Eine Warnung gaht aber auch an die Leistungsdiagnostiker, die ohne medizinischen Hintergrund solchem Verhalten Vorschub leisten.
Vom Saulus zum Paulus – und das sofort? Ein Extrem-Wandel der Verhaltensstrukturen kann gefährlich sein. – Dr. Willi Heepe
Die Titelzeile geht weit zurück in die christliche Gedankenwelt. In der Apostelgeschichte der Bibel wird der Christenverfolger Saulus bekehrt und schließlich zum Apostel Paulus. Bis auf den heutigen Tag wird mit dieser Redewendung jemand bezeichnet, der seine Ansichten und/oder Verhaltensweisen völlig verändert vom Gegner einer Sache zu dessen Befürworter wird.
Nun ist bekannt, dass Menschen die extreme Verhaltensstrukturen pflegen, dazu neigen, bei einer Änderung ihres Erkenntnisstand sofort auch ihr Verhalten diametral in die entgegengesetzte Richtung zu lenken. Im Bereich des Sportes ist ein solcher Strukturwandel nicht selten. Über einen besonderen Fall aus meiner sportmedizinischen Praxis möchte ich berichten.
Ein 34-jähriger Laufer nimmt an einer Charité-Marathon-Studie teil. Er fällt wegen einer Besonderheit
im Elektiokardiogramm auf und stellt sich zur Diagnostik vor. Dabei kommt folgende Vorgeschichte ans Licht: Bis zum 32. Lebensjahr hatte der junge Mann extrem geraucht, Alkohol genossen, Drogen genommen, keinen Sport getrieben. Mit Fug und Recht könnte man sagen, er hat kein Risiko ausgelassen. Dann entdeckte er die Liebe seins Lebens. Es folgt ein Kind und mit diesen geänderten Lebensumständen trat auch ein Gesinnungswandel ein. Alle Risikofaktoren wurden abgehakt und mit dem Laufsport begonnen.
Mit der gleichen Intensität, mit der der nun 34-Jährige die Risikofaktoren gelebt hat, läuft er nun. In kürzester Zeit absolviert er seinen ersten Marathon in einer beachtlichen Zeit von knapp über 4 Stunden. Keine Frage, die physischen Voraussetzungen hierzu waren exzellent gegeben. Ein Lauffreund hatte ihm das entsprechende Trainingsprogramm vermittelt. In kürzester Zeit wird der Berlin-Marathon ins Visier genommen und eine Zeit unter vier Stunden angepeilt. Eine bei dieser Vorgeschichte zwingend notwendige medizinische Begleitung erfolgt nicht. Hingegen wird nun eine Leistungsdiagnostik im Sonderangebot wahrgenommen und das Trainingsprogramm wird auf die angepeilt Zeit vermittelt und beraten.
Ich muss es an dieser Stelle deutlich sagen, die Teilnahme an der oben genannten Marathonstudie im Vorfeld des Berlin-Marathons hat möglicherweise Schlimmes verhindert. Bei dieser Untersuchung fiel eine abnorme EKG-Entwicklung unter der Belastung auf. Dem jungen Mann wurde eine medizinische Diagnostik dringend nahegelegt.
Die Ultraschalluntersuchung seines Herzens zeigte dann die ganzen Ausmaße des Gesundheitsschadens.
Der Läufer hatte so intensiv trainiert, dass der Herzmuskel sich strukturell nicht mitentwickeln konnte. Er erweiterte sich krankhaft. Die Teilnahme am Berlin-Marathon mit der im Trainingsplan anvisierten Zeit wäre
möglicherweise der letzte Lauf seines Lebens gewesen.
Alle Beteiligten, von dem jungen Mann angefangen bis hin zu jenen, die den Trainingsplan aufstellten und begleiteten, hätten bei dieser Risiko-Gemengegelage zunächst eine sorgfältige kardiologische Voruntersuchung durchführen lassen bzw. nahelegen müssen. Erst dann hätte ein behutsam aufbauendes Training erfolgen dürfen.
Deutlicher kann man den Wahnsinn ausschließlich nach Zeiten und Rekorden in kürzester Zeit nicht markieren. Eine Warnung gaht aber auch an die Leistungsdiagnostiker, die ohne medizinischen Hintergrund solchem Verhalten Vorschub leisten. Die Zufallsteilnahme an dieser Studie verhinderte Schlimmeres. Wenn sich jemand vom Saulus zum Paulus wandelt, dann sollte er auch die nötige Zeit dafür mitbringen und entsprechende Schritte gehen.
Dr. Willi Heepe in LAUFZEIT 1/2011 LAUFZEIT
Fachgebiete: Allgemeinärztliche und kardiologische Diagnostik und Betreuung.
Sportmedizinische Diagnostik und Therapie.
Sportkardiologische Vorsorgeuntersuchungen.
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Dr. Willi Heepe ist praktischer Arzt und Sportmediziner.
Seit über zwanzig Jahren liegt der Schwerpunkt seiner Tätigkeit als niedergelassener Arzt in der medizinischen Betreuung von Menschen, denen ein Leben in Bewegung Herzensangelegenheit ist. Hierzu gehören professionelle Ausdauersportler, aber auch Patienten mit Bluthochdruck und Herzerkrankungen.
Dr. Heepe ist Fachbuchautor; seine Artikel zum Ausdauersport erscheinen regelmäßig in aktuellen Zeitschriften (beispielsweise Runners World, LAUFZEIT). Er ist außerdem ein geschätzter Dozent zu den Themen Sportmedizin, Ausdauertraining und Kardiologie.
Dr. Willi Heepe war viele Jahre lang Medizinischer Direktor des Berlin-Marathons, Berliner Halbmarathon und weiterer Laufveranstaltungen. Er ist fünfzigmaliger Marathonfinisher und auch im Alter von 70 Jahren ein aktiver Repräsentant jener »Laufkultur«, für deren Entwicklung er sich in Deutschland schon so lange engagiert.
Beiträge von Dr. Willi Heepe bei GRR:
Training im Winter – Tipps von Dr. Willi Heepe dem langjährigen Medical-Director des BERLIN-MARATHON
Länger Laufen – länger Leben! – Dr. Willi Heepe, der Berliner Marathonarzt nimmt Stellung
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