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17
02
2023

Olympische Flagge - Foto: Horst MIlde

Sportminister gegen IOC-Plan: „Russlands Präsenz wäre eine Manifestation der Gewalt“ – Von Christoph Becker und Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Der Widerstand gegen die Teilnahme von Russen und Belarussen bei Olympia 2024 wird konkreter 

Das IOC plant die Rückkehr von Sportlern aus Russland und Belarus zu Olympia 2024 in Paris. Bis zu 35 Regierungen aus Europa, Nordamerika, Japan und Ozeanien stellen sich nun offenbar dagegen.

Bis zu 35 Regierungen aus Europa, Nordamerika, Japan und Ozeanien stellen sich offenbar gegen die Pläne des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), russischen und belarussischen Sportlern einen Weg zu den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris zu bahnen. Vertreter der Staaten hatten am Freitag unter der Koordination der für den Sport zuständigen britischen Kulturministerin Lucy Frazer per Videokonferenz beraten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wendete sich dabei mit einer rund acht Minuten dauernden Botschaft an die Konferenzteilnehmer, in der er die Position der ukrainischen Regierung ein weiteres Mal deutlich machte. „Wenn Töten und Raketenangriffe olympische Sportarten wären, wüssten Sie, welches Land die Medaillenwertung anführte“, sagte Selenskyj und verwies auf die auch am Freitag andauernden russischen Angriffe auf die ukrainische Zivilbevölkerung und Infrastruktur. „Russlands Präsenz bei den Sommerspielen wäre eine Manifestation der Gewalt“, sagte Selenskyj.

Litauische Regierung wird deutlich

Ein Sprecher des für den Sport zuständigen Bundesinnenministeriums bekräftigte am Samstag gegenüber FAZ.NET die Haltung von Innenministerin Nancy Faeser: „Es gibt aus unserer Sicht keinen Anlass, den russischen und belarussischen Sport zur Rückkehr in die Wettkämpfe einzuladen. Den ukrainischen Athletinnen und Athleten muss weiterhin die uneingeschränkte Solidarität und Unterstützung der internationalen Sportgemeinschaft gelten. Die Bestrebung des IOC zur Wiederaufnahme der russischen und belarussischen Athletinnen und Athleten ist der falsche Weg.“ Der Parlamentarische Staatssekretär Mahmut Özdemir (SPD) nahm an der Konferenz teil.

Faesers britische Amtskollegin Frazer twitterte nach der Videokonferenz, die Beratungen seien „sehr produktiv“ gewesen, sie habe die britische Position „sehr klar gemacht: so lange Putin seinen barbarischen Krieg fortführt, dürfen Russland und Belarus nicht vertreten werden bei Olympia“ und nun werde ein „kollektives Statement zum Thema“ verfasst.

Die litauische Regierung wurde noch deutlicher. Auf der Website des Sportministerium in Vilnius hieß es am Freitagabend, man habe vereinbart, eine Erklärung zu verfassen, um Versuche zu verhindern, Sportler aus Russland und Belarus zu internationalen Sportwettkämpfen zurückzuschicken. „Wir fordern den Ausschluss russischer und belarussischer Sportler von allen internationalen Wettbewerben, einschließlich der Olympischen Spiele, solange der Krieg in der Ukraine andauert“, sagte Ministerin Jurgita Šiugždinienė. Der Agentur Reuters sagte die Ministerin, ein zuvor von den baltischen Staaten erwogener Boykott der Spiele von Paris sei jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt nicht nötig, da „alle Länder (die Teilnehmer der Konferenz waren, d. Red.) übereinstimmen“.

Polens Sportminister Kamil Bortniczuk sagte gegenüber Reuters, nahezu alle Teilnehmer seien für einen vollständigen Ausschluss russischer und belarussischer Sportlerinnen und Sportler gewesen. „Mit Ausnahme von Frankreich, Griechenland und Japan waren alle genau in diesem Ton“, so Bortniczuk. Er brachte den Gedanken auf, Einstimmigkeit sei womöglich zu erzielen, wenn russischen und belarussischen Dissidenten ermöglicht werde, in einer Flüchtlingsmannschaft anzutreten.

„Stehen wir solidarisch mit der Ukraine“

Der Vorschlag geht in die Richtung, mit der die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo vor einigen Tagen ihre Ablehnung einer Teilnahme russischer und belarussischer Sportler begründet hatte. In einem Radiointerview hatte Hidalgo gesagt, das IOC habe ein Flüchtlingsteam eingerichtet für Sportlerinnen und Sportler, deren Opposition zu den Regimen ihrer Heimatländer eine Teilnahme für diese verhindere. Russen und Belarussen als „neutrale Athleten“ starten zu lassen, sofern sie, wie vom IOC formuliert, den Krieg „nicht aktiv“ unterstützten, sei etwas fundamental anderes als die Situation der Athleten im Flüchtlingsteam und nicht hinzunehmen.

Die kanadische Sportministerin Pascal St-Onge twitterte am Freitag: „Kanadas Position ist klar: Russische und belarussische Sportler müssen von den Olympischen Spielen 2024 ausgeschlossen sein. Stehen wir solidarisch mit der Ukraine.“ Ein Sprecher des Außenministeriums der Vereinigten Staaten, das ebenfalls an der Konferenz teilnahm, sagte anschließend, man werde sich mit dem olympischen und paralympischen Komitee beraten und „freue sich auf größere Klarheit des IOC bezüglich ihrer vorgeschlagenen Strategie gegenüber Russland und Belarus“. In der Konferenz sei die amerikanische Solidarität mit der Ukraine und die Auffassung, dass die Russische Föderation ebenso wie das mitschuldige Lukaschenka-Regime für den barbarischen Krieg zur Rechenschaft zu ziehen seien, zum Ausdruck gebracht worden.

Anette Trettebergstuen, die norwegische Kultur- und Gleichberechtigungsministerin, die an der Konferenz vom Freitag ebenfalls teilnahm, sagte der Zeitung „VG“, die Erwägungen des IOC seien „seltsam und provokant“. Die nationalen olympischen Komitees der nordischen Staaten hatten am Dienstag deutlich gemacht, dass sie eine Rückkehr russischer und belarussischer Sportler und Offizieller ablehnen. Weil die Kriegssituation sich nicht geändert habe, sei nicht der Zeitpunkt, eine Rückkehr zu erwägen. Ministerin Trettebergstuen sagte nun: Im „russischen Kontext gibt es zwischen Sport und Politik keinen Unterschied, jede Sportleistung ist pure Propaganda“.

Der russische Sportminister Oleg Matystin hatte, nachdem offizielle russische Stimmen über die IOC-Pläne zunächst empört geschimpft hatten, gegenüber dem Portal „Inside The Games“ von „positiver Stimmung“ gegenüber dem IOC gesprochen, das offenbar erkannt habe, dass Sport immer eine „einende Kraft für Athleten aus aller Welt gewesen ist“. IOC-Präsident Thomas Bach hatte Ende Januar am Rande der Rodel-WM in Oberhof in einem ZDF-Interview davon gesprochen, dass die Vorschläge des IOC würden „getragen von einer riesengroßen Mehrheit weltweit“, es gebe „einstimmige Beschlüsse aller NOKs“.

IOC-Präsident schickt einen Brief

Am Donnerstag, einen Tag vor der Konferenz, war ein Schreiben Bachs an den ukrainischen Sportminister und Präsidenten des nationalen olympischen Komitees, Wadym Hutzajt, vom 31. Januar bekannt geworden, in der Bach die Ukrainer vor einem Boykott und der „Verletzung olympischer Werte“ warnt. „Die Ukraine erhält sicherlich nicht die Unterstützung oder Solidarität der überwältigenden Mehrheit der Stakeholder in der Olympischen Bewegung“.

Hutzajt hatte am Mittwoch mit einem Brief geantwortet, in dem er unter anderem die Zerstörung der ukrainischen Sportinfrastruktur durch Russland anführt. „Wie, auf welche Weise werden die Rechte ukrainischer Sportler geschützt?“, fragt er. „Wieso ist bei der Diskussion um Rechte der Athleten aus Aggressorstaaten nichts zu hören zum Schutz der Rechte jener Leute, die seit einem Jahr angegriffen und getötet werden?“

In absoluten Zahlen ist auch eine einhellige Ablehnung der IOC-Pläne durch 35 Regierungen weit davon entfernt, eine Mehrheit darzustellen, zumal unter den bisweilen von anderen Erwägungen als ihre Regierungen getragenen Entscheidungsfindungsprozessen von nationalen olympischen Komitees. Allerdings befanden sich unter den 35 Staaten mit Japan, Frankreich, den Vereinigten Staaten und Australien Vertreter der Gastgeberregierungen der Sommerspiele von 2021 bis 2032. Zu den Beratungen vom Freitag sagte ein IOC-Sprecher gegenüber Reuters, man werde „Interpretationen einzelner Teilnehmer eines Meeting, dessen zusammenhängender Inhalt nicht bekannt ist, nicht kommentieren“

Das IOC versandte am Freitagabend, während deutlich wurde, dass es eine durchaus nennenswerte internationale Opposition gegenüber der Teilnahme russischer und belarussischer Sportler an den Sommerspielen von Paris gibt, eine andere Nachricht: Man helfe den Opfern des verheerenden Erdbebens in der Türkei und Syrien mit 250.000 Dollar (233.613 Euro). Mit Hilfsgeldern weiterer olympischer Dachorganisationen belaufe sich das Volumen der Hilfe auf eine Million Dollar (934.450 Euro).

author: GRR