Tim Lobinger - 2006 Berlin Golden League Berlin, Germany September 3, 2006 Photo: Jiro Mochizuki@Photo Run
Tim Lobinger ist tot: Er hat auf seine Weise gewonnen – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Der frühere Stabhochspringer Tim Lobinger hatte den Wettkampf gegen den Feind in seinem Körper jahrelang angenommen. Die Öffentlichkeit scheute er dabei nie. Nun hat er den Kampf im Alter von 50 Jahren verloren.
Wer sich aus eigener Kraft in mehr als sechs Meter Höhe katapultieren kann, muss und darf überzeugt sein, dass alles erreichbar ist. Als bei Tim Lobinger 2017 Leukämie diagnostiziert wurde, als dies 2018 zu einem Zusammenbruch durch Leberversagen führte, führte er selbstbewusst den Kampf mit dem Feind in seinem Körper.
Der Krebs war für den ersten Stabhochspringer Deutschlands, der sechs Meter überwand, 1997 und 1999, zwar eine Herausforderung auf Leben und Tod, doch recht eigentlich auch der nächste Wettkampf.
1998 war der Athlet aus dem Rheinland in Valencia Hallen-Europameister geworden, 2003 in Birmingham Hallen-Weltmeister; bei Europameisterschaften gewann er drei Medaillen. „Das Motto ist: nicht reißen, nicht reißen, nicht reißen“, sagte er der F.A.Z. 2018 über seinen Kampf ums Überleben.
„In einem Wettkampf dreimal reißen heißt: Wettkampf vorbei. Dann zählt der nächste Wettkampf. Nicht nach hinten schauen. So war es mit der Diagnose: Wettkampf vorbei. Nächster Wettkampf. Und das hieß hier: Kampf um ein weiteres Leben.“
Er suchte Herausforderungen
Lobinger schrieb ein Buch über diese, seine letzte Herausforderung und seine zunächst erfolgreiche Stammzellentherapie. Sie erschien unter dem Titel „Verlieren ist keine Option“. 2022 kam der Krebs zurück. Wenn er sich zwei, drei Jahre weiter schleppe, sagte er da, werde er mit Sicherheit eine neue Therapie erleben, die ihm helfen könne.
Am Donnerstag ist Tim Lobinger, wie seine Familie bekanntgab, im Alter von fünfzig Jahren gestorben. Zuletzt wurde er an der Uniklinik Würzburg behandelt.
Lobinger liebte und suchte Herausforderung ebenso wie die Öffentlichkeit. Bevor er 2012 für vier Jahre als Fitnesstrainer für die Fußballmannschaft RB Leipzig arbeitete, nahm er an der Fernsehshow „Let’s Dance“ teil. „Es geht immer darum, nach vorne zu blicken und aus den schönen Dingen Energie zu schöpfen“, sagte er der „Bunten“.
Im vergangenen Jahr ließ er die Illustrierte miterleben, wie sehr er sich über die Hochzeit seiner Tochter Fee freute, das mittlere seiner drei Kinder. Sein ältester Sohn Lex Tyger, 23 Jahre alt, ist Fußballprofi beim 1. FC Kaiserslautern in der zweiten Bundesliga. Sein drittes Kind, Sohn Okkert, ist sieben Jahre alt und besucht die erste Klasse.
Im Januar dieses Jahres teilte Lobinger sein Familienglück und seine Freude an der neu geborenen Enkelin mit der Reporterin und den Lesern der „Bunten“. Seine Kommunikation mit den Liebsten war bereits auf den Austausch über den Bildschirm beschränkt.
Ein Jahr zuvor, im Februar 2022, hatten die behandelnden Ärzte Lobinger mitgeteilt, dass das Multiple Myelom, an dem er litt, zu aggressiv für Heilung sei. Er ließ die Öffentlichkeit daran teilhaben, dass die Mediziner ihn aufforderten, Verfügungen für sein Ableben zu treffen, sich mit seiner Beerdigung zu befassen und sich von seinen Liebsten zu verabschieden. Und wie er kämpfte. „Es gibt immer kleine Wege, die es einem ermöglichen, Kraft zu schöpfen und nicht die Hoffnung zu verlieren“, sagte er. Er kämpfe um jeden Tag, den er lebe und mit seiner Familie verbringen dürfe.
Tim Lobinger sei friedlich eingeschlafen, teilte seine Familie am Donnerstag mit: „Er hat den Kampf nicht verloren, sondern auf seine Weise gewonnen.“
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 17. Februar 2023