Blog
03
02
2022

Bewegung gegen Krebs - Graphik - Quelle: DOSB, UICC

Vereinssport ist wichtige Versorgungsstruktur – Stellenwert von Bewegung und Sport in der Krebsprävention und Nachsorge

By GRR 0

Der DOSB hat mit dem Sportwissenschaftler Prof. Dr. Freerk Baumann ein Gespräch zum Stellenwert von Bewegung und Sport in der Krebsprävention und Nachsorge geführt.

Anlässlich des Weltkrebstags am 4. Februar führte das DOSB-Projektteam der Initiative „Bewegung gegen Krebs“ um Imke Hoppe und Jakob Etzel ein Interview mit Prof. Dr. Freerk Baumann, dem Leiter der AG Onkologische Bewegungsmedizin am Universitätsklinikum Köln.

Im vergangenen Sommer trat er die erste Stiftungsprofessur im Bereich Onkologische Bewegungswissenschaften an, bereits 2008 veröffentlichte er mit Prof. Schüle mit dem Buch „Bewegungstherapie und Sport bei Krebs“ ein erstes deutschsprachiges Standardwerk im Themenfeld, welches Mitte des Jahres in einer Neuauflage aktualisiert erscheint.

Herr Prof. Baumann, Ihre Stiftungsprofessur für Onkologische Bewegungswissenschaften wird von der Deutschen Krebshilfe gefördert, mit der Sie bereits seit vielen Jahren kooperieren. Was möchten Sie gemeinsam erreichen?

Die inhaltliche Ausrichtung der Stiftungsprofessur basiert auf drei strategischen Zielen. Erstens: Wir möchten einen neuen Weg im Bereich der klinischen Wissenschaft gehen. Das heißt konkret, dass wir die Wirksamkeit von gezielter Sport- und Bewegungstherapie bei neuen bzw. weiteren sogenannten Patient Related Outcomes überprüfen. Also sprich bei medizinischen Nebenwirkungen, die einen direkten Einfluss auf die Lebensqualität der Patient*innen haben. Wir konzentrieren uns dabei auf solche, die bislang noch sehr wenig Berücksichtigung in der Wissenschaft gefunden haben, wie die häufig auftretenden sexuellen Dysfunktionen sowie Aspekte der kardiologischen Gesundheit und des unerwünschten Gewichtsverlusts (Kachexie).Ein weiteres Ziel ist es, herauszufinden, inwiefern körperliches Training den Krebsverlauf und die Tumorgenese beeinflusst. Hier haben wir die Vermutung, dass klassische Interventionen der Schulmedizin in Kombination mit Bewegungstherapie einen größeren Therapieeffekt erzielen könnten.Die dritte Komponente ist das Thema Implementierung. Wir wollen in dem Kontext eine Notwendigkeit an die Politik und Kostenträger herantragen, dass wir in der Versorgungsstruktur dringend Fachkräfte benötigen, die sich insbesondere mit der Bewegungstherapie in der Onkologie beschäftigen. Bei rund einer halben Million Neuerkrankungen und mehreren Millionen Krebspatient*innen im Land gibt es einen großen Bedarf an Bewegungsangeboten. Vielleicht braucht es hier auch neue Impulse in Bezug auf die Berufsgruppen. Hier möchte ich erstmals klinische Sportwissenschaftler*innen ins Spiel bringen, die nicht nur die therapeutischen Interventionen umsetzen, sondern diese auch durch kleinere wissenschaftliche Projekte evaluieren und weiterentwickeln könnten.

Was wünschen Sie sich in dem Zusammenhang von Seiten der Politik? Was versprechen Sie sich von der neuen Bundesregierung?

Anknüpfend zum Themenfeld Implementierung gibt es noch zu sagen, dass wir gerade die S3-Leitlinie „Bewegungstherapie in der Onkologie” interdisziplinär erarbeiten, die Ende 2024 fertiggestellt werden soll. Diese möchten wir natürlich auch mit Leben füllen. Denn was nützt die beste Leitlinie, wenn wir keine Fachkräfte haben, die die Empfehlungen der Leitlinie umsetzen!? Kurz zusammengefasst: Es benötigt zukünftig eine breite Ausbildungsstruktur, einheitliche Rahmenbedingungen, beispielsweise für Hygienestandards sowie der Sportgeräteausstattung und nicht zuletzt auch eine gesetzliche Anerkennung der speziell geschulten klinischen Sportwissenschaftler*innen bzw. Sporttherapeut*innen als Heilmittelerbringer*innen. Die Evidenzlage ist eindeutig, weshalb ich große Hoffnung für einen Fortschritt unter dem neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach habe.

Sie haben gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe, dem DOSB und der Deutschen Sporthochschule Köln die einstige Präventionskampagne und heutige Initiative „Bewegung gegen Krebs“ ins Leben gerufen. Welche Potentiale sehen Sie im Vereinssport für die Prävention und Nachsorge von Krebserkrankungen?

An dieser Stelle möchte ich erstmal erwähnen, dass ich Zeit meines Lebens bekennender Vereinssportler bin. Als Jugendlicher war ich im Fußball und Volleyball aktiv. Und seit gut 10 Jahren bin ich Präsident des Mehrspartenvereins SC Uckerath 1922 e.V. – gestern stand ich noch mit der Altherrenmannschaft auf dem Fußballplatz. Ich sage das nicht, um Werbung für meine Person zu machen, sondern um Werbung für den Vereinssport zu machen. Und ich weiß nicht, was Deutschland ohne den Vereinssport wäre. Mit rund 90.000 Vereinen, die der DOSB vertritt, ist es eine extrem wichtige Versorgungsstruktur. Hier benutze ich bewusst den Begriff Versorgung, weil es das Thema der allgemeinen körperlichen Aktivität und der Prävention betrifft. Das meine ich in Bezug auf sämtliche Erkrankungen über das Thema Krebs hinaus. Gerade in der Pandemie haben wir gemerkt, was passiert, wenn Bewegungsmöglichkeiten und Sozialkontakte wegfallen. Zudem belegen viele Studien: Je mehr Bewegungsangebote es in unserer Umgebung gibt, desto mehr bewegen wir uns auch. Hier sind die Vereine mit ihren Angeboten ganz ausschlaggebend sowie grundsätzlich eine bewegungsfreundliche Umgebung für den Individualsport.

Am 4. Februar ist Weltkrebstag, in diesem Jahr mit dem Hauptthema „close the care gap“ – Versorgungslücken schließen. Was bedeutet das auch im Sinne der Sport- und Bewegungstherapie und welche Rolle spielt hier aus Ihrer Sicht der organisierte Sport?

Wir sehen, dass im weiteren Therapieverlauf die Nachfrage nach Rehabilitationssport in den Sportvereinen enorm ist. Das zeigt sich vor allem durch volle Wartelisten. Die Vereine können gar nicht alle onkologische Patient*innen betreuen. Das heißt, wir brauchen auch hier unbedingt weitere Übungsleiter*innen, um flächendenkend ein Angebot machen zu können. Als gute Voraussetzung sehe ich hier die einheitlichen Qualifizierungsmaterialien, die im Rahmen der Initiative „Bewegung gegen Krebs“ mit dem Deutschen Behindertensportverband erarbeitet wurden. Ich möchte auch nochmal das re-integrative Potential für das Alltags- und Berufsleben hervorheben. Darüber hinaus erachte ich als wichtige Aufgabe in der Zukunft, dass wir den Rehabilitationssport auch für junge Erwachsene mit Krebs attraktiver gestalten. In dem Zusammenhang beschäftigt mich ein weiterer Aspekt, nämlich die Informationskultur. Der Großteil aller Patient*innen weiß oftmals gar nicht, dass es entsprechende Bewegungsangebote in der Nachsorge gibt. Sektorenübergreifend muss es in den Akutzentren oder Rehakliniken Standard werden, dass Patient*innen über wohnortnahe Bewegungsangebote beraten werden. Viele wichtige Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen zu dem Thema hat beispielsweise der Landessportbund Hessen in einer Broschüre zusammengetragen.

Das Forschungsfeld, in dem Sie agieren, ist vergleichsweise jung. Welche übergeordneten Erkenntnisse lassen sich aber dennoch heute abgesichert festhalten? Und welche Fragestellung gilt es mit einem Blick in die Zukunft noch zu beantworten?

Zusammengefasst wissen wir, dass die Bewegungstherapie in der Onkologie der Nebenwirkungsmanager bei Krebserkrankungen ist. Keine andere unterstützende Maßnahme ist annähernd vielseitig und effektiv auf den unterschiedlichsten Ebenen. Zudem wissen wir, dass bei ausreichend Bewegung rund 10 bis 25 Prozent der wichtigsten Krebsentitäten verhindert werden könnten. In der Zukunft würde ich gerne ein Projekt initiieren, das sich mit dem Thema Overall Survival intensiv auseinandersetzt. Es gibt zwar viele Kohorten-Studien, die zum Beispiel bei Brust- oder Darmkrebs zeigen, dass die Mortalität durch körperliches Training sinkt. Es gilt aber in einem randomisierten, kontrollierten Studiendesign herauszufinden, ob Bewegung bei einer noch auszuwählenden Krebsart tatsächlich das Risiko für eine erneute Krebserkrankung bzw. die Mortalität senkt. Solche sogenannten RCT-Studien sind sehr kostenintensiv und aufwendig. Mit der oben erwähnten Stiftungsprofessur könnte ich mir aber durchaus vorstellen, ein solches Projekt angehen zu können.

Vielen Dank für das Interview, alles Gute und weiterhin viel Erfolg in Ihrer Arbeit!

Quelle: DOSB

author: GRR