¸¸Hauptsache, ankommen!" Der StZ-Lauf 2008 findet zweifellos am heißesten und drückendsten Tag seit vielen Wochen statt - ausgerechnet! Das merkt man schon morgens um kurz nach neun in der Benzstraße, in den Startblöcken.
STUTTGARTER ZEITUNG-LAUF – Tipp unter Läufern: Denk an was Schönes! Die Dritte Seite. Dabei beim StZ-Lauf mit Startnummer H11596 – Tim Schleider in der Stuttgarter Zeitung
Dreimal bereits hat Tim Schleider, der Leiter unserer Kulturredaktion, am StZ-Lauf teilgenommen. Doch kein Lauf ist wie der andere. Ein Erfahrungsbericht.
Kurz und gut: es war schrecklich. Schrecklich anstrengend. Das war mein vierter Stuttgarter-Zeitung-Lauf. Aber ich kann mich nicht entsinnen, dass es jemals solch ein Kampf war. ¸¸Mann, ist das ein Kampf heute", beginne ich auf der Strecke immer mal wieder eine kleine Unterhaltung mit meinem jeweils aktuellen Laufnachbarn. Und es funktioniert. ¸¸Ja, das ist es", schnauft es zurück.
¸¸Hauptsache, ankommen!" Der StZ-Lauf 2008 findet zweifellos am heißesten und drückendsten Tag seit vielen Wochen statt – ausgerechnet! Das merkt man schon morgens um kurz nach neun in der Benzstraße, in den Startblöcken. Um mehr als dreißig Minuten verzögert sich der Startschuss des Stuttgarter Bürgermeisters Michael Föll, weil die Polizei die Strecke nicht früher freigeben kann. Dreißig Minuten, in denen die rund 13 000 Halbmarathonläufer gleich mal ordentlich durchgeröstet werden. Um kurz nach halb zehn geht es für meinen ¸¸gelben Block" dann endlich los in Richtung Innenstadt – am Kilometer 1, kurz vor der König-Karls-Brücke, bin ich schon komplett durchgeschwitzt. Neben mir fragt eine junge Frau im ¸¸Bosch"-T-Shirt, wann es eigentlich den ersten Wasserstand geben wird. Oh je, das wird erst kurz hinterm Hauptbahnhof sein, satte vier Kilometer weiter.
Denn das ist ja neben dem Wetter der zweite Umstand, der diesen 15. StZ-Lauf so anstrengend macht: die neue Streckenführung. Lange Läufe entscheiden sich ja bekanntlich weniger über den Blutdruck oder die Gelenke, sondern mehr im Kopf: Es ist äußerst hilfreich, wenn man sich an eine Strecke gewöhnen kann. Jahrelang ging es vom Daimlerstadion den Neckar rauf und runter, schön ebenerdig. Man konnte sich bei dieser oder jener Kilometermarke gut erinnern, wie"s beim letzten Mal just dort so lief, und seine Kräfte darauf einstellen.
Plötzlich aber sollen wir unsere 21,1 Kilometer quer durch die Stadt laufen, ¸¸entlang der schönsten Stuttgarter Sehenswürdigkeiten", wie uns der Sprecher am Start verspricht. Das ist Neuland. Wechsel. Veränderung. Will ich das? Um die schönsten Stuttgarter Sehenswürdigkeiten abzuklappern, muss die Strecke rund um die Königstraße allerdings immer wieder sehr scharf links oder rechts abbiegen. Der kleine Schlenker zum Schlossplatz ist natürlich herrlich, aber in der Kronprinzstraße wird es zwischen den Blumenkübeln ein bisschen eng.
Immerhin, das Schwulencafé Magnus hat den Läufern zu Ehren seine Boxen voll aufgedreht, und eine Reihe junger Männer auf der Terrasse jubelt uns beim Vorbeilaufen zu. Doch, das spornt an. Auch sonst ist die Strecke gut besucht. Und mit einem nicht unerheblichen Nachteil behaftet: man soll ja viel trinken bei solchen Temperaturen. Es gibt aber wenig Möglichkeiten, mal eben schnell am Straßenrand . . . Am Grünstreifen unterhalb der Landesbibliothek, da ist endlich wieder Buschwerk in Sicht und prompt entsprechend stark frequentiert.
Zwei markante Steigungen gehen dann ab Kilometer 8 so richtig schön ins Bein: zunächst die Urbanstraße Richtung Kernerplatz, und wenig später genau zur Halbzeit an der Villa Berg vorbei in die Ostkurve. Das ist die Härte. Der Schweiß läuft mir links und rechts den Körper runter. Ehr und Dank den Anwohnern (zum Teil mit Migrationshintergrund), die aus den Fenstern oder Pforten mit Gartenschläuchen aus ihren privaten Wasserhähnen eine Dusche spendieren. Hinterher bin ich zwar klitschnass, das war ich vorher aber auch schon, nur anders.
Dabei kommt das schlimmste Stück ja noch: drei kaum enden wollende Kilometer auf der Ulmer Straße gen Wangen. Immer schön der Sonne entgegen. Weitgehend ohne aufmunterndes Publikum, begleitet nur von den Rotkreuz-Notdefibrillatoren am Wegesrand. Früher war hier mal das Theaterhaus. Heute ist das zum Glück auf dem Pragsattel. (Wobei wiederum zum Glück unsere Strecke nicht zum Pragsattel führt.) Dann über die Brücke nach Untertürkheim. Und drei geschlagene Kilometer wieder zurück gen Cannstatt. Ungefähr bei Kilometer 17 denke ich, dass das Rennen für mich gelaufen ist. Meine Laufnachbarin (laut T-Shirt Mitglied der Laufgruppe der Sparkassen Versicherung) kann entweder Gedanken lesen, oder es geht ihr gerade genauso. ¸¸Denk an was Schönes", rät sie mir zur Ablenkung.
"Denk an Weihnachten." ¸¸Beim Laufen Verschnaufen!" Das hab ich einst von Max Greger gelernt. Meine Eltern besaßen in den siebziger Jahren eine ¸¸Trimm dich fit"-Schallplatte, auf der man zur Musik des Bandleaders im Takt Turnübungen verrichten konnte. Dabei wurde auch ein ¸¸Zehnminutenlaufprogramm" geboten, in dessen Verlauf Greger den dringenden Ratschlag gab, bei Erschöpfung nicht etwa mit dem Laufen aufzuhören, sondern das Tempo nur zu drosseln, bis man wieder richtig schnaufen kann. Der Ratschlag macht sich nun bezahlt. Ich drossel das Tempo. Denk an Weihnachten. Und sehe das Kilometerschild mit der 18. Jetzt gibt man nicht mehr auf. Man kann das Daimlerstadion ja praktisch schon riechen.
Das ist natürlich reines Wunschdenken. Was man wirklich riechen kann, das ist der Schweiß. ¸¸Das ist mein erster Halbmarathon", erzählt mir ein Mitläufer in den besten Jahren. ¸¸Ist das denn immer so?" So mit Kreislaufkollapsen links und rechts? Nein, versichere ich ihm, man kann schon bessere Bedingungen erwischen. Aber trotzdem nun nicht lockerzulassen, trotzdem immer schön Schritt für Schritt mit den inzwischen rechts am Ballen latent wund gelaufenen Füßen zu setzen, das ist die eigentliche Leistung. Bei Kilometer 20 kommt das Mercedes-Benz-Museum in Sicht. ¸¸Das ist doch das schönste Gebäude in ganz Stuttgart", sagt eine Frau neben mir. Das meint sie nicht nur architekturkritisch. Vor allem steht nämlich ein Schild davor: noch 600 Meter.
Stuttgart an einem heißen, drückenden Sonntag: um kurz vor zwölf laufe ich durchs Tor ins Daimlerstadion und quetsch mir sogar noch einen kleinen Endspurt heraus. Dieser Augenblick entschädigt wirklich für vieles – diese Ankunft in einem echten Leichtathletikstadion! Hat mich die neue Strecke quer durch die City nun so euphorisiert, wie es von den Veranstaltern versprochen wurde? Na, sagen wir mal so: im nächsten Jahr fühle ich mich auf den neuen 21 Kilometern bestimmt schon wie zu Hause. Und wenn"s dann noch bitte schön sechs bis acht Grad kühler ist und ein bisschen luftiger, kennt auch mein Jubel keine Grenzen mehr.
¸¸Warum macht man das?" fragt mich jemand, als wir zur Kleiderausgabe eiern. Das ist halt was im Kopf. Laufen entscheidet sich im Kopf.
Aber gesund ist es übrigens auch.
Tim Schleider in der Stuttgarter Zeitung – Montag, dem 23. Juni 2008