Der Obwaldner hatte von Beginn an alles richtig gemacht. Trotzdem eröffnete sich ihm nie die Chance, in den Kampf um die Medaillen einzugreifen.
swiss athletics – Viktor Röthlin holt sich in Beijing als Sechster ein Diplom
Viktor Röthlin hat beim Olympia-Marathin in Beijing die hohen Erwartungen erfüllt: Im schnellsten Olympia-Marathon der Geschichte lief der Schweizer Rekordhalter auf den ausgezeichneten sechsten Platz und holte sich somit ein Diplom.
Eine taktisch und kämpferisch hervorragende Leistung, gleichzusetzen mit der WM-Bronze 2007 in Osaka, brachte den Obwaldner Viktor Röthlin (33) bei grosser Hitze in 2:10:35 Stunden auf den 6. Rang des Olympia-Marathons von Peking.
Von der Bronzemedaille befand sich Röthlin vor knapp 50 000 Zuschauern morgens um 09.40 Uhr im "Vogelnest" nur rund 200 m oder 35 Sekunden entfernt. Der erst 21 Jahre alte Samuel Wansiru gewann in — unter den herrschenden Verhältnissen fast unglaublichen — 2:06:32 die allererste Marathon-Goldmedaille Kenias vor dem marokkanischen Ex-Weltmeister Jaouad Gharib (0:44 zurück). Tsegay Kebede (Äth) schnappte mit 3:28 Rückstand seinem Landsmann Deriba Merga im Stadion noch die Bronzemedaille weg. Vor Röthlin lief sonst nur noch Topfavorit Martin Lel (Ken) ein, der dreifache London-Marathon-Sieger.
Der Obwaldner hatte von Beginn an alles richtig gemacht. Trotzdem eröffnete sich ihm nie die Chance, in den Kampf um die Medaillen einzugreifen. Die tempofesten Afrikaner schlugen ein derart horrendes Anfangstempo an, dass sich der Kreis der Medaillenanwärter bald auf ein Quartett eingrenzte.
Heiss, aber weniger schlimm als in Osaka
Der Olympia-Marathon war im Vergleich zum WM-Rennen in Osaka stärker besetzt. Es fehlte nur Weltrekordhalter Haile Gebrselassie (Äth), der sich vor der schlechten Luft fürchtete. Ein Gewitter in der Nacht auf Sonntag hatte die Luft jedoch gereinigt. Mit 24 Grad beim Start morgens um 07.30 Uhr und 30 Grad am Ziel sowie einer Luftfeuchtigkeit zwischen 52 und 39 Prozent präsentierten sich die Bedingungen schwierig, aber günstiger als 2007 in Osaka.
Das bildete wohl auch den Grund für das horrende Anfangstempo der Spitzengruppe, die nach 10 km eine weltrekordträchtige Zeit von 29:25 vorlegte. Wansiru erklärte: "Es war unser Plan, von Anfang an ein hohes Tempo vorzulegen." Damit sollte die Konkurrenz "tot gelaufen" werden. Als Pacemaker geopfert wurde der letztjährige Weltmeister Luke Kibet, der bei Kilometer 28 aufgab. Erstaunlicherweise hatten bis dahin jedoch Wansiru und Lel weit mehr Führungsarbeit geleistet.
Die ursprüngliche Absicht der Kenianer, die Halbmarathon-Marke in 1:04:30 anzupeilen, wäre für Röthlin ideal gewesen. Aber dann legten sie wie die Feuerwehr los und waren fast zwei Minuten schneller.
Röthlin am Anfang doch zu schnell?
Röthlin ging das Tempo der Spitzengruppe beinahe mit, lag bei 15 km (13. Zwischenrang) nur 21 Sekunden zurück, verlor auf den nächsten 10 km jedoch, streckenweise allein laufend, nicht weniger als 1:35. Im Vergleich zu seinem Schweizer Rekord (2:07:23), den er im Februar in Tokio bei wesentlich kühlerem Wetter gelaufen war, büsste er bei Rennhälfte nur 5 Sekunden ein.
Hatte der Schweizer zu hoch gepokert, war er das Rennen zu schnell angegangen, worauf er dafür büssen musste? "Mein hohes Anfangstempo war die einzige Möglichkeit, ein Spitzenresultat zu erzielen", sagte Röthlin im Ziel, "und es hat mich nicht umgebracht. Die Spitze legte in dieser Phase einfach noch einmal einen Zacken zu. Meinen eigenen, einen langsameren, Rhythmus zu laufen, lag nicht drin." Der amerikanische Mitfavorit Ryan Hall wählte diese Taktik und schaffte damit trotz Aufholjagd nur noch den 10. Rang, 2 Minuten hinter Röthlin.
Trotz ständig wachsendem Zeitverlust schob sich Röthlin rangmässig stets weiter nach vorne: auf Platz 11 bei 20 km, Platz 10 bei 25 km, Platz 8 bei 30 km, Platz 7 bei 35 km, und am Schluss packte er noch den Eritreer Yared Asmeron (8.). Es war eine ähnliche Aufholjagd wie beim WM-Medaillengewinn 2007, auch dank dem Einbruch verschiedener Konkurrenten auf den letzten Kilometern.
Röthlin mit Abstand bester Europäer
Nationaltrainer Fritz Schmocker glaubte, Röthlin würde auf den letzten Kilometern vor allem sein olympisches Diplom (erste 8 Ränge) absichern, doch dieser wollte mehr. Als einziger Nicht-Afrikaner klassierte sich der Schweizer in den Top 8. Den Europa-internen Wettkampf gewann er mit grossem Vorsprung vor Stefano Baldini (It), dem Olympiasieger von 2004. Baldini, der Röthlin bei den EM 2006 in Göteborg auf Rang 2 verwiesen hatte, wurde 12. mit 2:50 Rückstand auf den Schweizer.
Weltrekordreife Leistung Wansirus
Wanjirus Antritt, der die Dreierspitze sprengte, erfolgte bei km 36, direkt nachdem ihm Konkurrent Merga (Äth) seine Wasserflasche gereicht hatte — der es wohl kaum als Dank empfand… Bis ins Ziel zeigte der blutjunge Kenianer, der seit 2002 in Fukuoka (Jap) lebt und schon drei Halbmarathon-Weltrekorde aufgestellt hat, keine Schwäche. Seine Leistung hätte bei idealen Bedingungen ausgereicht, um den Weltrekord Gebrselassies (2:04:26) zu verbessern. Von Toyota hatte er ein Stipendium erhalten, als er 15 Jahre alt war; seither wird er vom Japaner Koichi Morishita trainiert, dem Marathon-Olympiazweiten von 1992.
Viktor Röthlin ist erst der dritte Schweizer Leichtathlet, der in den letzten 20 Jahren an Olympischen Spielen eine Top8-Platzierung erreichen konnte. Neben ihm gelangen dies seit Seoul 1988 nur Werner Günthör (3. in Seoul, 4. in Barcelona 1992) und André Bucher (5. in Sydney 2000).
Olympia-Marathon in Peking. Männer: 1. Samuel Wansiru (Ken) 2:06:32 (olympische Bestzeit). 2. Jaouad Gharib (Mar) 2:07:16. 3. Tsegay Kebede (Äth) 2:10:00 4. Deriba Merga (Äth) 2:10:21. 5. Martin Lel (Ken) 2:10:24. 6. Viktor Röthlin 2:10:35. — Ferner: 74. Marcel Tschopp (Lie) 2:35:06. — 76 klassiert.
Quelle: swiss athletics – Peter A. Frei, Sportinformation