Die moderne Medizin aber sieht das anders. Sie nimmt an, dass den armen Pheidippides der Schlag traf: der Herzschlag.
Überall ist Marathon – Gerd Schneider in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ)
Dass der Marathonlauf eine grenzwertige Angelegenheit ist, weiß man seit seiner Erfindung. Der erste Mensch, der laut Überlieferung die 42,195 Kilometer lange Strecke im Lauftempo zurückgelegt haben soll, war ein griechischer Postbote namens Pheidippides.
Am 12. September des Jahres 490 (vor Christus) rannte er in voller Montur von Marathon nach Athen, um den Sieg in der Schlacht gegen die Perser zu verkünden. Dann starb er. Todesursache: allgemeine Erschöpfung – sagt die Legende.
Die moderne Medizin aber sieht das anders. Sie nimmt an, dass den armen Pheidippides der Schlag traf: der Herzschlag.
Risiko beim Freizeit-Joggen ist dreimal so hoch
Die Geschichte gehört zum Mythos Marathon, aus dem 2500 Jahre später eine Massenbewegung geworden ist. Dabei hat sich auch heute nichts daran geändert: Wo viele Menschen Marathon laufen, gibt es Tote – neun statistisch erfasste allein in diesem Jahr bei den großen Volksläufen im In- und Ausland. Das sind neun zu viel, allesamt tragische Fälle. Aber man darf sich, wie immer bei solchen Themen, nicht von seinem Gefühl täuschen lassen.
Es spricht wenig dafür, dass die Zahl über dem statistischen Durchschnitt liegt. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung lässt sich, anders als die menschliche Psyche, nicht von der Allgegenwart der Medien bestechen. Es wird sich nichts daran geändert haben, dass das Risiko, bei einem Marathonlauf zu sterben, gering ist, verschwindend gering. Bei organisierten Läufen stirbt von 50.000 bis 90.000 Teilnehmern ein Einziger.
Zum Vergleich: Das Risiko beim Joggen in der Freizeit ist dreimal so hoch.
Belastung nur mit entsprechender Vorbereitung
Dennoch ist die aktuelle Initiative der deutschen Laufveranstalter zu begrüßen. Die Organisatoren der Volksläufe wollen künftig von den Teilnehmern eine verbindliche Erklärung verlangen, dass sie sich zuvor einem Gesundheits-Check unterzogen haben. Todesfälle beim Marathon wird das nicht verhindern. Aber so eine Deklaration könnte bei den Freizeitläufern das Risikobewusstsein schärfen. Ein Marathonlauf ist und bleibt eine Extrembelastung für den Organismus, das kann man gar nicht oft genug wiederholen.
Diese Belastung sollte man nur mit einer entsprechenden – und leistungsdiagnostisch überwachten – Vorbereitung angehen; erst recht, wenn man kein junger Hüpfer mehr ist. Wer sich nicht akribisch vorbereitet, überschätzt sich und unterschätzt die Belastung beim Marathon, gerade für die Herzmuskulatur.
Aktuelle Untersuchungen wie die „Boston-Marathon-Studie“ weisen einen direkten Zusammenhang zwischen Trainingszustand und der kardialen Schädigung nach: Je besser die Läufer trainiert sind, umso niedriger sind die Schäden am Herzmuskel.
Nur einer von drei Todesfällen vermeidbar
Inzwischen wird in der Szene diskutiert, ob die Veranstalter nur noch Läufer mit ärztlichen Attesten zulassen sollten. In dieser Frage ist Skepsis angebracht. Bürokratische Steuerinstrumente, von denen es im Gesundheitswesen ohnehin zu viele gibt, haben die Nebenwirkung, dass sie die Eigenverantwortung mindern. Der Aufwand wäre beträchtlich – und die Wirkung zweifelhaft. Eine amerikanische Untersuchung an 650.000 Studenten hat gezeigt, dass breit angelegte Untersuchungsmethoden nahezu nutzlos sind.
Bei 1,4 Millionen Sport-Teilnahmen der Untersuchten gab es drei Todesfälle, von denen nur einer zu verhindern gewesen wäre. Der Aufwand steht also in keinem Verhältnis zum Nutzen. Man kann das drehen und wenden, so oft man will: Das Risiko bei einem Volksmarathon lässt sich mindern; ausschalten kann man es nicht.
Der Tod läuft immer mit, unsichtbar, aber allgegenwärtig.
Gerd Schneider
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)
Mittwoch, dem 18. Juli 2007
Laufveranstalter reagieren auf Todesfälle
Bei Laufveranstaltungen in Deutschland und im Ausland sind in diesem Jahr schon mindestens neun Menschen zu Tode gekommen. Die German Road Races (GRR), die Interessengemeinschaft der großen deutschen Straßenlaufveranstalter in Deutschland, hat in einer Umfrage festgestellt, dass die gängige Praxis, bei der die Teilnehmer mit ihrer Anmeldung zu einem Lauf per Unterschrift erklären, sich in einem „angemessenen Trainingszustand“ zu befinden, nicht mehr ausreicht.
Künftig möchte German Road Races eine verbindliche Erklärung darüber einführen, dass ein zeitlich nahe am Veranstaltungstermin gelegener medizinischer Gesundheitscheck vorgenommen worden ist. Die Forderung nach einem ärztlichen Attest wird jedoch weitgehend abgelehnt, wegen rechtlicher Bedenken ebenso wie wegen des hohen Verwaltungsaufwands.
Eine weitere Empfehlung von GRR an die Laufveranstalter ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, wie beispielsweise intensive Vorbereitungskurse besonders für Anfänger und Wiedereinsteiger. Ein gesundheitliches Restrisiko werde es trotz aller bestehenden und zusätzlichen Sicherheitsvorkehrungen immer geben.
Man appelliere an die Eigenverantwortung und die Vernunft der Läufer. Gegebenenfalls sei bei körperlichen Beschwerden der Verzicht auf einen Start die beste Lebensversicherung.
pd. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)
Mittwoch, dem 18. Juli 2007
Lesen Sie zur Vertiefung die Informationen zur Medizin und Sportmedizin:
„Leitlinie – Vorsorgeuntersuchung im Sport“ –
Prof. Dr. Herbert Löllgen,
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e.V. (DGSP) –
Die Reihe der Medizin- und Sportmedizin-Informationen
von German Road Races (GRR) – Folge 31
https://www.germanroadraces.de/24-0-2406-leitlinie-vorsorgeuntersuchung-im-sport-.html
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