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Speerwerfer Röhler Reise zur magischen Marke – Michael Reinsch, Jena in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Das wäre eine Sensation. Der Weltrekord steht seit mehr als zwanzig Jahren bei 98,48 Meter. Jan Železný aus Prag erzielte die famose Weite – in Jena.
Sie ist nur deshalb als Bestmarke anerkannt, weil der Leichtathletik-Weltverband IAAF 1986 einen neuen Speer vorschrieb, dessen nach vorne verlagerter Schwerpunkt eine steilere Flugkurve nach Erreichen des Höhepunkts auslöst. Anlass war der unglaubliche Weltrekord von 104,80 Meter, den Uwe Hohn beim Sportfest „Olympischer Tag“ im Juli 1984 im Jahn-Stadion von Ost-Berlin aufstellte.
DDR-Ärzte und Trainer schrieben Hohn in diesem Jahr den Einsatz von Anabolika (Oral-Turinabol) zu, eine Tagesdosis von 1135 Milligramm bei Einnahme.
Hohn widerspricht der Vorstellung, die IAAF habe damals verhindern wollen, dass der Speer so weit fliegen kann. „Der Speer sollte nicht mehr so flach aufkommen wie vorher“, sagt er. „Die alten Speere haben nach der Landung praktisch noch mal beschleunigt und sind zwanzig, dreißig Meter weit gerutscht.“
Der 54 Jahre alte Neuruppiner, Trainer seiner australischen Partnerin Kathryn Mitchell, des Chinesen Zhao Qinggang und der besten indischen Speerwerfer einschließlich des Junioren-Weltmeisters Neeraj Chopra, war einer von knapp tausend Besuchern des familiären Sportfestes. Keiner von ihnen war enttäuscht davon, dass Veranstalter und Lokalmatador Röhler bei geradezu jamaikanischem Sommerwetter nicht so weit warf wie bei seinem phänomenalen Saisoneinstieg in Doha mit 93,90 Metern oder bei seiner zweiten Station, der Diamond League am Freitag in Rom, wo er die neunzig Meter um sechs Zentimeter übertraf.
„Der Wurf von Doha war ein Wurf in die Zukunft“
Jeden seiner sechs Würfe auf dem Wurfplatz Obere Aue an der Saale bejubelten die Zuschauer – doch nur zwei ließ Röhler gelten. Mit einem entschlossenen Schritt über die Begrenzung machte er alle Würfe ungültig, die nicht 82 Meter übertrafen. Schließlich standen 83,64 Meter zu Buche. „Der Wurf von Doha war ein Wurf in die Zukunft“, sagte Röhlers Trainer Harro Schwuchow schwärmerisch. „Er war eine Andeutung dessen, was möglich ist.“ Hundert Meter? „Ich würde sagen, dass er es kann“, erwiderte Schwuchow. „Wir reden offen drüber. Das Schlimmste wäre, wenn sich in seinem Kopf Schranken aufbauen würden: Hundert Meter, das schaff’ ich im Leben nicht.“ Da greift Schwuchow lieber nach einem anderen Motto: „Vorwärts immer, rückwärts nimmer.“
Auch Chef-Bundestrainer Idris Gonschinska machte dem Olympiasieger auf dessen Wurfwiese seine Aufwartung. „Thomas ist begeistert, innovativ, offen, engagiert und erfolgreich“, lobte er den 25 Jahre alten Thüringer. Zu dessen schnellem Anlauf und einem Wurf, dessen Bewegung Gonschinska an einen Pitcher im Baseball erinnert, kommen Akribie und Sorgfalt. „Wenn man der Beste sein will in seiner Sportart, muss man sie auch verstehen“, sagt Röhler. Er hat die unterschiedlichen Flugeigenschaften aller Speer-Fabrikate studiert und knabbert sich gelegentlich sogar durch finnische Fachliteratur.
„Da beißen sich zwei Sachen“, sagt Röhler über den Hundert-Meter-Wurf. „Ich gebe nie Vorhersagen zu einer Weite. Aber ich sage: Eines Tages ist sie möglich.“ Mit seinen 25 Jahren sei er noch jung. „Ich will mich auf die Reise begeben, um herauszufinden, wie weit ich werfen kann. Vielleicht ist dieses Herausfinden für andere die Erkenntnis, wie weit ein Mensch werfen kann.“ Am Dienstag führte ihn die Reise zum Wettkampf nach Turku.
Michael Reinsch, Jena in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 13. Juni 2017
Autor: Michael Reinsch, Korrespondent für Sport in Berlin.