30 - 60 / 100 / 250m sind Voraussetzung für schnelle 400 m - Foto: privat
TRAININGSLEHRE HOCHLEISTUNGSSPORT – 800 m – Auch mit 400m / 800m zum Höhentraining ins 1800m – St. Moritz – Lothar Pöhlitz bei LG Telis Finanz Regensburg
© Lothar Pöhlitz* – Ich glaube an 1:50 der Frauen und 1:40 Minuten der Männer über 800 m. Ein Leben lang war diese Strecke meine Lieblingsstrecke. Nicht alle haben das Talent für Langstrecken und den Willen dafür ererbt, die Talente für 400/800m sind aber noch rarer und erfahren es leider oft zu spät.
Der gegenwärtige Abstand unserer Besten auf der 800m Strecke bei Männern und Frauen zur Weltspitze ist das Ergebnis dieses Wissens, erfordert neues Denken, Veränderungen im trainings-methodischen Vorgehen und Trainer-Spezialisten, die mit für die Aufgabe außergewöhnlichen schnellkräftigen Talenten „längerfristig anders“ arbeiten. Talentsuche und -auswahl, eine andere Ausbildung schon in den BASICS-Jahren, schnelles Nachwuchsleistungstraining bereiten auf die 800m Konkurrenzleistungen bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen vor.
Solche Goldkörnchen brauchen streckenerfahrene Spitzen-Coaches. Viele 1500m Läufer/innen können inzwischen schon nicht mehr so nebenbei auch über 800m erfolgreich sein. 800m Läufer/innen müssen auch 400 m Läufer/-innen sein.
Die Kurzform für eine 800m-Talent-Ausbildung muss deshalb lauten: Spezialtrainer, mehr Speed, mehr Sprint, Schnelligkeitsausdauer, Leicht-Lauftechnik, spezielle Schnell-Kraft, Schmerzen ertragen, aktive Regeneration, weniger Kilometer.
Wenn aber die notwendige Entwicklung der Unterdistanzleistungsfähigkeit nur im Training erfolgt und in früher Jugend keine Wettkämpfe im Sprint und auch über 400 m genutzt werden, wird der Athlet nicht mit Überzeugung und voller Konzentration die entsprechenden Trainingsaufgaben lösen, nicht die mögliche Entwicklung erfahren.
800 m – nur neue, andere Wege führen an die Weltspitze
Ein Vergleich von Spitzenleistungen über 1500 m (3:30 = 14“ pro 100m) mit der halben Distanz 800 m (1:44 = 13“ pro 100m) macht deutlich, dass dafür ein anderer Bewegungsrhythmus, andere härtere Intervalle, höhere Intensitäten, mehr Sprints, Schnell-Kraft, schnellere taktische Aufmerksamkeiten, vielleicht auch ein anderer Charakter und natürlich auch andere „härtere Mentalitäts-Typen“ für die kurzen und langen Endspurts (wenn schon das Licht ausgeht) erforderlich sind.
KZA-Läufer und Läuferinnen müssen sich bei ihren Trainings-Sessions öfter an die Worte von Sprint-Europameisterin Lückenkemper erinnern, die nach ihrem Sieg in München von ihrem Wechsel 2021 in die USA in die internationale Trainingsgruppe mit Olympiasiegern und Weltmeistern, zu ihrem Trainer Lance Brauman berichtete „das Training in schier unglaublicher Intensität stattfinde. Sie trainiere weniger als früher, sei aber nicht selten kurz davor, sich zu übergeben“ (Reinsch FAZ 17.8.2022).
1:40 bis 2 Minuten lang grenzwertig schnell zu laufen ist ein psychophysischer Vorgang mit höchstem mentalem Anspruch, Schnelligkeitsausdauer und einer oft unterschätzten Leichtlauf-Technik („leichtfüßig“). Die 800m mit Weltniveau-Ziel (Weltrekord: Männer 1:40,91 min / Frauen 1:53,28 min) nimmt eine Sonderstellung innerhalb der Laufdisziplinen ein. Sie verlangt Härte und Bereitschaft. Zu Spitzenleistungen mit diesem „Höllentempo“ (48/49“ bzw. 56/57“ bei 400m) muss man bereit sein und bis ins Ziel die bis zu 24 mmol/l Laktat ertragen.
In der Lauf-Trainingsmethodik gilt, dass das kurze Schnelligkeits- und Schnelligkeitsausdauer-Training oberhalb und unterhalb der Renndistanz viel mehr Einfluss auf die sportlichen Leistungen hat, als diese Trainingsformen in der Praxis vorkommen. Es zielt schließlich auch darauf ab, die notwendigen Durchgangszeiten bei 200 m und 300 m in 400 m Rennen zu ermöglichen und damit gleichzeitig Geschwindigkeitsreserven (früher sagte man Schonzeiten) für die Mittelstrecken zu schaffen.
Die beobachtete Praxis muss Anlass sein die Ausbildung der kurzen Strecken zwischen 200-400m für das frühe Nachwuchsleistungstraining von Läufern und Läuferinnen zum Programm zu machen. Jeder weiß, dass die Geschwindigkeit die Reserve Nr.1 für erfolgreiche Mittelstreckenläufer ist, die auch von der Lauftechnik und der Kraft im Abdruck abhängt. Deren zielgerichtete Ausbildung erfolgt für Sprinter bis zu 400 m selbstverständlich bereits im U16-Alter, vor dem Nachwuchsleistungstraining.
70-80% anaerob + 20-30% aerob
erfordern Sprint-Typen die vor allem S / SA und Schnellkraft trainieren. 800m Spezialisten in der aktuellen Weltspitze können 24 mmol/l Laktat mobilisieren und bis ins Ziel ertragen. Das erfordert „keine Kilometer“ sondern eine 1000m Spitzen-Überdistanz mit einer stärkeren Orientierung am 400m-Training und 400m Wettkämpfen. In beiden Fällen müssen sie neben der Schnelligkeit, Schnelligkeitsausdauer und der speziellen Kraft Teil einer 800 m Vorbereitung sein und die Ergebnisse demnächst bei Männern zwischen 44-45 Sekunden und bei Frauen zwischen 50-51 Sekunden liegen wenn man Olympiamedaillen gegen die Weltbesten will. Gegen die aus den Hochländern, erfordert das zugleich eine andere aerob-anaerobe Basis, d.h. eine neue höhere Qualität in der VO2max bis 10 mmol/l Laktat, eine Laktattoleranz für das erforderliche 70-80% anaerobe Training. Ich habe Läuferinnen kennengelernt, die bei unterschiedlichen aeroben Schwellen, die eine bei 4 mmol/l die andere bei 4,5 mmol/l im Test, beide 1:57 konnten.
Ich glaube an: 1:50 der Frauen und 1:40 der Männer
Wenn eine Frau eine 400m Bestleistung um 50-51“ hat, über eine sehr gute Schnelligkeitsausdauer und Schnellkraft verfügt und zur 800m mental bereit ist, kann man sich durchaus zwei 400 m Hälften von 53“ + 57“ = 1:50 Minuten vorstellen.
Auf dem derzeitigen Weg dahin sind für eine 1:55-1:56 folgende Leistungsanforderungen, entsprechend den individuellen Anlagen, differenziert erforderlich:
Ziel | 400 m | 1500 m | aerobe LF | 10000 m | Kraft |
1:55-1:56 | 51-52“ | 4:00-4:05. | 4,1 – 4.7 m/s. | 34-37´. | SK / MK |
Es ist deshalb Zeit solche 800m Spezialisten nicht mehr nach dem Trainingsumfang, nach den Kilometern, „ihrer Schwelle“, sondern nach ihren Trainings-Geschwindigkeiten, nach dem wie oft wie-schnelles Training und dem Niveau der speziellen Schnellkraft, zu fragen.
Läufer:innen aus dem 400 / 800 m – Bereich müssen Ihre Bestleistungs-Tabelle vor allem auf den folgenden Strecken verbessern: 30m – 60m – 100m – 150m – 200m WK – 300m – 400m WK – 600m
Sie haben sicher auch schon von den 2 x 150 m maximal nach Zeit mit 1 Minute Pause von Gina Lückenkemper in ihrem Amerika-Training gelesen.
Die Vergangenheit hat gezeigt das echte, schnelle Sprinter nur sehr selten „a u s d a u e r n d e r “ zu machen sind.
In Höhen um 1800-2000m kann man dafür beträchtliche Leistungsreserven für die aerob-anaerobe Basis, der VO2max erschließen. Übersehen sie dabei nicht, dass Läufer und Läuferinnen gewöhnt sind mehr als andere „unter Laktat“ zu trainieren. Vor allem werden spürbare Fortschritte ausgelöst, wenn eine in die Höhe mitgebrachte Schnelligkeit und hohe aerob-anaerobe Leistungsfähigkeit durch vorbereitete Höhenketten letztendlich zu einer „Höhenleistungsfähigkeit des Qualitätstrainings“ führt. Das gilt auch für 400 / 800 – Männer und Frauen mit den außergewöhnlichen Unterdistanzfähigkeiten. Also Läuferspezialisten, die auch in der Höhe „schnell trainieren können und müssen“.
Natürlich braucht man dafür längerfristig vorbereitete Talente mit solchen „Erbanlagen“, die schon früh „schneller“ trainieren. Die Vorbereitung sportlicher Höchstleistungen im Erwachsenenalter für die Zielstrecke 800m sind so möglich.
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*Lothar Pöhlitz – Dipl.- Sportlehrer für Leistungssport / Sportwissenschaftler / 1971-1979 Leiter Trainingsmethodik im Wissenschaftlichen Zentrum des DVfL der DDR / 1979-1985 Sprint-Trainer beim TSV Bayer 04 / 1980-1998 18 Jahre DLV-Bundestrainer 1980-1998 Mittelstrecke, Langstrecke, Marathon / zuletzt Teamleiter Marathon-Straßenlauf / 3x Olympia-Trainer für Deutschland / Langjährig Dozent an der Trainerakademie und DLV-Trainerschule / 4 Lauf-Fachbücher / 2006-2020 Leichtathletik Coaching Academy