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2014

Spielzeug-Begeisterung - Am 21. März wird entschieden, welche deutsche Stadt sich um Olympia 2024 bewirbt. In Berlin und Hamburg hat das Strippenziehen begonnen. ©Horst Milde

Spielzeug-Begeisterung – Am 21. März wird entschieden, welche deutsche Stadt sich um Olympia 2024 bewirbt. In Berlin und Hamburg hat das Strippenziehen begonnen. Sebastian Fischer und Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung

By GRR 0

Zehn Stockwerke über Berlin, in einem Hochhaus am Bahnhof Zoo, lebt die Vision von den Spielen, denn dort sitzt Alexander Wolf beim Cappuccino und blickt durch die Glasfassade auf die Stadt hinab.

Lounge-Musik erfüllt den Raum, über der Bar liegt die sanfte Atmosphäre einer gefertigten
Wohnzimmer-Gemütlichkeit, und Wolf sagt: „Der olympische Spirit, das ist Berlin!“ Wolf ist Netzwerker, ein Profi im Kontakteknüpfen und Strippenauslegen.

Er kann das gut:Themen in die Köpfe kriegen.

Aber dass er hier, im zehnten Stock, schon die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 in Berlin ausruft, ist irgendwie seltsam. Denn unten, in der Berliner Wirklichkeit, ist immer noch 2014, Dezember, Vorweihnachtszeit,und die Hauptstadt ist mit ihrer eigenen Gegenwart ganz gut beschäftigt. Neuer Bürgermeister, Flughafen-Ärger, steigende Mieten. Die nächste Party. Die Hertha. Es gibt immer was zu besprechen in Berlin. Aber 2024?

Olympischer Spirit?

Im Hamburger Haus des Sports gehen die Daumen hoch. Fotoapparate klicken. Vor einer Wand mit dem wiederbelebten Bewerbungsmotto „Feuer und Flamme“ haben sich vier einflussreiche Herren aufgestellt und sind so positiv, wie sie nur sein können. Sportsenator Michael Neumann, Sportbund-Vizepräsident Klaus Widegreen, Handelskammer-Präses Fritz Horst Melsheimer und der Unternehmer Alexander Otto stehen für den pro-olympischen
Dreierbund in der Hansestadt: Politik, Wirtschaft und Sport wollen Hamburg mit den Spielen eine zusätzliche Kraft für die Zukunft geben, nachdem der erste Versuch vor elf Jahren früh gescheitert war.

Die Pressekonferenz mit der prominenten Besetzung soll das Startzeichen geben zu einem Winter vollerOlympia-Aktionen, und sie soll zeigen, dass man sich auf den höheren Etagen der Stadt einig ist, wenn es um die Spiele geht. Sogar der HSV, Hamburgs liebster Krisenklub, beteiligt sich an derKampagne mit einem Heimspieltag unter dem Motto Olympia am 31. Januar.

Senator Neumann ruft: „Das Wichtigste ist, dass diese Stadt wieder ein Ziel hat, einen Geist, eine Haltung.“

Alle scheinen kapiert zu haben, worum es geht. Alle? Der Theater-Betreiber und frühere FC-St. Pauli-Präsident Corny Littmann sagt: „Ich kann die Begeisterung der Hamburger Medien für Olympia noch nicht spüren.“

Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), ein Allgäuer mit ausgeprägter r-Stärke, nennt diea ktuelle Phase der nächsten deutschen
Olympiabewerbung „Warrrrmlaufphase“.

Bis zum 21. März haben Berlin und Hamburg Zeit, sich ein Profil als potenzielle Olympiastadt zu geben – dann wird der DOSB auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung über den Bewerber-Vorschlag eines mehr oder weniger prominent besetzten Beratungsgremiums abstimmen.

Die Folge ist ein Wahlkampf, der niemandem wehtun soll und möglichst vielen Leuten eine Begeisterung für Olympia in die Seele pflanzen will. Es ist die Zeit der Netzwerker und Anschub-Ideengeber, von Leuten wie Alexander Wolf also, der sich auf seinem Platz an der Berliner Hochhaus-Bar in ein leidenschaftliches Plädoyer für Olympia in der Hauptstadt hineinsteigert.

Wolf ist Chef der privaten Pro-Olympia-Kampagne „Berlympics“.Motto: „Wirwollen spielen.“ Die Bilder der Kampagne stammen vom Szene-Fotografen Oliver Rath, sie flimmerten zuletzt über eine Werbeleinwand am Ku’damm. Olympia sei ein Treffen junger Leute, ruft Wolf, ein großes Fest. „Wir müssen uns da drauf stürzen!“

Das wissen nur noch nicht sehr viele. Der Facebook-Seite von Berlympics folgen gut
tausend Menschen, Tendenz: stagnierend.

„Das“, sagt Wolf „ist natürlich nichts.“

Dass Corny Littmann Anfang Dezember noch keine Olympia-Begeisterung in den
Hamburger Medien spürte, kann an zweierlei liegen. Erstens: Die Hamburger Medien
finden Olympia-Begeisterung unjournalistisch Zweitens: Es gab noch wenig Olympia-
Begeisterung, über die man hätte berichten können.

Letzteres liegt in der Natur der Situation. Die ist vor der DOSB-Entscheidung nämlich nicht einfach für Hamburgs Olympia-Macher: Sie wollen in die Köpfe der Menschen, aber sie wollen sich auch nicht zu früh aufplustern.Die Bewerbung um eine Bewerbung ist eben noch keine richtige Bewerbung. Vollgas zu geben, wäre da aus hanseatischer Sicht nicht klug.

„Für diese Etappe gibt niemand viel Geld aus“, sagt ein Insider der Hamburger Spiele-Lobby. „Wir sind ja noch gar nix.“

„Das Problemist Lethargie“, sagt Klaus Böger, aber die könne man niemandem übelnehmen,
denn: „Olympia ist noch wahnsinnig weit weg.“ Böger, 69, war viele Jahre lang einer der einflussreichsten Berliner Landespolitiker, von 1999 bis 2006 Senator für Bildung und Sport. Seit 2009 ist er Präsident des Landessportbundes Berlin und derzeit einer der einflussreichsten Werber für Spiele in der Hauptstadt; der LSB arbeitet eng mit dem Senat zusammen.

Böger ist in diesen Tagen viel unterwegs, er wirbt für die Veranstaltung, die noch soweit weg ist. Auch jetzt ist er unterwegs; sein Anliegen erklärt er am Telefon.

Mit Olympia und Paralympics verbindet er barrierefreie Einrichtungen, moderne
Sportstätten, sanierte öffentliche Verkehrsmittel, Investitionen für die Jugend. Olympia würde die Dinge auf die politische Agenda bringen. „Das entwickelt eine Schubkraft“, sagt Böger.

Der Kleine Grasbrook sieht noch ziemlich unolympisch aus. Lagerhallen, Kräne, Kaianlagen.
Hamburgs Hafen hat hier unter anderem eines der modernsten Frucht und Kühlzentren untergebracht, hier werden etwa Bananen hin verfrachtet und dann gelagert. Trotzdem hat sich Hamburg dieses Stück Land als Standort für Olympiastadion und Olympisches Dorf
ausgesucht. Viele Flächen auf dem Kleinen Grasbrook liegen brach, sie zu beleben ist ein alter Wunsch der Stadt, der zum Konzept „Sprung über die Elbe“ gehört.

Die Spiele sollen dem Gelände eine neue Bestimmung geben. Die Idee ist charmant, aber sie bedeutet auch, dass das Stück Hafen, das noch hier liegt, weichen muss. Und Hamburgs Hafenwirtschaft hat dazu eine Meinung. Karl Olaf Petters, Sprecher der Hamburger Hafen und Logistik AG, nennt Olympia „eine faszinierende Vision“, aber: „Falls auf dem Kleinen Grasbrook tatsächlich das olympische Zentrum entstehen sollte, müssen gleichwertige Ersatzflächen zur Verfügung gestellt werden.

Schließlich gibt es dort mehr als 1000 Arbeitsplätze und wir müssen sicherstellen, dass wir unseren Kunden weiterhin erstklassige erstklassige Leistungen anbieten können.“

„Pretty fucking creepy“ hat der US-Regisseur Stephen Hopkins das Berliner Olympiastadion
neulich genannt, „ziemlich verdammt gruselig“. Das war vielleicht nicht sehr nett, aber angemessen. Hopkins hat in Berlin an seinem Film „Race“ gearbeitet, einem Porträt des afroamerikanischen Sprinters Jesse Owens, der hier 1936 bei Hitlers Propaganda-Spielen vier Mal Gold gewann. Die böse Erinnerung kriegt man eben nicht weggewaschen von den Mauern des Olympiastadions.

Die Arena ist längst in den Besitz des modernen Sportgeschäfts übergegangen, keiner stellt infrage, dass man im Olympiastadion auch die nächsten deutschen Spiele stattfinden lassen kann. Wenn es um Olympia geht, ist das Stadion sogar der Stein gewordene Standortvorteil neben den vielen anderen Sportstätten, die Berlin im Gegensatz zu Hamburg schon hat.

Aber das ändert nichts daran, dass das Olympiastadion auch die klobige Hinterlassenschaft
eines anderen, eines schlechten Deutschlands ist. Dieses Bauwerk kann man nicht so einfach drauflos loben.

Ein Mittwoch, Ende November, Auftritt der Berliner Olympiabotschafter. Einer von ihnen ist Tim Raue, 40, Sterne-Koch. Warum Olympia zu Berlin passt? Sein Opa habe ihm von den tollen Spielen 1936 erzählt, sagt Raue, die wären „bahnbrechend“ gewesen. Wie bitte? Er habe damit natürlich die Läufe von Jesse Owens gemeint, erklärt Raue später.

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Lesen Sie bitte den gesamten Beitrag hier in der Süddeutschen Zeitung vom Sonnabend, dem 27. Dezember 2014: 

author: GRR

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