine Kampagne für eine fundierte Olympiabewerbung finanziell abzusichern und die Sanierung maroder Sportstätten zu ermöglichen.
  8. Achtens sollte die aussichtsreichste Kandidatenstadt durch ein Expertengremium, dem kompetente Vertreter des DOSB, der olympischen Fachverbände, der Politik, der Wirtschaft, der Medien sowie unabhängige Persönlichkeiten angehören sollten, gesucht und festgelegt werden. Die nicht berücksichtigen Bewerberstädte sollten verpflichtet werden, eine Unterstützungserklärung abzugeben.
  9. Die Diskussion über mögliche Winterspiele sollte angesichts der ökologischen Situation der deutschen Alpen und angesichts der absehbaren klimatischen Veränderungen sofort beendet werden. Benötigt wird hingegen eine möglichst schnelle Entscheidung zu Gunsten einer weltweit bekannten deutschen Metropole, die bereits über geeignete olympische Sportstätten verfügt, die lediglich durch temporäre Wettkampfanlagen ergänzt werden müssen. Von der ausgewählten Metropole muss eine Bereitschaftserklärung verlangt werden, im Falle einer Abstimmungsniederlage durch das IOC für eine oder zwei weitere Kandidaturen für zukünftige Sommerspiele zur Verfügung zu stehen.
  10. Sollte Deutschland sich für die Spiele 2036 bewerben, so muss klar sein, dass die Diskussion zum Thema „Berlin 1936“ notwendigerweise stattfinden muss und allen Beteiligten an der Bewerbung nicht erspart werden kann. Ziel sollte es jedoch sein, dass sich die Diskussion nicht zum wiederholten Mal in Plattitüden zu den angeblich oder tatsächlich sehr bösartig missbrauchten Spiele durch die Nationalsozialisten erschöpft. Vielmehr sollten in Workshops und Seminaren auf wissenschaftlichem Niveau das tatsächlich Geschehene schonungslos, aber sachlich analysiert und neue Erkenntnisse der Öffentlichkeit präsentiert werden.
  11. An einer Universität der ausgewählten Bewerberstadt sollte möglichst sofort ein Lehrstuhl für Olympismus mit einer ordentlichen Professur geschaffen werden. Diese sollte mit einem Wissenschaftler bzw. einer Wissenschaftlerin besetzt werden, der/die über ein ausgeprägtes Wissen über die Olympische Charta, über die Olympische Geschichte sowie über eine politikwissenschaftliche Kompetenz über Fragen der Sportpolitik verfügt.
  12. Der DOSB muss sich sofort auf die Suche nach geeigneten Personen machen, die zukünftig deutsche Interessen in den internationalen Sportorganisationen vertreten sollen. Hierzu müssten Absolventen der Geburtsjahrgänge 1995 bis 2005 mit umfangreichem Wissen über den Olympismus, mit praktischen Erfahrungen bei Olympischen Spielen und mit perfekten Kenntnissen in mindestens zwei Fremdsprachen gesucht und weitergebildet werden. Zu suchen sind somit junge Menschen, die perspektivisch für eine ehrenamtliche Tätigkeit in der internationalen Sportpolitik in Frage kommen könnten.
  13. Das Thema „Sport und Kunst“ muss sichtbar aufgewertet werden. Die geplanten Sportmuseen in Berlin und Leipzig, deren Eröffnung seit Jahren angekündigt wird, müssen möglichst sofort in die Tat umgesetzt werden. Die im Depot der Leipziger Universität schlummernden Kunstwerke müssen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das Wintersportmuseum in Oberhof muss wieder eröffnet werden und in München muss ein längst überfälliges Olympia Museum gegründet werden. Das mindeste, was man diesbezüglich erwarten darf, ist eine permanent zugängliche Ausstellung im Olympiastadion bzw. im Olympischen Dorf.
  14. Ein hilfreiches Signal zu Gunsten einer deutschen Bewerbung wären auch Fördermaßnahmen durch Bund und das Land Brandenburg, um die verbliebenen Reste des Olympischen Dorfes von 1936 in Dallgow/Döberitz zu retten und einer musealen Nutzung zuzuführen. Der DOSB sollte gemeinsam mit einer der führenden deutschen Kunsthochschulen, zum Beispiel mit der international erfolgreichen und anerkannten Folkwang Universität in Essen, einen angemessen hoch dotierten „Internationalen Kunstpreis des Sports“ ausschreiben und jährlich durchführen.
  15. Der DOSB und seine Mitgliedsverbände müssen regelmäßig Seminar-Angebote zu den Themen „Olympische Erziehung“, „Olympic Charter“ und „Olympische Geschichte“ für ehrenamtlich tätige Sportfunktionäre und Medienvertreter anbieten und durchführen.
  1. Schließlich müssen die olympischen Werte, insbesondere die Idee des Fairplay durch eine gezielte Nutzung der „Social-Media“ kontinuierlich vermittelt werden. Designer der Gaming-Industrie müssen aufgefordert und unterstützt werden, vielfältige und spannende Computerspiele mit pädagogisch verantwortbarem und tragfähigem sportlichem Hintergrund zu entwickeln.

Für eine mögliche deutsche Olympia Bewerbung, das zeigen diese Empfehlungen, muss ganz offensichtlich noch viel vorbereitet, entschieden und geleistet werden.

Letzte Bearbeitung: 16. 9. 2024

Prof. Dr. Helmut Digel
Eberhard Karls Universität Tübingen
Institut für Sportwissenschaft
Wilhelmstr. 124 – 72074 Tübingen – Germany
Mobil: +49 162 2903512
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¹ Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf „gendergerechte“ Sprachformen – männlich weiblich, divers – verzichtet. Bei allen Bezeichnungen, die personenbezogen sind, meint die gewählte Formulierung i.d.R. alle Geschlechter, auch wenn überwiegend die männliche Form steht.

² https://www.ksta.de/panorama/promis/sportschau-ard-bastian-schweinsteiger-alexander-bommes-und-co-so-viel-zahlt-die-ard-an-sport-experten-1-851943  (Zugriff  am 28.08.2024).

 

author: GRR