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16
01
2012

Sporttheorie und Sportpraxis: ein spannungsreiches Verhältnis - Institut für Sportwissenschaft der Universität Würzburg ©Logo Uni Würzburg

Sporttheorie und Sportpraxis: ein spannungsreiches Verhältnis – Institut für Sportwissenschaft der Universität Würzburg

By GRR 0
In welchem Verhältnis sollen Theorie und Praxis im Sportstudium zueinander stehen? Darüber sprachen Experten aus dem In- und Ausland bei einer Podiumsdiskussion am Institut für Sportwissenschaft der Universität Würzburg. Die Veranstaltung war Teil eines Nachwuchs-Workshops der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft.
 
Die mehr als 40 Teilnehmer hatten dabei die Gelegenheit, den Experten ihre Promotionsvorhaben in Kleingruppen vorzustellen.
 
„Theorie ohne Praxis ist für Genies, Praxis ohne Theorie für Schurken und Gaukler“: Dieses Zwischenfazit zog Professor Arturo Hotz (Universität Bern) bei der Podiumsdiskussion. Sechs Wissenschaftler aus den geistes- und sozialwissenschaftlichen Teildisziplinen der Sportwissenschaft erörterten dort das Verhältnis von Praxis und Theorie im Sportstudium.

Dass dieses Verhältnis bisweilen spannungsgeladen ist, zeigte ein Vergleich der Professorin Silke Sinning von der Universität Landau. Sie stellte fest, dass schon innerhalb der Sportinstitute Theoretiker und Praktiker sich häufig gegenseitig nicht anerkennen würden.

Trennung zwischen Theorie und Praxis aufheben

„Probleme von heute sind das Ergebnis schlechter Lösungen von gestern“: Diese These stellte Professor Konrad Kleiner von der Universität Wien auf. Was er damit meint? In der Geschichte der Sportlehrer(aus)bildung, dem Lehramtsstudium, lässt sich seiner Meinung nach immer wieder das spannungsgeladene Verhältnis von beispielsweise fachdidaktischen Konzepten und der Sportpraxis nachweisen. Die Sporttheorie wäre nie wirklich mit sportpraktischen Anliegen in der Ausbildung verknüpft, sagte Kleiner.

Konkret: Während die Studierenden in der Halle Basketball spielen, für die Leichtathletik nach draußen gehen und Unterrichtsstunden in der Schul-Turnhalle besuchen, würde die dazugehörige Theorie noch immer im Hörsaal vermittelt. Eine innige Verknüpfung und Durchdringung beider Aspekte fände nach wie vor höchst selten statt. Das ließe sich auch am Beispiel der Fachzeitschriften nachweisen, wo streng nach theorieorientierten und fachpraktischen Beiträgen getrennt würde.

Sport ist mehr als nur Bewegung

„Wofür soll das Sportstudium die Studierenden ausbilden?“ Dieser Frage ging Professor Ralf Erdmann (Universität Oslo) nach. Insbesondere angehende Sportlehrer sollen seiner Meinung nach Kenntnisse über Bewegung, Spiel und Sport erhalten plus das Wissen über deren Wirkungen. So, wie angehende Sprachstudenten in der Regel bereits Kenntnisse in der jeweiligen Sprache besitzen, sollten Sportstudenten bereits vor dem Studium über „Erfahrungen auf einem sportmotorischen Niveau“ verfügen. Entsprechend läge es in der Verantwortung Studierender, ihren Erfahrungshorizont im Bereich der Bewegung auf diesen Aspekt auszurichten. Denn die eigenen Erfahrungen erleichtern beziehungsweise ermöglichen das Verständnis für den Gegenstand und seine theoretische Durchdringung, so Erdmann.

Liegt der Fokus im Studium auf dem Erlernen motorischer Fertigkeiten, verletze dies die pädagogische Verantwortung sowohl gegenüber den Studierenden als auch gegenüber der zukünftigen Generation von Schülern. Daneben liefere dies dem Staat einen Vorwand, viel Geld zu sparen. Er könnte damit den Sportunterricht Vereinen und deren Übungsleitern überlassen – so, wie es Politiker bereits vorgeschlagen haben. Der Sportunterricht hätte damit jegliche Berechtigung als Schulfach verloren.

Wer den Sportunterricht den Vereinen überlassen möchte, demonstriert nach Erdmanns Meinung allerdings einen Mangel an Einsicht und Sachkompetenz. In Anlehnung an Kant sagte Erdmann: „Theorie ohne Praxis ist leer, und Praxis ohne Theorie ist blind.“ Zu einem ähnlichen Schluss gelangte Professor Arno Müller von der Universität Leipzig: „Praxis braucht Theorie zur Legitimation“, sagte er – gerade um den Sportunterricht im Fächerkanon der Schule zu begründen.

Was angehende Sportlehrer brauchen

Was brauchen Sportlehrer eigentlich von dem, was die Uni ihnen anbietet? Manches mehr, manches weniger, sagte Konrad Kleiner. Seinen Worten nach zeigen Studien deutlich, dass Universitäten an den Bedürfnissen von Lehrkräften vorbei ausbilden. Das Verhältnis der vier Säulen Fachwissenschaft, Fachdidaktik, schulpraktische Ausbildung und Sportpraxis sei häufig unausgewogen. „Ich habe noch keinen Kollegen gesehen, der an der Vermittlung eines Handstützüberschlags gescheitert wäre. Aber ich habe schon viele Kollegen gesehen, die im Bereich von Sicherheitsfragen, Organisationsaufgaben, Beziehungsaspekten oder Kriterien der Intervention gescheitert sind.“

Seiner Meinung nach müsse geklärt werden, „ob die Überprüfung des Handballsprungwurfes und die Bewältigung des 400-Meter-Laufs im Rahmen der Eignungstests und die durchaus hohen Anforderungen im Bereich der Eigenrealisation während des Lehramtsstudiums wirklich helfen, die Probleme, die ich als Lehrer in den Situationen der Schule habe, zu bewältigen".

Die Universität sei zwar keine Schule, doch habe sie alles zu tun, um Studierende des Lehramts für ihre Arbeit an der Schule bestmöglich vorzubereiten. „Dafür benötigen wir schulspezifisch erprobte und sportdidaktische beziehungsweise fachwissenschaftlich argumentierbare Theoriekonzepte“, so Kleiner.

Das Studium ist nicht vergleichbar mit einer Lehre

Das Sportstudium an der Hochschule darf nicht mit der künftigen beruflichen Praxis verwechselt werden: Das forderte Professor Bernd Gröben von der Universität Bielefeld. „Universität ist nicht Schule. Das unterscheidet uns von einem Lehrberuf“, sagte der Sportwissenschaftler während der Podiumsdiskussion. Dass die universitäre Ausbildung nicht identisch ist mit der späteren beruflichen Praxis, ist seiner Meinung nach jedoch kein spezifisch sportwissenschaftliches Problem. „Das ist beispielsweise bei den Juristen auch nicht anders.“

Nach Gröbens Ansicht sind sowohl das Sportstudium als auch die Praxis zunächst einmal theoretische Konstruktionen. Die Frage, wie der Korbleger im Basketball zu lernen ist, verlange nicht zwangsläufig die praktische Realisation in der Halle, sondern könne auch abstrakt diskutiert werden. „Das scheint mir alles ohne Theorie nicht einmal denkbar zu sein“, sagte Gröben.

Diese Reflexivität unterschiede die universitäre Ausbildung von der klassischen Ausbildung, beispielsweise von einer Lehre, bei der ein Lehrling mit dem Meister in der beruflichen Praxis agiert. Die Praxis der Universität seien aber Forschung und Lehre. Für Gröben steht das Sportstudium in einem völlig anderen Ausbildungszusammenhang: „Ein Ausbildungszusammenhang, der zumindest auch eine Transformationsaufgabe hat. Und zwar genau deswegen, weil das Studium nicht der beruflichen Praxis entspricht.“

Somit konnte die Podiumsdiskussion die Frage nach dem richtigen Verhältnis von Theorie und Praxis im Sportstudium nicht abschließend klären. Dafür habe sie aber „wertvolle Denkanstöße und weiter auszugestaltende Argumentationsfiguren“ geliefert, wie Professor Harald Lange, Leiter des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Würzburg und Moderator der Diskussion, resümierte. 

 
Quelle: idw 
vr 

author: GRR

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