2009 World Outdoor Championships Berlin, Germany August 15-23, 2009 Photo: Yohei Kamiya@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET
Wann gibt es wieder Olympische Spiele in Deutschland? Michael Gernandt in „Olympisches Feuer“
Der Beitrag von Michael Gernandt erschien in der Ausgabe von "Olympisches Feuer" von 1/2012. Thomas Bach hat sich jetzt gerade um den Posten des IOC Präsidenten beworben, die Aussagen von Michael Gernandt bestehen weiterhin und haben nichts an ihrer Grundsätzlichkeit verloren.
Horst Milde
Von den drei Städten, die mehr als einmal Olympische Sommerspiele ausrichten durften, Paris, London und Los Angeles, hat die Hauptstadt des Vereinigten Königreichs bisher am längsten auf eine erneut erfolgreiche Bewerbung warten müssen: 64 Jahre, von 1948 bis 2012.
Sollte sich Paris, wann auch immer, noch einmal durchsetzen, wird die britische Rekordwartezeit überboten. Paris war zuletzt 1924 Gastgeber. Nachdem Deutschland 2011 mit seiner Bewerbung für Winterolympia 2018 scheiterte, hat der deutsche Sport gute Chancen, auf eine Wartezeit von stattlichen 60 Jahren zu kommen, nimmt man München 1972 als Ausgangsdatum. Mit Winterspielen vielleicht 2026 ließe sich die Zeitspanne ein wenig einengen.
All diese Generationen überbrückenden Zahlen werden in den Schatten gestellt, sollten die Deutschen sich zu einer Sommerkandidatur mit Berlin (und nicht mit dem ehrgeizigen Hamburg) durchringen und das große Los ziehen.
Frühestens 2028 oder 2032, lauten realistische Prognosen, könnten Sommerspiele in der Bundeshauptstadt stattfinden – fast ein Jahrhundert nach den Hitler-Spielen.
So beschrieben ist das ein ernüchternder, um nicht zu sagen ein trüber Ausblick auf Olympia in Deutschland. Der wird auch nicht klarer durch ein Anfang Dezember vergangenen Jahres vom Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) abgegebenes Gelöbnis, dem der Verzicht „zum jetzigen Zeitpunkt" auf einen zweiten Anlauf Münchens auf Winterspiele 2022 vorausgegangen war: „Wir wollen Olympische Spiele in Deutschland, wir stehen für eine erneute Bewerbung".
Entscheidend jedoch ist der Nachsatz des Quasiversprechens: „ … wenn die Rahmenbedingungen stimmen und begründete Aussicht auf Erfolg besteht". In dieser Kondition stecken Eventualitäten, Möglichkeiten und Hindernisse im Dutzend billiger.
Außer den Wintersportverbänden und der Münchner Olympiaparkgesellschaft, die zu Beginn ihres Jubiläumsjahres 2012 (40 Jahre nach den Spielen 1972) ihren Olympiawunsch erneuerte, hat die Absage niemand wirklich bedauert. Selbst die Avancen der prominenten IOC-Mitglieder Jacques Rogge („Das IOC wäre über eine neue deutsche Bewerbung sehr glücklich") und Dick Pound („Eine zweite Münchner Bewerbung hätte erstklassige Chancen") brachten den DOSB nicht vom Kurs ab. Von welchem Kurs? Na, den des Abwartens und des Respekts vor den vielfältigen politischen Handicaps für Bewerbungen in den 2020er-Jahren, den partei-, sport-, geo-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen.
Das parteipolitische Hindernis: der heiße Herbst 2013 mit den Weichenstellungen in Bund und Land. Die Wahlen zum Bundestag in Berlin und zum bayerischen Landtag binden die Konzentration der Politiker, Ablenkung durch die ebenfalls im September fällige Anmeldung beim IOC für „Winter22" können sie nicht gebrauchen. In München setzt Christian Ude, der beim IOC-Votum für 2018 zu kurz gesprungene Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, zum nächsten Satz an.
Er will als erst zweiter SPDler Ministerpräsident von Bayern werden und rechnet sich Chancen aus, die sogar besser sein könnten als jene in Durban im Juli 2011. Nicht außer Acht zu lassen: die Olympiastimmung bei den Grünen. Schon bei der 2018-Bewerbung gespalten, besonders in Bayern (nur ihre Münchner Stadträte waren pro Olympia 2018), können sie sich jetzt auf den Beschluss der Bundespartei berufen, künftige Winterspiele in Süddeutschland abzulehnen. Die Grünen sind ein Olympiarisiko, bekämen sie in Berlin Regierungsverantwortung.
Das sportpolitische Handicap. Es ist ein besonders sensibles, alldieweil es mit dem Namen Thomas Bach in Verbindung gebracht werden muss. Auch er, DOSB-Chef und Vize beim IOC, hat 2013 Anderes im Sinn, als schon wieder den Griff auf Olympia vorzubereiten. Ihm geht es mutmaßlich um den Zugriff auf das höchste Amt im IOC, das Rogge turnusgemäß am 10. September 2013 auf der IOC-Session in Buenos Aires abgeben muss. Noch hat der Ex-Fechter seine Maske nicht gelüftet (sich vorzeitig zu outen, so unklug war noch keiner der möglichen Präsidentschaftsanwärter, erst drei Monate vor dem Wahltag müssen sie sich zu erkennen geben), Bach wird dies aber tun, davon wird allgemein ausgegangen.
Der Mann ist ja Stratege, hatte doch schon die 2018-Bewerbung den Charakter einer taktischen Variante Richtung Rogge-Nachfolge. Anders formuliert: Mit der frühen Positionierung für „München18" ging Bach dem Risiko aus dem Weg, während der Session in Argentinien eine deutsche Bewerbung für „Sommer20" am Bein zu haben. Nebenbei: Wie hätte sich ein Sieg Münchens über Pyeongchang, so unrealistisch er war, auf Bachs Siegchancen bei der Präsidentenwahl ausgewirkt, war es so, wie es gelaufen ist, nicht günstiger für ihn?
Der geopolitische Aspekt. In Anbetracht der bei der Spielevergabe beliebten Angewohnheit des Kontinentehüpfens tut es den deutschen Olympiaambitionen gut, erst ein Mal die Wahl in Buenos Aires für Sommer 2020 abzuwarten. Nach Rio 2016 nimmt eine europäische Stadt – Madrid, Rom, Istanbul, mit im Rennen noch die Asiaten Tokio, Doha und Baku – die Poleposition ein. Gewinnt, sagen wir Madrid, dann haben Europäer (z.B. St. Moritz/Davos) für Winter 22 schlechte Papiere, deren Wert weiter fällt, wenn sich noch eine Gemeinde der USA (Denver, Reno/Lake Tahoe) bewirbt.
Davon wird ausgegangen im Fall, dass das jahrelange Tauziehen zwischen dem IOC und dem finanziell privilegierten amerikanischen Olympiakomitee um eine gerechtere Verteilung der vom IOC generierten TV- und Sponsorengelder rechtzeitig endet. Die Aussichten darauf sollen nicht schlecht sein. Die USA sind dann schon deshalb Winterfavorit, weil sich für den TV-Kanal NBC die Chance bietet, die 4,4 Milliarden Dollar, die er dem IOC für die Rechte 2014-2020 überweist, mit Übertragungen zur Primetime in der eigenen Zeitzone zu refinanzieren.
Bei so viel Geld drücken sie im IOC-Plenum gern den entsprechenden Knopf der Wahlmaschine.
Das bedeutet aber: Eine zweite DOSB-Winterbewerbung (für 2022) hätte es wieder schwer gehabt. Und überhaupt, ist das Projekt deutsche Winterspiele nicht schon der Ablage anheim gegeben? Berlins Regierender Klaus Wowereit liegt vermutlich richtig, wenn er tönt: „Deutschland hat nur mit Berlin reelle Chancen". Also Sommerspiele.
In knapp zwei Jahrzehnten. Für die Sportfreunde von Flensburg bis Garmisch. Es geht schließlich doch ums Ganze.
Die wirtschaftspolitische Seite. So lange niemand voraussehen kann, wann die europäische Schulden- und Eurokrise ein Ende hat, sind Olympiabewerbungen, zumal die um die obszön teurer werdende Sommerausgabe, dem Steuerzahler gegenüber nicht wirklich rational zu begründen. Selbst in Deutschland nicht, der gut unter Dampf stehenden Wirtschaftslok des EU-Raums. Zur Erinnerung: Die Münchner 2018-Bewerber schafften es nicht mal, ihren 33 Millionen-Etat zur Gänze privat zu finanzieren, zu groß war die Verunsicherung in Industriekreisen.
Erstaunlich genug, dass sich die Hauptstädte der hoch verschuldeten Länder Spanien und Italien ins Rennen um 2020 gestürzt haben. Die dort Ende 2011 vollzogenen Regierungswechsel erzeugten wohl Rückenwind für die madrilenischen Olympiaanwärter, nicht aber für den römischen. Die wussten bis weit in den Februar hinein nicht, wie sich die Regierung des sparsamen Mario Monti zu Olympia stellt.
Der gesellschaftspolitische Blickwinkel. Grundsätzlich nicht in Frage gestellt, aber immerhin tangiert werden deutsche Olympiaambitionen von der Überlegung, nach dem Scheitern in Durban möge der DOSB andere Themen in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellen: den siechen Schulsport, den durch das G8 belasteten Jugendvereinssport, Gewalt und rechtsextreme Auswüchse in den und außerhalb der Sportstätten.
Erneut notwendig zudem: ein Diskurs über die öffentliche Akzeptanz des olympischen Spitzensports. Man ist ja hellhörig geworden, als im Januar in Garmisch-Partenkirchen, dem Ort der eben noch Olympia haben wollte, eine Stimmung gegen den alpinen Skiweltcup und pro Volkssport in den Bergen rund um die Marktgemeinde zu vernehmen war.
Nach den Sommerspielen, wie immer sie enden für die Deutschen, sollte sich der DOSB drängenden Fragen stellen. Eine „Generalrevision nach London" hat Thomas Bach ja schon angekündigt, „wir werden alles auf den Kopf stellen und analysieren" – Bachs möglichen Abschied vom DOSB-Präsidentenamt inklusive?
Michael Gernandt in "Olympisches Feuer" – Ausgabe 1/2012
Michael Gernandt hat die Situation im Übrigen in jedem weiteren Heft in seiner Kolumne "Münchner G`schichtn" satirisch fortgeschrieben.
"Die Diskussion geht jetzt um die Frage: Was wird aus einer München22-Kandidatur, wenn a) Bach gewählt wird und b) wenn er nicht gewählt wird.
Unter Umständen kommt das IOC auf Knien nach München gerutscht und sagt: bitte, bitte bewerbt euch, es ist kein anderer Bewerber da. Und: Wie gehen die vier Bürgerentscheide aus (München, Gapa, Berchtesgaden, Traunstein) aus. Dass München mehrheitlich zustimmt, ist nicht sicher. Die Initiative NOlympia ist immer noch sehr stark.
Wie stimmt das DOSB-Plenum und vor allem unter welchen Präsidenten, wenn Bach gen Lausanne entfleucht sein sollte? Sie sehen, Fragen über Fragen.
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