Auch Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler bekam ihr Fett weg, weil sie an glorreiche Zeiten der deutschen Leichtathletik erinnerte. „Diese glorreichen Zeiten wollen wir nicht“, sagte Mallow.
Streit bei den Leichtathleten – Mallow schlägt um sich: „Dummschwätzer Digel“ – Michael Reinsch, Peking, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung – Mallow: \“Damals wurde gedopt, und es gab den Kalten Krieg\“
Der deutsche Leichtathletik-Cheftrainer Jürgen Mallow hat am Samstag gegen Heike Drechsler und Helmut Digel, gegen das Innenministerium und den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) gewettert. Harsche Kritik am Abschneiden der deutschen Mannschaft, aus der bis Freitag lediglich Christina Obergföll eine Bronzemedaille gewonnen hatte, nahm er zum Anlass, den Ehrenpräsidenten seines Verbandes, Digel, einen „Dummschwätzer“ zu nennen.
Dessen Kritik an vermeintlichen Versagern lasse nicht nur Kompetenz, sondern auch Respekt vermissen. „Filmon Ghirmai, ein Kind von Einwanderern, das sich um seine Ausbildung bemüht, als Versager zu bezeichnen, ist unanständig“, schimpfte Mallow. Der Hürdenläufer Ghirmai hatte sich nicht für die Olympischen Spiele qualifiziert. „Da muss man auch mal innehalten und nachdenken, bevor man die nächste Sprechblase produziert“, fuhr Mallow fort.
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„Damals wurde gedopt, und es gab den Kalten Krieg“
„Damals wurde gedopt, und es gab den Kalten Krieg.“ Kritik an durch Doping in der DDR belasteten Trainern – namentlich Kollark, Goldmann und jüngst Schneider und Baarck – wies er zurück: „Die Grenze der Heuchelei ist weit überschritten.“(Siehe auch: DDR-Doping: Drei Trainer sollen gegen Ehrenerklärung verstoßen haben.)
Der deutsche Sport habe nach dem Fall der Mauer vor 19 Jahren Kommissionen eingesetzt, die Staatsanwaltschaft habe ermittelt, weil in der DDR massiv gedopt wurde. Die Trainer, die seinerzeit zur Beschäftigung im Sport empfohlen wurden, jetzt wegen ihrer DDR-Vergangenheit anzugreifen, sei unwürdig.
Der Bundestrainer, der nach der Weltmeisterschaft in Berlin 2009 in Pension gehen wird, scheute sich nicht, auf Doping in der Leichtathletik hinzuweisen, insbesondere in den 400-Meter-Läufen, die der Amerikaner LaShawn Merritt und die Britin Christine Ohuruogu gewannen. „Das kenne ich anders. Früher lagen die Läufer nach so einer Runde japsend am Boden, heute sehen sie aus wie nach einem Trainingslauf“, sagte Mallow. „Die Methode, die 400 Meter mit einer solchen Leichtigkeit zu laufen, haben wir nicht und wollen wir nicht.“
Mallow über Ehrenpräsident Digel (Foto): “Ein Dummschwätzer“
„Dreißig Prozent meiner Arbeitszeit für solchen Quatsch“
Athleten müssten, wenn sie sich diesem Wettbewerb stellten, berechtigte Zweifel aus dem Kopf kriegen. „Wenn wir unfaire Bedingungen vorfinden“, sagte Mallow, „müssen wir das noch hinnehmen. Aber man kann uns nicht eins zu eins an diesen Bedingungen messen.“ Damit war Mallow nun beim tieferen Grund seines Ausbruchs: der mangelhaften Förderung und den Zumutungen durch die Ministerialbürokratie – „Schreibtischtäter“ nannte er sie.
Wenn sich realisiere, was er im Februar verhandelt habe, werde sein Verband im kommenden Jahr fünf Millionen Euro Förderung erhalten. „Wenn wir das Doppelte hätten, wären wir am unteren Rand dessen, was notwendig ist“, sagte er. „Man kann doch eine Krise nicht dadurch überwinden, dass man die Ressourcen kappt.“ Drei Tage vor der Abreise nach Peking sei er aufgefordert worden, Mittel zu beantragen. „Dreißig Prozent meiner Arbeitszeit verwende ich für solchen Quatsch“, schimpfte Mallow.
„Die sind bekloppt. Entweder machen wir die Leichtathletik überlebensfähig, oder wir machen es so wie früher die Australier. Da haben die Athleten ihre Reisen selbst bezahlt.“ Alle ernstzunehmenden Sportländer förderten die Leichtathletik besser als die Deutschen. Vizepräsident Eike Emrich sagte, durch Gängelung und Bevormundung sei der Leichtathletikverband zu einer „DDR light“ geworden. Die Bürokratie schaffe eine Planwirtschaft.
Michael Reinsch, Peking, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonnabend, dem 23. August 2008