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18
07
2009

Seit mehr als einem Jahrzehnt wird Kryotherapie mit Erfolg bei Rheuma, Morbus Bechterew und Epilepsie eingesetzt. Rund siebzig Kliniken in Deutschland betreiben Kältekammern. Die Dortmunder Sportwissenschaftlerin Sandra Ückert und ihr Münsteraner Kollege Winfried Joch haben in den vergangenen Jahren zum Thema Sport und Kältetherapie geforscht

Sportwissenschaft Leistung, die aus der Kälte kommt – Michael Reinsch, Kienbaum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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16. Juli 2009 Der deutsche Sport will seinen Athleten ein Mittel zur Leistungssteigerung erschließen, das auf keiner Doping-Liste steht: Kälte. Am Dienstag hat er in seinem zentralen Bundesleistungszentrum Kienbaum östlich von Berlin eine Kältekammer eröffnet, in der Sportler sich Temperaturen bis zu minus 110 Grad Celsius aussetzen können.

Bei dem etwa zweieinhalb Minuten langen Aufenthalt in dem schmucklosen Kühlzimmer – am besten in Badekleidung, mit festen Schuhen, Ohr- und Mundschutz sowie Handschuhen – verengen sich die Gefäße unter der Haut und drängen das Blut ins Körperinnere.

So sollen regulierende, heilende und leistungssteigernde Vorgänge im Körper ausgelöst werden. Die Muskeln bleiben von der Kälte unberührt. „Es ist eine legale Methode“, sagt Jürgen Mallow, der Sportdirektor des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, der die Kältekammer vor zwei Jahren auf die Wunschliste des deutschen 
Ganzkörper Kältetherapie

Eine physikalische Kurzzeittherapie bei -110°C mit Langzeitwirkung – Verbesserte Regeneration

Seit mehr als einem Jahrzehnt wird Kryotherapie mit Erfolg bei Rheuma, Morbus Bechterew und Epilepsie eingesetzt. Rund siebzig Kliniken in Deutschland betreiben Kältekammern. Die Dortmunder Sportwissenschaftlerin Sandra Ückert und ihr Münsteraner Kollege Winfried Joch haben in den vergangenen Jahren zum Thema Sport und Kältetherapie geforscht und Publikationen ausgewertet. Sie berichteten von Leistungssteigerungen durch „precooling“ bei Läufern von bis zu zehn Prozent. Allerdings hält der unmittelbare Effekt lediglich knapp eine halbe Stunde vor.

Neben der Ausdauerleistungsfähigkeit werde die Regeneration verbessert („postcooling“), sagte der emeritierte Professor Joch in Kienbaum. Außerdem würden Entzündungen verhindert und kuriert. Der emeritierte Medizinprofessor Winfried Papenfuß, Autor des Buches „Die Kraft der Kälte“, berichtete, dass die Kälte das zentrale Nervensystem stimuliere und ermunternd wirke und gleichzeitig Übermotivation dämpfe. Angestrebt werde eine Langzeitwirkung, die nach zwanzig bis dreißig Anwendungen eintrete.

Nächster Kunde Bayer Leverkusen?
 
Sandra Ückert habilitierte an der Universität Dortmund zur „Bedeutung thermoregulatorischer Maßnahmen im Sport“. Statt einer Professur hat sie seit zwei Monaten eine Stelle beim Deutschen Olympischen Sportbund. Ihr Thema ist heiß. Bundesinstitut für Sportwissenschaft und Leichtathletikverband veranstalteten im Dezember an der Trainerschule Mainz gemeinsam eine Tagung, die als „Kältekonferenz“ organisiert wurde. Der Hersteller der Kammern, das Unternehmen Zimmer Medizinsysteme aus Neu-Ulm, hat eine Sportabteilung gegründet. Nächster Kunde könnte Bayer Leverkusen sein; der Verein will bei der Rückkehr in die Bayarena die Leistung seiner Fußballprofis auch durch Kälte steigern.

„Ein ziemlich frisches Gefühl und ein gutes Wohlbefinden“, gab der Leipziger Hürdensprinter Alexander John zu Protokoll, nachdem er, gemeinsam mit zwei weiteren Probanden, die erste Kältekammer allein für Sportler in Deutschland ausprobieren durfte. Er spüre so etwas wie Tatendrang. Auf die Frage, ob John seine Bestzeit von 13,35 Sekunden bis zur Weltmeisterschaft in Berlin nun verbessern werde, gab sich sein Bundestrainer Idriss Gonschinska reserviert. „Langfristig positiv“ wollte er die Einrichtung der Kältekammer bewertet wissen. „Sie fördert den Regenerationsprozess, auch nach intensivem Training, und macht damit das System Kienbaum attraktiver.“ Mallow war direkter.

„Wenn das Training für drei, vier Wochen auf ein anderes Niveau gehoben wird, ist das ein Gewinn“, sagte er. Dann nämlich beginnt die WM. Kienbaum wird das Basislager der voraussichtlich knapp hundert deutschen Leichtathleten dienen; erst zwei, drei Tage vor ihren Wettkämpfen sollen sie ins Mannschaftshotel in der Stadt ziehen.

Australien kennt die Kälte sei 1996

Die Leverkusener Stabhochspringer und ihr Trainer Leszek Klima reisen seit Jahren regelmäßig zur Regeneration in den polnischen Ort Spala, um dort täglich eine Kältekammer zu nutzen. Sie berichten über positive Auswirkungen.

Vor zwei Jahren fragte bei einer Veranstaltung in Kienbaum Peter Danckert, der Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Mallow, was nun eigentlich noch fehle. Der erfahrene Trainer musste nicht lange überlegen, um auf die Kältekammer zu kommen, wie sie seit der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 1996 vor allem australische Sportler einsetzen. Das Konjunkturprogramm für Infrastruktur und Schule hat es nun ermöglicht, dem Sport den 320.000 Euro teuren Wunsch zu erfüllen.

Er ist nicht der erste. Hans-Georg Moldenhauer, der Vorsitzende des Trägervereins von Kienbaum, sagte, er erwarte, dass die Investitionen in die Modernisierung des einstigen zentralen Trainingslagers der DDR noch in diesem Jahr 60 Millionen Euro erreichten.

 Michael Reinsch, Kienbaum,in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 16. Juli 2009 

author: GRR

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