
Die Kanuten waren bei Olympischen Spielen stets Medaillengaranten. ©Horst Milde
Spitzensportkonzept – Nur keine Unterschiede! Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Nun bekommt der deutsche Sport eine Vorgabe, die er so nicht erwartet hatte. Sport leiste „einen bedeutsamen Beitrag für die gesamtgesellschaftliche Inklusionsdebatte“, heißt es in dem 63 Seiten langen Konzept, das de Maizière, DOSB-Präsident Alfons Hörmann und Christina Kampmann, Sportministerin von Nordrhein-Westfalen und als Vorsitzende der Sportministerkonferenz Vertreterin der Länder, am Donnerstag in der Bundespressekonferenz in Berlin vorstellten. „Sport und Politik bekennen sich zur Gleichstellung des olympischen und paralympischen Sports.“
In diesem Sinne erfülle der Sport auf allen Ebenen eine wichtige Vorbildfunktion. „Gerade die im Spitzensport erfolgreichen Athleten stehen im sportlichen Wettkampf für Leistungswillen, Ausdauer, Disziplin und Respekt. Ihre Erfolge bei internationalen Sportgroßveranstaltungen und ihr positives Auftreten fördern darüber hinaus das Ansehen Deutschlands in der Welt, das sich im internationalen Vergleich durch seine sportliche Vielfalt auszeichnet.“
„Die Reform ist die Chance auf einen riesigen Sprung“, sagt der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), der ehemalige Bundestagsabgeordnete Friedhelm Julius Beucher. „Der DOSB muss das in seiner Gesamtheit noch begreifen.“
Bislang gehörte der Behindertensport dem Dunstkreis der nicht-olympischen und damit der vernachlässigten Sportarten an, sagt Beucher. Noch gebe es keine Gleichstellung. Die weitreichenden Verpflichtungen seinen Athleten gegenüber werden flankiert von der Entscheidung des Haushaltsausschusses des Bundestages, die Förderung des DBS im kommenden Jahr mit einem Nachschlag von 1,5 Millionen auf 7,5 Millionen Euro zu erhöhen.
„Olympischer und paralympischer Sport müssen identisch behandelt werden“, sagt Dagmar Freitag, die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag: „Dazu haben wir eine gesellschaftspolitische Verpflichtung.“
Hörmann verspricht, der Sport wolle und werde Inklusion aktiver leben als bisher. Er wendet sich lediglich gegen das utopische Ziel, Olympische und Paralympische Spiele eines Tages zusammenzulegen. Gemeinsames Training und gemeinsame Wettkämpfe stelle er sich vor, allein bei den Spielen sollten die paralympischen Athleten von ihrer Alleinstellung profitieren.
Europameisterschaften zählen nicht
Ausdrücklich bezieht der Bund die gesamtstaatliche Repräsentation durch Sport auf Olympische, Paralympische und Deaflympische Spiele sowie Weltmeisterschaften und World Games. Europameisterschaften und Europaspiele werden nicht erwähnt. Medaillenkandidaten für die Paralympics sollen in die Olympiakader aufgenommen werden. Wo möglich, solle der Spitzensport für Menschen mit Behinderung ins Olympia-Stützpunktsystem eingebunden werden.
In die Ausbildung von Spitzensport-Trainern sollen spezifische Themen des Behindertensports integriert werden. Das Bundesleistungszentrum Kienbaum, ein riesiges Trainingslager bei Berlin, soll zum „Deutschen Olympia- und Paralympics-Trainingszentrum“ werden. „In den Spitzenverbänden ist die Bereitschaft für die Integration der paralympischen Sportarten mit dem Ziel zu entwickeln“, gibt das Konzept vor, „dass mittel- bis langfristig möglichst alle paralympischen Sportarten von dem jeweils zuständigen Spitzenverband verantwortet werden.“
Der Erfolg soll den Behindertensport-Verband überflüssig machen. Am 3. Dezember wird das Konzept dem Bundestag des deutschen Sports in Magdeburg zur Verabschiedung vorgelegt. Im kommenden Jahr will de Maizière es dem Kabinett zur Kenntnis geben und vom Parlament absegnen lassen.
Großen Anteil am Gewicht dieser gesellschaftspolitischen Komponente der Spitzensportreform hat Michael Teuber. Der fünfmalige Paralympics-Sieger im Einzelzeitfahren und in der Einzelverfolgung hat im persönlichen Gespräch mit de Maizière, in der öffentlichen Anhörung des Bundestages und in Briefen an Innenministerium und Sportausschuss Gleichstellung eingefordert.
„Darauf kann man die Verbände nun festnageln“, sagt er. Das ist ein weiter Weg. Nur 37 Prozent der deutschen Olympiastützpunkte seien barrierefrei erreichbar, klagt Teuber. Von 1200 staatlichen Stellen, die für Spitzensportler reserviert seien – bei Bundeswehr, Polizei und Zoll – könnten lediglich 14 paralympischen Athleten angeboten werden. Und obwohl der Weltverband UCI die paralympischen Radrennfahrer seit zehn Jahren integriert habe, gebe es auf der Website des Bundes Deutscher Radfahrer nicht einmal eine Rubrik für diese.
Der Widerspruch bleibt ungehört
Widerspruch kommt von Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Leichtathletik-Trainer hätten derzeit keine Ausbildung für den Umgang mit Prothesen und keine Erfahrung damit, erklärt der Jurist. Das spreche noch für einen eigenen Verband und eigene Strukturen.
„Damit benennt er nur ein Defizit“, erwidert Teuber. „Werden Trainer besser ausgebildet, gibt es dieses Hindernis nicht mehr.“
Die Leichtathletik schließt Sportler mit Prothesen von gemeinsamer Wertung aus. Der beidseitig fußamputierte Läufer Oskar Pistorius erkämpfte sich die Teilnahme an den Olympischen Spielen 2012 vor Gericht. Weitspringer Markus Rehm, 2014 noch deutscher Meister im Weitsprung, durfte im folgenden Jahr nur außer Wertung an der Meisterschaft teilnehmen; für Olympia, Welt- und Europameisterschaften meldete der DLV den dreifachen Paralympics-Sieger nicht. Der unterschiedliche Bewegungsablauf von zwei- und einbeinigen Weitspringern soll wissenschaftlich untersucht werden.
A propos Gold: Der Medaillenspiegel von Rio weist die deutsche Mannschaft sowohl in der Olympiawertung wie bei der Kombination mit den Paralympics auf Platz fünf aus – mal mit 17 Gold- und insgesamt 42 Medaillen, mal mit 35 Siegen und 99 Medaillen.
Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 24. November 2016
Autor: Michael Reinsch, Korrespondent für Sport in Berlin.