Was für den einen das optimale „Renngewicht“ darstellt, kann für den anderen viel zu niedrig oder zu hoch sein
Streuselkuchen versus Fruchtschorle – Neues zum Thema Kohlenhydratezufuhr – Dr. Anja Carlsohn in LAUFZEIT
Die Pasta-Party vor einem Ausdauerwettkampf ist für Spitzensportler und Freizeitathleten gleichermaßen nahezu obligatorisch. Hintergrund des geselligen Spagetthi- Essens ist sicherlich zum einen die Vorfreude auf den anstehenden Wettkampf, der Austausch von Trainingserlebnissen und seinen Zipperlein mit Gleichgesinnten.
Zum anderen trägt der Verzehr von Pasta und anderen Kohlenhydratlieferanten am Vorabend zur optimalen Energiebereitstellung während der Belastung bei. Gleichzeitig fi nden Diätbücher, die eine rasche Gewichtsreduktion mithilfe von Low-Carb-Diäten versprechen, reißenden Absatz. Kohlenhydrate sind demnach sowohl essenziell für die sportliche Leistung, als auch als Dickmacher verschrien. Wie viele Kohlenhydrate benötigt der Läufer? Welche Kohlenhydrate sind „gut“, welche „schlecht“? Wann ist der optimale Zeitpunkt für eine kohlenhydratreiche Mahlzeit?
Diesen berechtigten, immer wiederkehrenden Fragen widmet sich ein im März 2009 veröffentlichtes Positionspapier von US-amerikanischen und kanadischen Ernährungsgesellschaften (ADA bzw. DC). Eine der Kernaussagen hierin ist, dass die Bewertung der Ernährung und des Ernährungszustandes (z. B. der Körperfettanteil und der sog. Body-Mass-Index) stets individuell erfolgen sollten. Was für den einen das optimale „Renngewicht“ darstellt, kann für den anderen viel zu niedrig oder zu hoch sein. Gleiches gilt auch für die Ernährungsempfehlungen: Die Verzehrmengen und die Zusammensetzung einer Kost mögen für Läufer A zu 100 Prozent passen, für Läufer B wäre die gleiche Ernährungsweise vollkommen inadäquat.
Deckung des Kohlenhydratbedarfs im Trainingsalltag | |
5-7 g KH/d/kg (70 kg Athlet -> 350-500 g Kohlenhydrate pro Tag, 1.400-2.000 kcal aus Kohlenhydraten) | |
2 Brötchen mit Konfitüre | 65 g |
2 Honigbrote | 78 g |
1 Portion Müsli (50g) | 30 g |
125 g Reis (1 Kochbeutel) | 95 g |
100 g Pasta mit 200 ml Tomatensoße | 85 g |
1 Portion Kartoffeln (250 g) | 36 g |
1 Portion Mischgemüße | 12 g |
1 Banane, 1 Apfel | 40 g |
1 Fruchtjoghurt (250 g) | 30 g |
1 Müsliriegel (45 g) | 20 g |
1 Portion Pudding (200 g) | 41 g |
250 ml Fruchtsmoothie | 38 g |
3 Gläser Apfel-/Orangensaft | 75 g |
1 Pack (500ml) Kakao | 105 g |
Abb. 1: Zufuhrempfehlungen nach einer erschöpfenden Belastung
Daher kann es zwar sinnvoll sein, sich von erfolgreichen Athleten oder Bekannten aus der Laufgruppe die eine oder andere Ernährungsgewohnheit abzuschauen. Jede Marotte sollte man jedoch nicht ungeprüft übernehmen! Vergleiche untereinander sind nicht immer sinnvoll – während Läufer A trotz sechs üppiger Mahlzeiten inklusive Nachmittagskuchen eine drahtige Figur abgibt, hat Läufer B trotz seines Verzichts auf Süßwaren, Alkohol und andere „Dickmacher“ mit Speckröllchen zu kämpfen.
Süßes nach der Belastung
Die Einflüsse auf das Körpergewicht und den Körperfettanteil sind zahlreich. Körperliche Aktivität und unsere Ernährung sind dabei entscheidende, aber nicht die allein ausschlaggbenden Faktoren. Auch die Zusammensetzung der Kost ist wichtig, jedoch ist das Anforderungsprofi l beispielsweise an den Kohlenhydratgehalt der Ernährung individuell und situationsbedingt (Wettkampfphase versus Saisonpause) sehr unterschiedlich. Grundsätzlich sind Kohlenhydrate notwendiger Bestandteil einer gesunden, ausgewogenen Sportlerkost. Sie dienen der raschen, effizienten Energiebereitstellung während der Belastung. Intensive Trainings- oder Wettkampfbelastungen, z. B. schnelle Tempo- Dauerläufe, Intervalltraining und Unterdistanzläufe beanspruchen den so genannten anaeroben Stoffwechsel.
Hierbei befinden wir uns in der „Sauerstoffschuld“, in diesem Zustand muss der Körper auf Kohlenhydrate (Glucose) zur Energiebereitstellung zurückgreifen. Um diese Energiereserven stets mobilisieren zu können, werden im Körper Kohlenhydratdepots angelegt, die allerdings begrenzt sind. So können in Leber und Skelettmuskulatur ca. 400–600 g Kohlenhydrate in Form von Glykogen (entspricht einer Energiemenge von ca. 1.600–2.400 kcal) gespeichert werden. Insbesondere die Ausdauerleistungsfähigkeit ist mit den Glykogen-Energiereserven assoziiert. Daher gibt es verschiedene Methoden des „Carboloadings“, dem maximalen Auffüllen der Glykogenspeicher.
Ein weit verbreitetes, auch im Breitensport angewandtes Verfahren ist die Entleerung der Glykogenspeicher in der Vorwettkampfwoche (bevorzugt durch eine Kombination von Intervalltraining und kohlenhydratarmer Kost) und anschließender kohlenhydratreicher Ernährung. Hierbei ist u. a. von Bedeutung, dass körpereigene Enzyme, die für die Glykogeneinlagerung verantwortlich sind (z. B. die Glykogensynthasen), unmittelbar nach der Belastung aktiver sind. Somit ist die Regeneration der Muskulatur bzw. der muskulären Glykogenspeicher besonders effektiv, wenn unmittelbar nach erschöpfenden Belastungen (z. B. Intervalltraining, Tempo-Dauerlauf, Wettkämpfe) Kohlenhydrate zugeführt werden.
500 ml Apfelsaft-schorle und Banane | 1 Portion Reis mit Gemüse, ggf. Fisch u Geflügel | 500 ml Kakao oder 1 Müsliriegel und 1 Glas Fruchtsaft | |||||
Wettkampf-Belastung | 1 | 70-105 g Kohlenhydrate | 2 | 70-105 g Kohlenhydrate | 3 | 70-105 g Kohlenhydrate | 4 |
1 = Belastungsende
2 = 2 h nach Belastung
3 = 4 h nach Belastung
4 = 6 h nach Belastung
Angaben bezogen auf einen 70 kg schweren Läufer
Abb. 3: Kohlenhydratversorgung im Ausdauersport (Beispiele)
Zur optimalen Glykogensynthese bzw. im Rahmen der Regeneration wird die Zufuhr von 1,0–1,5 Gramm Kohlenhydrate je kg des eigenen Körpergewichts zwei bis sechs Stunden nach der Belastung empfohlen (Abb. 1). Dies entspricht für einen 70 kg schweren Läufer etwa 70–105 g Kohlenhydrate alle zwei Stunden (vergleiche Abb. 3). Vor allem Kohlenhydrate, die im Alltag eher gemieden werden sollten, sind im Rahmen der Regenerationskost besonders geeignet – solche mit einem niedrigen glykämischen Index. Diese Kohlenhydrate, meist Monooder Oligosaccharide, sind z. B. in Honig, fettarmen Kuchen und anderen Süßwaren zu finden.
Vorteilhafter ist jedoch der Konsum von Obst oder Saftschorlen, da hier zugleich wertvolle Elektrolyte, Vitamine bzw. Flüssigkeit zugeführt werden. Getränke haben zudem den Vorteil, dass auch eine rasche Rehydration (Ausgleich des Flüssigkeitsverlustes) entscheidend zur Regeneration nach erschöpfenden Belastungen beiträgt. Darüber hinaus sind Getränke – wenn man entsprechend vorsorgt – schnell verfügbar und stoßen insbesondere nach anstrengender sportlicher Aktivität auf höhere Akzeptanz beim Athleten. Unmittelbar nach einem Wettkampf mag kaum jemand trockene Streuselschnecke essen – ein halber Liter Apfelschorle dagegen ist leicht verzehrt. Neueste Untersuchungen zeigen, dass neben Kohlenhydraten auch kleine Mengen an Eiweiß die Regeneration begünstigen.
Demnach bietet sich unmittelbar nach bzw. in den ersten zwei Nachbelastungsstunden der Verzehr von Saft oder Saftschorlen sowie Milchmischgetränken (z. B. Kakao, auch abgepackt) oder Fruchtjoghurt/-quark an (Abb. 1). Kohlenhydrathaltige Getränke, Obst- oder Trockenobst und Milchmischgetränke bzw. Früchtequark sind überall erhältlich, im Rahmen einer sportgerechten Ernährung empfehlenswert und problemlos zur Trainings- oder Wettkampfstätte mitzubringen.
Alles drin im Vollkornbrot
Ein wenig anders gestalten sich die Empfehlungen zur Kohlenhydratzufuhr im (Trainings-)Alltag. Aufgrund der nachteiligen Effekte von Lebensmitteln mit hohem glykämischen Index (Süßwaren), sollten im Alltag komplexe Kohlenhydrate (z. B. Gemüse, Vollkornbrot, Kartoffeln, Vollkornpasta, Haferfl ocken etc.) bevorzugt und Weißmehlprodukte, Süßigkeiten, reine Fruchtsäfte und gezuckerte Getränke eingeschränkt werden. Ein Vorteil von Lebensmitteln mit komplexen (langkettigen) Kohlenhydraten ist ihr meist hoher Gehalt an sättigenden Ballaststoffen sowie die hohe Mikronährstoffdichte. Ein Vollkorn- Mehrkornbrot liefert eben nicht nur „Zucker“, sondern zugleich Mineralstoffe wie Kupfer, Chrom, Zink, Eisen, Vitamine und Ballaststoffe. Je nach Umfang der körperlichen Aktivität sollte die tägliche Kohlenhydratzufuhr bei ca. 4–5 g/kg Körpergewicht liegen (ca. 250–350 g pro Tag für einen 70-kg-Athleten).
Während intensiver Trainingsphasen oder in der Wettkampfsaison kann der Kohlenhydratbedarf auf 5–7 g/kg ansteigen (350–500 g pro Tag für einen 70-kg-Athleten), bei Spitzenathleten unter hoher Belastung sogar 10–12 g/kg betragen (Abb. 2). Dass diese zunächst enorm erscheinenden Mengen bei einer geschickten Tagesplanung relativ leicht zu ermöglichen sind, zeigt das Schaubild (Abb. 3).
Kohlenhydrat-Bedarf in den Trainingsphasen | |
Geringe Trainingsintensität | 3-4 g/kg/d |
Moderates bis intensives Training | 5-7 g/kg/d |
Spitzensport oder nach einem Wettkampf | 10-12 g/kg/d |
(Angaben in Gramm je Killogramm des eigenen Körpergewichts pro Tag |
Abb.. 2: Kohlenhydratbedarf unter sportlicher Belastung
Vor einem Wettkampf, so das aktuelle Positionspapier, werden 200–300 g Kohlenhydrate ca. 3–4 Stunden vor dem Start empfohlen. Um Magen-Darmbeschwerden zu vermeiden, sollten ballaststoffreiche Lebensmittel sowie Fructose (z. B. in Obst und Fruchtsäften) am Wettkampftag vermieden werden. Auch hier können Sie dem Schaubild (Abb. 3) entnehmen, dass dies relativ leicht (und gut verträglich) über Reis, Honigbrot und Getränke abgedeckt werden kann.
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Abschließend bleibt die Empfehlung, sowohl im Training als auch im Wettkampf individuell auszutesten, was am besten vertragen wird. Daher kann es sinnvoll sein, vor intensiven Trainingseinheiten ebenso wie vor Wettkämpfen die Ernährung zu dokumentieren und zu notieren, ob und wie Sie diese Speisen in der Zusammensetzung und Menge vertragen haben. Daraus kann dann eine individuelle Wettkampf-Standard- Ernährung abgeleitet werden und sollte als Orientierung (jedoch nicht als Dogma) für die Mahlzeitenplanung am Vorabend und Wettkampftag dienen.
Aus LAUFZEIT 5/2009 – Dr. Anja Carlsohn
PS: Die Autorin: Dr. Anja Carlsohn (30) promovierte jüngst an der Uni Potsdam als Ernährungswissenschaftlerin. Seit ihrer Kindheit war sie selbst eine erfolgreiche Läuferin. Unter anderem siegte sie beim Rennsteiglauf-Halbmarathon 2007. Nach zuletzt internationalen Einsätzen in der Berglauf-Nationalmannschaft beendete die Wahlpotsdamerin im letzten Jahr ihre aktive Laufbahn.