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02
03
2012

Stabhochspringer Björn Otto - Bloß nicht am Boden bleiben - Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ©EAA - European Athletics

Stabhochspringer Björn Otto – Bloß nicht am Boden bleiben – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Björn Otto weiß, wie dünn die Luft in der Höhe werden kann. Der begeisterte Flieger hat sich vom Gleitschirm schon in mehr als viertausend Meter Höhe tragen lassen; eigentlich tut man das nicht ohne Sauerstoffversorgung. Nachdem er bei den deutschen Hallenmeisterschaften am Sonntag zum zweiten Mal in diesem Winter 5,92 Meter überflogen hatte, sagte der neue deutsche Meister wie zur Versicherung: „Die Anlage hier ist mit Sicherheit vermessen.“

Das war kein Scherz, sondern die Folge der bitteren Enttäuschung des vergangenen Jahres. Da hatte er in Landau in der Pfalz mit 5,80 Metern die Norm für die Weltmeisterschaften in Daegu erfüllt und war sicher, dass seine von der jahrelangen Verletzung beider Achillessehnen geprägte Leidenszeit endlich zu Ende sei. Mehr noch: Otto hatte ein versöhnliches Ende mit den Titelkämpfen in Südkorea im Sinn, vielleicht sogar einen triumphalen Abschied vom Sport mit einer Medaille. 2012, wenn er 35 Jahre alt werden würde, sollte seine Ausbildung zum Piloten beginnen.
 
Bis heute kann Otto nicht glauben, was ihm der Deutsche Leichtathletik-Verband damals mitteilte. Der Anlauf der Anlage sei nicht vorschriftsmäßig per Laser vermessen gewesen, weshalb seine Leistung nicht anerkannt werde – und weshalb er nicht mitgenommen werde zur Weltmeisterschaft. Da ging Otto die Luft aus. „Ich glaube bis heute nicht, dass das mit rechten Dingen zuging“, sagt er. „Ich habe das Gefühl, dass ich verarscht wurde.“ Auch die Airline, bei der er eine Ausbildung machen wollte, lehnte seine Bewerbung ab. Also flog Otto mit Bordmitteln.

Andere Athleten seiner Statur mag man Modellathleten nennen. Otto ist Modellbauathlet. Sein Großvater pflanzte dem Jungen vor dreißig Jahren in Frechen bei Köln die Begeisterung fürs Fliegen ein. Bis heute bastelt Otto ferngesteuerte Fluggeräte; derzeit ist eines mit gut acht Meter Spannweite in Arbeit. Und wenn er sich nicht am Stab in die Luft katapultiert, vertraut er sich dem Gleitschirm an: beim nächsten Mal wieder an Ostern, vorzugsweise im Tal der Drau.
 

Früher einstechen, höher fliegen: das neue Motto

Otto sagt, er spüre keinen Grimm, er wolle nur seinen Spaß haben. „Drei Saisonhöhepunkte“ hat er sich vorgenommen, auf die Hallen-Weltmeisterschaften (9. bis 11.3.) ist er schon im Anflug. Auch die Europameisterschaften in Helsinki (27.6.-1.7.) und die Olympischen Spiele (27.7.-12.8.) stehen auf dem Flugplan – London sollen die ersten Spiele sein, an denen Otto teilnimmt. Man glaubt es kaum, wie oft der Stabhochspringer am Boden bleiben musste. Für Athen 2004 konnte er sich nicht qualifizieren, Peking 2008 verpasste er verletzt; wie auch die Weltmeisterschaften in Berlin 2009 und die Europameisterschaften von Barcelona 2010.

Im Moment dürfte er der vielleicht beste Stabhochspringer der Welt sein. Zwar hat der Franzose Renaud Lavillenie schon 5,93 Meter in diesem Winter überwunden. Aber Otto hat sich in Karlsruhe schon zum zweiten Mal in diesem Winter in die Höhe über 5,92 Meter aufgeschwungen. Höher sprangen unter deutschen Dächern nur Danny Ecker (6,00) und Tim Lobinger (5,95), doch beides ist mehr als zehn Jahre her. Für Otto sind die sechs Meter der „nächste Schritt“, wie er vor dem Springer-Meeting an diesem Freitag in Dessau sagte. Warum auch nicht? „Ich bin völlig schmerzfrei“, sagt er. „Seit ich im Oktober mit dem Training begonnen habe, war ich nicht mal einen Tag krank.“ Otto springt jetzt mit einer größeren Entfernung vom Einstichkasten ab, was größere Höhen ermöglicht. Endlich, nach Jahren der Quälerei, scheint er wieder der Alte zu sein.

Doch jünger ist er nicht geworden. Viele Fluggesellschaften stellen niemanden ein, der älter ist als 35, das Alter, das er im Oktober erreicht. Höchste Zeit also, das Ersparte in die Ausbildung an einer privaten Pilotenschule zu investieren.
 

5,92 Meter hat er schon zwei Mal übersprungen in diesem Winter

Das Studium der Biologie wird Otto zwar mit der Abgabe seiner Diplomarbeit abschließen. Doch dass er sich darin mit einem Modell der Seitenlinien von Fischen beschäftigen konnte, ist für ihn weniger Ausdruck von faszinierender Forschung als vielmehr von brotloser Kunst, gehobenem Modellbau sozusagen. „In der Biologie verdient man nichts“, sagt er.

Die Aussicht, vom nächsten Jahr an seine Tage im Labor zu verbringen, ist ein Schrecken. Björn Otto will einfach nicht am Boden bleiben.

 

 Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Freitag, dem 2. März 2012

author: GRR

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