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05
01
2010

Merrill weiß zwar, dass viele Läufer schlechte Erfahrungen mit Medizinern gemacht haben, die vom Laufen nicht allzu viel verstehen, doch er rät dringend dazu, lieber zu früh als zu spät einen Arzt zu konsultieren

Versteckte Lösung – DIE WAHREN AUSLÖSER VON SCHMERZEN SIND OFT SCHWER ZU LOKALISIEREN. DOCH NUR BEI EINER EXAKTEN DIAGNOSE IST EINE BEHANDLUNG ERFOLGREICH. HIER KOMMT HILFE – Kleiner Medizinkurs in RUNNERS WORLD

By GRR 0

NUR EINE WOCHE VOR DEM SCHWARZWALD-MARATHON verspürte Petra Winzer -einen leichten Schmerz in der Leiste. „Ich glaubte die Ursache zu kennen“, erzählt  sie, und so behandelte sie die betroffene Stelle mit sanften Selbstmassagen und Eis. Am Start des Marathons in Bräunlingen war die ambitionierte Freizeitläuferin bester Dinge und dachte überhaupt nicht mehr an die Beschwerden.

Doch schon nach einem Viertel der Strecke -begann ihre Hüfte zu streiken. Die Schmerzen wurden so stark, dass sie nur mit Mühe zum Startbereich zurückgehen konnte. Einige Tage und Untersuchungen später stand die -Diagnose fest: ein Ermüdungsbruch im Hüftbereich. Petra Winzer ging zwei Monate auf Krücken und musste über ein Jahr lang komplett mit dem Laufen aussetzen.

„Laufverletzungen sind oft schwer zu diagnostizieren“, sagt Charlie Merrill, Physiotherapeut aus Boulder (USA), bei dem auch zahlreiche Weltklasse-Langstreckler in Behandlung sind. Die meisten Laufverletzungen resultieren nämlich aus Überlastungen und nicht aus  direkten Stoß- oder Sturzeinwirkungen. „Da es keinen eindeutig erkennbaren Auslöser für die Schmerzen gibt, ist es nicht leicht, ihre Ursache zu erkennen“, erklärt der Experte. „Viele Läuferbeschwerden äußern sich nicht dort, wo sie eigentlich herrühren, sondern an ganz anderen Stellen des Körpers.“

Merrill weiß zwar, dass viele Läufer schlechte Erfahrungen mit Medizinern gemacht haben, die vom Laufen nicht allzu viel verstehen, doch er rät dringend dazu, lieber zu früh als zu spät einen Arzt zu konsultieren. „Die Tatsache, dass selbst Experten sich oft schwertun, eine zutreffende Dia-gnose zu stellen, zeigt nur, wie schwer das nun mal ist.“

Manche Laufbeschwerden können verschiedene Ursachen haben – und oft ist es nicht die naheliegendste. Diskutieren Sie Ihre Beschwerden auf Basis der folgenden Erläuterungen mit Laufkollegen, Ihrem Trainer, Arzt oder Physiotherapeuten.  

Was schmerzt? DAS SCHIENBEIN
  Sie denken: SHIN SPLINTS
  Es könnte aber auch sein:

ERMÜDUNGSBRUCH

DER UNTERSCHIED: In beiden Fällen treten die Schmerzen im Schienbeinbereich auf. Bei Shin Splints betreffen sie den vorderen Schienbeinmuskel und die innere Schienbeinkante beziehungsweise die Knochenhaut des Schienbeins und lassen oft mit der Dauer eines Laufs nach. Bei einem Ermüdungsbruch in diesem Bereich wird der Schmerz dagegen mit fortdauerndem Training immer stärker.

Außerdem sind die Frakturschmerzen tiefgehend und ausstrahlend. Je stärker man das Bein belastet, desto größer werden sie. Während Shin Splints gut auf Wärme und auch leichte Massagen reagieren, ist bei Stressfrakturen ein Druck mit dem Finger extrem schmerzhaft. Verschwinden die Symptome auch nach einer zwei- bis dreiwöchigen Pause nicht, sollten Sie eine Röntgenaufnahme machen lassen.

Was schmerzt? DAS KNIE
  Sie denken: LÄUFERKNIE (CHONDROPATHIA PATELLAE)
  Es könnte aber auch sein:

ILIOTIBIALBAND-SYNDROM

DER UNTERSCHIED: Das Iliotibialband (ITB) verläuft an der Außenseite des Oberschenkels von der Hüfte bis zum Wadenbeinköpfchen knapp unterhalb des Knies. Bei ungewöhnlicher Beanspruchung durch Überpronation oder O-Beine kann das ITB außen gegen das Knie- oder auch das Hüftgelenk reiben. Häufig sind Schmerzen im Kniebereich die Folge, die aber nichts mit den Problemen eines „Läuferknies“ zu tun haben, bei dem das Gleiten der Kniescheibe schmerzhaft gestört ist.

Ein ITB-Syndrom liegt vor, wenn die Symptome sich beim Bergablaufen, einer Verlängerung des Schritts oder dem Halten des Knies in gebeugter Stellung massiv verschlimmern. Stretchen der betroffenen Stelle bringt Linderung.

Was schmerzt? DER STEIß
  Sie denken: ISCHIASSCHMERZEN
  Es könnte aber auch sein:

PIRIFORMIS-SYNDROM

DER UNTERSCHIED: Der Piriformis-Muskel ist ein birnenförmiger Skelettmuskel in der tiefen Schicht der Hüftmuskulatur. Er verläuft an der Innenseite des Beckens zum Oberschenkelknochen. Wird er gereizt, führt dies zu einer Art Ischias-schmerz. Der Grund: Der Ischiasnerv verlässt in Höhe des Gesäßes das Becken. An der Austritts-stelle zieht der Nerv gemeinsam und unmittelbar unterhalb des Piriformis durch eine knöcherne Öffnung des Beckens.

Gerät die Balance des Muskels aus dem Gleichgewicht, wirkt sich das auch auf den Ischiasnerv aus. Und zwar direkt an seiner Schwachstelle, der Austrittstelle aus dem Becken. Die eigentliche Ursache ist aber die Verspannung oder Verkürzung des Muskels.

Zur Diagnose eignet sich folgender Test: Man sitzt auf der Behandlungsliege und lässt das gebeugte Knie zur Seite herunterhängen. Während der Arzt von innen gegen den Fuß drückt, drückt man mit Kraft nach innen. Dann drückt der Arzt von außen gegen das Knie und man selbst dagegen. Verstärkt sich der Schmerz, deutet dies auf ein Piriformis-Syndrom hin.

Was schmerzt? STIRNHÖHLEN, GENICK, SIE  FÜHLEN SICH MATT
  Sie denken: EIN ERKÄLTUNGSINFEKT
  Es könnte aber auch sein:

ÜBERTRAINING

DER UNTERSCHIED: Beides hängt zusammen. Zu hohe Trainingsumfänge oder zu intensive Belastungen können zu einer Schwächung des Immunsystems führen, wodurch sich das Risiko erhöht, sich mit lästigen Erkältungen anzustecken. Weitere Anzeichen für Übertraining sind Schlafstörungen, Mattigkeit, Reizbarkeit, Appetitlosigkeit, aber vor allem schwache Trainings- und Wettkampfergebnisse.

Der Prüfstein: Wenn klassi-sche Erkältungssymptome wie Schnupfen, Heiserkeit und Husten nicht zunehmen, die Schlappheit und Antriebslosigkeit jedoch bleibt, dann spricht das eindeutig dafür, dass Sie zu viel trainieren.

Abhilfe: Reduzieren Sie das Training für mindestens zwei Wochen. Experimentieren Sie mit einer Verringerung des Kilometerumfangs, zusätzlichen Ruhetagen und dem Ersetzen einzelner Laufeinheiten durch alternative Belastungsformen, bis Sie herausgefunden haben, was am besten hilft. Sobald das Allgemeinbefinden wieder beschwerdefrei ist und das Lauftraining wieder verstärkt aufgenommen werden kann, sollten Sie eine Jahresplanung erstellen, die auf Perioden intensiver Belastung und Wettkämpfe konsequent Phasen mit reduzierter Belastung folgen lässt.

Fünf Tipps für den Arztbesuch

1 Beschreiben Sie, wann und wie der Schmerz  begann. Manche Beschwerden  sind durch ein plötzliches Trauma (Um-knicken, Sturz) verursacht, andere durch schleichende Überlastung. -Helfen Sie dem Arzt bei der Unterscheidung: Was haben Sie gerade  getan, als der Schmerz einsetzte? Wie lange hielt er beim ersten Mal an?

2 Beschreiben Sie, wann der Schmerz zunimmt und wann er abnimmt. Ein „Läuferknie“ etwa meldet sich beim Treppensteigen, der Piriformis-Muskel nach langem Sitzen.

3 Erklären Sie, was Sie zur Schmerzbekämpfung getan haben. Haben Sie die Laufbelastungen verringert oder Schmerzmittel eingenommen und einfach weitertrainiert?

4  Erzählen Sie aus Ihrem Läuferleben. Versuchen Sie zu rekapitulieren, welche Beschwerden Sie in Ihrer „Sportlerkarriere“ schon hatten. Möglicherweise bestehen Zusammenhänge zur akuten Verletzung!

5 Bringen Sie Ihre Laufschuhe mit. Aus der Art der Abnutzung der Schuhe kann ein lauferfahrener Arzt einiges ablesen.

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author: GRR

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