Denn der Mensch ist mehr als eine Maschine, seine Leistungsfähigkeit ist flexibel: stellt er an sich Ansprüche, wird er leistungsfähiger, stellt er keine, verliert er Leistung.
Vorsichtig steigern – EIN INTERVALLTRAINING IST FÜR AMBITIONIERTE LÄUFER EIN MUSS. WIE INTENSIV ES SEIN DARF, ERFAHREN SIE HIER – Ed Eystone und Martin Grüning in RUNNERS WORLD
SIE WAREN NACH IHREM LETZTEN INTERVALLTRAINING „nur“ außer Atem, sind aber nicht völlig erschöpft auf die Laufbahn gefallen? Und jetzt glauben Sie, dass beim nächsten Mal das Belastungstempo radikal erhöhen müssen? Falsch! Mit Belastungssteigerungen muss man sehr sensibel sein, ansonsten endet das Tempotraining irgendwann im Desaster, oder im athletendeutsch: im Übertraining.
Zu wissen, wann und wie man seine Belastungsspitzen erhöhen darf, ist eine Wissenschaft für sich, aber unbedingt wichtig, um am Wettkampftag auf den Punkt topfit zu sein.
Natürlich könnte man immer auf ein- und demselben Niveau trainieren, da würde man keinesfalls riskieren, sich zu überlasten, aber eben auch keine Leistungsfortschritte bewirken. Eine Tempoerhöhung beim Intervalltraining macht also durchaus Sinn, um dem Körper Anforderungen zu stellen, auf die er reagieren muss.
Denn der Mensch ist mehr als eine Maschine, seine Leistungsfähigkeit ist flexibel: stellt er an sich Ansprüche, wird er leistungsfähiger, stellt er keine, verliert er Leistung. Die Erhöhung einer Laufbelastung ist folglich ein Muss, wenn man schneller werden wird, aber man muss wissen, in welchen Schritten man diese erhöht.
Lassen Sie sich Zeit
Auch wenn Sie sich nach Tempoläufen noch so gut fühlen, lassen Sie sich mindestens drei bis vier Wochen Zeit, bis Sie das Tempo in speziellen Programmen verschärfen. Nicht bei jedem Tempolaufprogramm muss man völlig außer Atem kommen. Versuchen Sie stattdessen, in den Belastungen auch auf einen „runden“, ökonomischen Laufstil zu achten und die Belastungen gut (= gleichmäßig) einzuteilen.
Sind es schließlich wirklich drei, vier Wochen in denen Ihnen die Intervallprogramme auf bekanntem Niveau zunehmend leichter fallen, dann ist es Zeit, das Tempo zu erhöhen, aber Vorsicht: mehr als zwei Sekunden pro Runde (= 400 m) sollten es nicht sein.
Hören Sie auf Ihren Körper
Es gibt klare Signale, die zeigen, dass Sie bereit für den nächsten Belastungssprung sind: Fühlen Sie sich zum Ende eines Intervalltrainings jedes Mal so, als ob Sie problemlos noch ein oder zwei weitere Belastungen hätten machen können? Sind Sie zum Ende des Programms nie außer Atem? Müssen Sie beim letzten Viertel des Programms keinesfalls damit kämpfen, das Tempo aufrecht zu erhalten? Dann wird es Zeit, die Belastungstempi zu erhöhen.
Beobachten Sie Ihre Erholung
Die (Trab)Pausen innerhalb eines sinnvollen Intervallprogramms sind mindestens halb so lang, wie die Belastungen. Beispiel: Sie laufen 5 x 1000 Meter in 4:00 Minuten, dann sollten die Trabpausen zwischen den schnellen 1000ern mindesten 2:00 Minuten dauern. Fühlen Sie sich zum Ende der Pause ganz so, als ob Sie zuvor gar nicht schnell gelaufen wären, oder sind Sie schon nach viel kürzerer Pausenzeit total erholt, so ist dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Belastungen nicht scharf genug sind.
Trainieren Sie mit einem Herzfrequenzmesser? Da lässt sich die Erholung ja hervorragend kontrollieren: Fällt die Herzfrequenz auch in den Trabpausen zwischen den letzten Belastungen unter 75 Prozent der maximalen Herzfrequenz können Sie davon ausgehen, dass Sie in den Tempoläufen unterfordert sind und können bei der nächsten Belastung das Tempo erhöhen.
Es gibt mehrere Belastungsvariablen
Bedenken Sie auch, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, ein Intervalltraining zu forcieren: Die erste – und hier ausführlich Besprochene – betrifft die Erhöhung des Lauftempos innerhalb der Belastungen. Das Intervallprogramm verschärft sich aber auch, wenn Sie die Intervalle zwischen den Belastungen verkürzen oder einfach mehr Belastungen ins Programm einbauen. Nicht sinnvoll ist es, das Trabtempo in den Intervallen zu erhöhen. Achten Sie aber darauf, dass Sie nicht alle Maßnahmen auf einmal ergreifen, wenn Ihnen ein Intervallprogramm zu wenig belastend erschien.
Ed Eystone
Ed Eystone ist Sportwissenschaftler und nahm 1988 und 1992 als Marathonläufer für die USA an Olympischen Spielen teil.
GERSCHLER SEI DANK DIE GESCHICHTE DES INTERVALLTRAININGS
Woldemar Gerschler, in den 30er Jahren Trainer des 800-m-Weltrekordlers Rudolf Harbig, und der Kardiologe Professor Reindell, entwickelten Ende der 30er Jahre in Freiburg die ersten Ideen zum Intervalltraining. Dabei wurden erstmals harte Tempobelastungen durch lange Geh-, sogar Liegepausen unterbrochen, was eine Wiederholung mehrerer scharfer Tempoläufe in einem Training möglich machte.
Die Kritiker meinten, dass diese Trainingsform eine zu hohe Belastung darstelle, es zu eintönig sei, immer die gleichen Trainingsstrecken auf der Bahn zu laufen und es funktionsfremd sei, da das Laufen im Wettkampf doch etwas Ununterbrochenes ist.
Aber mit den Erfolgen des Mittelstrecklers Rudolf Harbig 1939, spätestens mit Emil Zatopeks Olympiasiegen (1948 und 1952) waren auch bald die grundsätzlichen Einwände gegen das Intervalltraining verschwunden. Ende der 40er Jahre verschob sich die Diskussion vor allem auf die Fragen: Welche Dosierung der Intervalle ist sinnvoll? Wie viele Intervalle in welchem Tempo und mit welchen Pausen sind sinnvoll?
Zatopek variierte beim Intervalltraining stark, bevorzugte aber grundsätzlich ein Intervallprinzip, bei dem die Belastungstempi relativ niedrig waren, die Wiederholungszahl dagegen extrem hoch.
Ein typisches Zatopeksches Intervalltraining sah folgendermaßen aus: 5 x 200 m in 30–35 sek, 15 x 400 m in 80–90 sek, 15 x 400 m in 70 sek, 10 x 400 m in 80–90 sek, 5 x 200 m in 28 sek.
Der ungarische Erfolgstrainer Mihaly Igloi trieb es schließlich in den 50er und 60er Jahren auf die Spitze. Für Iglois Athleten gab es keinen Trainingstag ohne Intervalle – mit Erfolg, auf Iglois Training waren diverse Europa- und Weltrekorde (u. a. Istvan Roszavölgyi, Sandos Iharos) und auch der 10000-m-Olympiasieg 1964 von Bob Schul (USA) zurückzuführen.
Aber Trainerlegenden wie der Australier Percy Cerutty oder der Neuseeländer Arthur Lydiard führten in den 60er Jahren schließlich das „moderne“, „gemischte“ Lauftraining ein. Ruhige Dauerläufe und verschiedenste Intervalltrainings wechselten sich in einer Trainingswoche ab und das Wichtigste: Die Dosierung der Intervalle war auf Jahreszeiten und Wettkampfstrecken abgestimmt.
Und so ist es bis heute geblieben:
Es gibt keinen Weltklasse-Mittel- oder Langstreckler, der ohne das Intervalltraining seine Erfolge erzielt.
Martin Grüning in RUNNERS WORLD