
Imke Onnen ist eine der besten Deutschen Hochspringerinnen. 2024 hat sie bei ihrem Debüt in Spandau gleich einen Meetingrekord aufgestellt: 1,92 Meter. - Foto: TSV Spandau 1860
Spitzensport meets Inklusion – TSV Spandau veranstaltet internationales inklusives Hochsprung-Meeting – SPORT IN BERLIN
Am 10. Mai 2025 wird die Zitadelle in Spandau zum Treffpunkt für die weibliche Hochsprungelite.
Die besten Athletinnen ihrer Disziplin versuchen sich im Berliner Westen für die Weltmeisterschaften in Tokio zu qualifizieren. Was das Event besonders macht: Unter die Weltklassespringerinnen mischen sich gehörlose Frauen.
Das internationale inklusive Hochsprung-Meeting, das der TSV Spandau 1860 zum dritten Mal veranstaltet, schafft damit etwas Einzigartiges…
Der TSV 1860 ist der größte und älteste Sportverein in Spandau. Rund 3.500 Mitglieder hat er momentan. Seit 63 Jahren ist Detlef Klaar (66) eines davon. Beigetreten ist der pensionierte Sportlehrer als Dreijähriger, mit 18 wurde er Leichtathletiktrainer im Verein, heute engagiert er sich ehrenamtlich im Vorstand, als Kassenwart. Außerdem ist er der Hauptverantwortliche für das Hochsprungmeeting, das der TSV seit 2023 ausrichtet.
Noch vor drei Jahren war der gebürtige Spandauer als Trainer aktiv und hatte mit Blessing Enatoh eine junge Springerin unter seine Fittiche genommen. Doch es gab in ganz Nord- und Mitteldeutschland keine Wettkämpfe, bei denen sich sein Schützling hätte beweisen können.
Klaar: „Blessing sollte die Möglichkeit haben, in Berlin Qualifikationsleistungen zu springen. Also hatte ich den Gedanken, einen internationalen Hochsprungwettbewerb hier zu machen.“ Gleichzeitig sollte der Verein etwas davon haben, an Bekanntheit gewinnen: „Wir wollten ein Highlight, worüber man spricht.“ – Das hat geklappt.
Der Erfolg kam schneller als gedacht. Schon im zweiten Jahr mussten die Veranstalter einigen Springerinnen absagen, die gerne dabei gewesen wären – weil das Teilnehmerinnenfeld sonst zu groß geworden wäre. Innerhalb kürzester Zeit ist das Hochsprungmeeting zu einem wichtigen Termin im internationalen Leichtathletik-Kalender geworden.
Alle wollen dabei sein: Deutsche Meisterinnen, Europa- und Asienmeisterinnen, Weltmeisterinnen – neben Blessing Enatoh stehen Namen wie Lia Apostolovski (Slowenien), Imke Onnen (Deutschland), Morgan Lake (Großbritannien) und Buse Savaşkan (Türkei) auf der Liste.
Dazu beigetragen hat wohl der Austragungsort: Mit der Zitadelle in Spandau geht der TSV ganz neue Wege – und das gefällt dem internationalen Leichtathletik Verband, World Athletics.
Der wolle nämlich die traditionellen Wettbewerbe aus den Stadien raustragen, um so neue Anhänger zu gewinnen, erklärt Klaar. Auch sonst schätzt der internationale Verband die Bedingungen in Spandau. „Man muss bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zum Beispiel bei Hotel, Shuttleservice, Verpflegung und Ambiente. Das wird jedes Jahr evaluiert. Und wir führen vor anderen Events mit einer komfortablen Punktzahl“, berichtet der 66-Jährige stolz.
Auch sportlich ist das Turnier spitze – im Schnitt springen die Athletinnen in Spandau die besten Höhen in ganz Europa: „Das ist ein Anreiz. Sie wissen, dass sie sich hier mit den Besten messen können.“
Entsprechend unterstützt der Verband die Veranstaltung und hat das internationale inklusive Hochsprung-Meeting aufgewertet: Es ist nun Teil der World Athletics Continental Tour 2025. Für die Teilnehmerinnen bedeutet das die Chance, die nötigen Qualifikationshöhen für eine WM-Teilnahme im September zu springen.
Der TSV 1860 ist ein Verein, der Spitzensport möglich macht – aber ebenso ein zu Hause für tausende Breitensportler ist. Inklusiver Sport steht schon lange auf seiner Agenda. So gibt es beispielsweise ein Fitnessprogramm für Sehbehinderte oder ID/G Judo für Kinder mit geistiger Behinderung. Deshalb war es naheliegend auch das eigene Hochsprungmeeting inklusiv zu machen.
Seit 2024 findet ein eigener Wettbewerb für hörbeeinträchtigte Hochspringerinnen statt. Klaar: „Die Special Olympics 2023 in Berlin haben uns inspiriert. Wir wollten das weiterführen. Gehörlose kriegen besonders wenig Aufmerksamkeit. Ihnen wollten wir eine Plattform geben. Ich kenne kein anderes Event, bei dem das so gemacht wird.“
Eine Spitzensportveranstaltung mit Wettkampfstatus, die inklusiv ist – ein Alleinstellungsmerkmal. Das meint auch Karsten Häschel, Vereinsentwickler Inklusion beim Landessportbund Berlin (LSB): „Bei dem Thema Para-Sport mit nicht behindertem Sport zu verbinden, besteht noch viel Potenzial. Daher hat die Veranstaltung aus Sicht des LSB einen sehr hohen Stellenwert. Dass bei einem offiziellen Qualifikationsevent hörbehinderte Athletinnen im gleichen Wettbewerb antreten können, ist eine ganz neue Qualität.“
Eine Beeinträchtigung, die man nicht sieht – die aber dennoch einen großen Einfluss hat: Die Athletinnen nehmen Umwelteinflüsse anders wahr, Coaching funktioniert nur über Gebärdensprache, auch das Fan-Erlebnis ist ein anderes. Anfeuerungsrufe und klatschen können die Springerinnen nicht hören – also winken die Zuschauer. In der Zitadelle, wo das Publikum ganz nah dran ist am Geschehen, klappt das ausgezeichnet.
Das sagen auch die Aktiven. Zu ihnen gehört Imke Onnen. Sie ist aktuell eine der besten Deutschen Hochspringerinnen und hat 2024 bei ihrem Debüt in Spandau gleich einen Meetingrekord aufgestellt. 1,92 Meter schaffte die 30-Jährige, die auch bei den Olympischen Spielen in Paris an den Start ging. Sie unterstützt das Konzept des TSV: „Ich finde gut, dass der Veranstalter beschlossen hat, gehörlosen Springerinnen eine Bühne zu geben. Sie bekommen dort die gleiche Aufmerksamkeit. Dass bei dem inklusiven Meeting, das kurz vor unserem Wettkampf stattfand, schon so viele Fans dabei waren, fand ich toll. Ich konnte sehen, wie alle gewunken und angefeuert haben. Das habe ich noch nirgendwo erlebt.“
Auf die Atmosphäre legen Detlef Klaar und sein Team, die das Ganze übrigens ehrenamtlich auf die Beine stellen, besonderen Wert. Und die Anlage lockt mit ihrem einzigartigen Ambiente. Sie hat das gleiche Blau wie die Laufbahn im Olympiastadion. „Denn die Sportlerinnen wollen alle zur berühmten blauen Bahn“, weiß Klaar. 500 Fans kamen letztes Jahr in die Zitadelle – für die Hochspringerinnen eine beachtliche Kulisse. „Das ist für die Damen so, als wäre das Olympiastadion bei Hertha ausverkauft“, meint der Eventmanager. Auch Imke Onnen gefällt’s: „Die Stimmung ist familiär, fast schon idyllisch. Die Kulisse ist traumhaft. Rechts und links sitzen die ganzen Zuschauer, die uns super unterstützt haben“, sagt die Vorjahressiegerin.
Abgesehen vom Erfolg des Hochsprungmeetings hat der TSV es geschafft, mehr Aufmerksamkeit für seine Arbeit zu bekommen. Der Verein hat nun sehr gute Kontakte zum Bezirksamt in Spandau. „An unserem Event kommt man nicht mehr vorbei. Wir werden super unterstützt vom Bezirk“, sagt Klaar. „Und wir haben die eine oder andere Tür bei den Sponsoren öffnen können.“
Auch die Zusammenarbeit mit dem LSB hat sich verstärkt. Karsten Häschel: „In Berlin haben wir viel Luft nach oben – wir wollen mehr solche Events schaffen, bei denen wir nicht behinderte und behinderte Menschen zusammenbringen. Der TSV Spandau ist Vorreiter. Er macht zahlreiche Inklusionssportangebote. Deshalb helfen wir dem Verein – der LSB hat beispielsweise für die Blindensportgruppe zwei Laufbänder gefördert.“
Und wie geht es weiter?
Detlef Klaar mangelt es nicht an Visionen: „Wir haben leider keinen Hauptsponsor. Den wünschen wir uns! Und wir könnten uns vorstellen, dass wir ein zweitägiges Event daraus machen – dann vielleicht noch Stabhochspringer einladen. Wir wollen definitiv die Inklusionsschiene beibehalten!“
Zunächst hoffen Klaar und sein Team, dass noch mehr Fans den Weg in die Zitadelle finden. Der Eintritt zu der Veranstaltung im Mai ist übrigens frei…
Franziska Staupendahl
Quelle: SPORT IN BERLIN des LSB Berlin 1/2025
SPORTGESCHICHTE(N) – Erziehung zur Demokratie – Manfred Nippe – SPORT IN BERLIN