Auch die StZ-Redakteurin Andrea Koch-Widmann hat sich an die neuen Trainingspläne noch nicht ganz gewöhnt
Stuttgarter Zeitung-Lauf – Die unendliche Langsamkeit des Seins
StZ-Laufclique Beim ersten Training merken die acht Freizeitsportler, wie schwer es ist, nicht schnell zu joggen. Von Johannes Scharnbeck
Auf den Ernstfall ist Charles Robertson perfekt vorbereitet gewesen. Zum ersten gemeinsamen Training der StZ-Laufclique gestern kam der Halbmarathonexperte mit einer neongrünen Wollmütze – und er hat sie aus reiner Fürsorge für die vier Leser und vier Mitarbeiter der StZ aufgesetzt, die er zusammen mit dem Sportmediziner Heiko Striegel auf ihrem Weg zum Halbmarathon beim Stuttgarter-Zeitung-Lauf am 29. Mai begleitet.
Mit der neongrünen Wollmütze verfolgte Charles Robertson vor allem ein Ziel: beim Lauf durch den Degerlocher Wald sollten ihn alle sehen können, damit nicht noch einer verloren geht. Man weiß ja nie vor dem ersten gemeinsamen Training.
Andererseits hat sich der 53-Jährige die grelle Mütze wahrscheinlich auch deshalb aufgesetzt, weil er sich sehr gut kennt – so gut wie wohl niemand sonst – und deswegen wusste, dass er mit der gestrigen Einheit auch selbst zu kämpfen haben könnte. Was auch tatsächlich so war. Denn Charles Robertson hatte für das erste Training vorgegeben: 45 Minuten langsam laufen! Das klingt zwar supereinfach – für jemanden wie ihn, der den Marathon schon in lediglich 2:45 Stunden absolviert hat, ist das jedoch eine große Herausforderung.
Allerdings fiel das Langsamlaufen auch den acht Freizeitsportlern schwer. Doch genau das hatte ihnen in der vergangenen Woche bereits Heiko Striegel nach den Leistungstests in seiner Praxis, der Sportmedizin Stuttgart, verordnet. Um eine gute Ausdauer aufzubauen, sind vor allem längere, langsame Läufe bei niedrigem Puls wichtig. Für die meisten der acht Freizeitsportler bedeutet dies eine große Umstellung.
„Ich bin sonst immer schneller gelaufen. Aber das war nun mal nicht so ganz richtig”, sagt der StZ-Leser Jens-Peter Wedlich. Nun muss sich der 45-jährige kaufmännische Angestellte ständig bremsen und überprüft beim Laufen daher fortwährend seinen Puls. Zusätzlich befolgte er auch einen Ratschlag von Heiko Striegels Mitarbeiterin Claudia Driehorst, die kurz vor dem Training jedem Freizeitsportler die persönlich besten Pulswerte mitgeteilt hatte und dabei betonte: „Lassen Sie sich nicht vom Puls der Mitläufer durcheinanderbringen. Es ist ganz normal, dass die idealen Werte bei jedem variieren.”
Auch die StZ-Redakteurin Andrea Koch-Widmann hat sich an die neuen Trainingspläne noch nicht ganz gewöhnt. Um die Vorgabe – niedriger Puls bei niedrigem Tempo – zu erfüllen, versucht es die 53-Jährige nun mit einer eigenen Halbmarathon-Trainingsvariante: Nordic Walking. „So habe ich neulich meine zwölf Kilometer lange Wegstrecke zur Arbeit zurückgelegt”, sagt Andrea Koch-Widmann. „Das war echtes Wohlfühltraining.”
Charles Robertson bestätigt sie darin: „Es geht gar nicht darum, mit heraushängender Zunge anzukommen.” Deshalb hatte er für das erste Training gestern noch eine Idee, wie er die Freizeitsportler zur Langsamkeit anhalten kann: viel reden. Auch diese Taktik ging auf. Denn nach nur wenigen Metern, die still zurückgelegt wurden, tauschte sich die Gruppe rege aus: über das beste Sportequipment, über verrückte Joggingtypen und über den Mangel an Trimm-dich-Pfaden in England.
Nach sieben langsam gelaufenen Kilometern, die zudem von motivierendem Sonnenschein begleitet wurden, endete die erste Einheit am Frühstückstisch im Vereinsheim der Sportfreunde Stuttgart. Neben Butterbrezeln und Kaffee servierte die Wirtin Kalliopi Kavazis ihren vorzüglichen selbst gemachten Marmorkuchen.
Und als sich der fürsorgliche Charles Robertson nach dieser Stärkung nach dem Wohlbefinden seiner Laufclique erkundigte, sagte die StZ-Redakteurin Hilke Lorenz nur: „Ich könnte glatt schon wieder loslaufen.”
Die Mitglieder der StZ-Laufclique berichten über ihre Erfahrungen auf blogs.stuttgarter-zeitung.de
Artikel aus der Stuttgarter Zeitung
Stadtausgabe (Nr. 51)
vom Donnerstag, den 03. März 2011, Seite Nr. 34
>> Die unendliche Langsamkeit des Seins (PDF)