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27
08
2008

Sind die noch ganz sauber? Athleten sollen gewinnen und Betrug bekämpfen. Zuschauer wollen Siege und faire Wettkämpfe. Genau darin steckt viel Heuchelei. Ein Essay. Von Frank Bachner und Christian Hönicke im Tagesspiegel

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Die Deutschen haben in Peking 16 Goldmedaillen gewonnen, das ist Platz fünf im Medaillenspiegel. Immerhin. 2004, bei den Olympischen Spielen in Athen, war es noch Rang sechs, mit 14 Mal Gold. Die Welt ist also einigermaßen in Ordnung, der Medaillenspiegel gilt schließlich bei Fans, Funktionären, Sponsoren und Medien unverändert als Maßstab für die Frage: Waren es erfolgreiche Olympische Spiele?

Die Deutschen haben die strahlende Doppel- Olympiasiegerin Britta Steffen, die anderen haben die dopingverdächtigen Michael Phelps und Usain Bolt. Da sind die Fronten schön geklärt. Der gemeine Olympiabetrachter, egal in welcher Funktion, kann feiern und anklagen zugleich.

Wie viel Heuchelei darf es denn sein?

Nur führt diese Fähigkeit zur Kernfrage, wenn es um die Wahrnehmung des Sports geht: Wie viel Heuchelei darf es denn sein?
Es ist ganz einfach: Man kann sich über die Fabelweltrekorde von Bolt & Phelps empören und die miserablen Dopingkontrollen in jenen Ländern anklagen, die im Medaillenspiegel teilweise noch vor Deutschland liegen. Dann muss man sich nicht nur über Steffens Siege freuen, sondern auch andere Erfolge anerkennen. Den von Antje Möldner etwa, der 18. über 3000 Meter Hindernis. Nur geht sie in der öffentlichen Wahrnehmung als eine der vielen anonymen Verliererinnen unter. Aber Möldner lief deutschen Rekord. Immer noch eine Verliererin?

Wer Doping beklagt, muss auch anerkennen, dass ein Athlet mit persönlicher Bestzeit leider im Halbfinale ausscheidet.

Wer aber Medaillen und spektakuläre Weltrekorde zum Maßstab des Erfolgs erhebt, kann Athleten, die das Finale verpassen, leicht als Versager beschimpfen. Der muss Leute wie Phelps feiern und das vergleichsweise strenge deutsche Anti-Doping-System verfluchen.

Beides zugleich geht nicht.

Es ist halt alles kompliziert geworden im Sport, nicht erst in Peking. Dabei folgt Sport ja grundsätzlich einfachen Regeln. Und für viele Fans war es einfach, unbelastet Sport zu betrachten. Es geht um Sieg und Niederlage, das garantiert Spannung, die Rollen sind leicht verteilt, man kann mitfiebern, hat seine Idole, man feiert sie oder trauert mit ihnen. So ist das grundsätzlich – wenn der Gedanke an Doping die Szenerie nicht durcheinanderbringt. Doch die Zeiten, in denen die verbotenen chemischen Mittel ignoriert werden konnten, sind vorbei. Geständnisse prominenter Doper und Enthüllungen über kriminelle Netzwerke machen auch dem Letzten klar, wie der Spitzensport funktioniert. Nur umgehen können viele mit dieser Erkenntnis noch nicht.

Deutschlands konsequentes Anti-Doping-Programm

Die deutschen Schwimmer zum Beispiel haben das konsequenteste Anti-Doping-Programm aller Schwimm-Nationen. Cheftrainer Örjan Madsen hatte es initiiert, die Fachwelt hat es gelobt. Und wer als Fan könnte es grundsätzlich ablehnen? Nur verlangen Fans und Funktionäre zugleich auch Medaillen und Finalplätze. Deshalb waren die Normen der Schwimmer für die Olympiaqualifikation extrem hart. Sie orientierten sich an den besten Zwölf der bereinigten Weltrangliste. Die deutschen Schwimmer mussten also Zeiten erreichen, die Athleten aus Ländern vorgelegt hatten, in denen unangemeldete Dopingkontrollen zu den Kuriosa zählen. Der deutsche Langstrecken-Spezialist Jan Wolfgarten hatte sechs Jahre in den USA trainiert. In dieser Zeit wurde er nicht einmal unangemeldet getestet. Jetzt ist er wieder in Deutschland, in sechs Monaten kam sechs Mal ein Kontrolleur.

Örjan Madsen, der Cheftrainer der deutschen Schwimmer, hatte vor den Olympischen Spielen als Ziel ausgegeben: „Wenn jeder seine persönliche Bestzeit steigert, bin ich zufrieden.“ Es ist eine vernünftige und vertretbare Zielsetzung. Doch sie ist Fans, Medien und Sponsoren kaum vermittelbar. Goldmedaillen sind vermittelbar. Deshalb lief Britta Steffen als Endlosschleife über den Bildschirm. Das hat sie verdient – als Doppel-Olympiasiegerin. Sie hätte es aber auch verdient gehabt, wenn sie bloß Platz fünf belegt hätte mit persönlicher Bestzeit. Aber dann hätte sie ausgiebig erklären dürfen, warum sie denn schon wieder an ihren Nerven gescheitert sei.

Und wenn sie Weltrekord geschwommen wäre? Wäre sie dann mit der gleichen emotionalen Distanz betrachtet worden wie Michael Phelps? Wohl kaum. Denn hat sie die Sehnsucht nach einem emotionsgeladenen Erfolg erfüllt.

Die Spiele der Weltrekorde

In Peking wurden zwei Dutzend Weltrekorde pulverisiert – im Schwimmen, in der Leichtathletik. Die bisherigen Rekorde waren auch unter Dopingverdacht zustande gekommen. Wo Rekorde fallen, wird gedopt? Wenn diese Maxime gilt, wären diese Spiele die schmutzigsten aller Zeiten gewesen. Dass die 5000 Kontrollen fast ausnahmslos negativ ausfielen, überrascht nicht. Wenn hart gedopt wird, in den Belastungsphasen im Frühjahr, tauchten Fahnder kaum auf.

Der Profisport ist nicht der weiße Ritter, als den ihn viele gern sehen würden, sondern im Grunde ein Wirtschaftszweig wie jeder andere. Sport ist ein geschlossenes System. Die Fans fordern Medaillen, die Sponsoren fordern Sieger, weil man mit Zweitplatzierten nicht werben kann, die Funktionäre starren auf den Medaillenspiegel, die Sportler wollen Medaillen, weil damit Prämien und Sporthilfe verbunden sind. Und mit Gold vielleicht auch Sponsorenverträge. Diskuswerfer Robert Harting, in Peking Vierter, sagt: „Mit Platz vier kann man schlecht Rechnungen bezahlen.“

Ist Aspirin okay?

Viele Sportler befinden sich deshalb in einem Konflikt: Sie sollen um Siege und zugleich gegen Doping kämpfen. Sie müssen immer für die Kontrolleure erreichbar sein. Und natürlich kann man fragen, wo Doping beginnt. Ist Aspirin okay, aber ein anderes Schmerzmittel nicht?

In vielen Ländern werden Geldprämien für Olympiasiege gezahlt, auch in Deutschland. In Nationen wie Russland oder China aber fördern diese Summen den Drang zum Doping regelrecht. Ein Athlet, der für Gold 100 000 Dollar erhält, hat für immer ausgesorgt. Dass in solchen Nationen das Anti-Doping-System fast brach liegt, gehört zum System.
Es ist immer schwieriger, die Unschuldsvermutung zu verteidigen.

Anti-Doping-Kampf unterfinanziert

Die Welt-Antidoping-Agentur darf 2008 insgesamt 27 Millionen Dollar ausgeben. Angesichts der Tatsache, dass schon einzelne Spitzenathleten weit mehr als 100 000 Euro pro Jahr in verbotene Aufputschmittel investieren, erscheint dieser Betrag lächerlich. Und so kämpfen die Dopingkontrolleure einen frustrierenden Kampf: Für jedes Mittel, das entdeckt wird, rücken weitere, noch lange nicht nachweisbare auf den Markt.

Diese Entwicklung lässt sich mit keiner Summe dieser Welt ändern oder gar stoppen. Und auch der Zugang von Fans, Sponsoren, Funktionären und Medien zum Sport lässt sich nur schwer ändern. Gut, es gibt eine flächendeckende Empörung über den dopingverseuchten Radsport. Aber diese Entrüstung hat auch eine Alibi-Funktion. Im Radsport gibt es keine unbelasteten Idole mehr. Da fällt es leicht, sich angewidert abzuwenden.

Aber soll man nun auch Leichtathletik ignorieren? Oder Schwimmen? Oder gleich alle dopingbelasteten Sportarten? Das macht keiner. Den Fans würde der Kitzel und die Lust am Mitfiebern genommen, Sponsoren würden ihre Werbeplattform verlieren, Medien ihren emotionalen Stoff, die Jugendlichen ihre Idole.

Nur noch Unterhaltung?

Das Wesen des Sports ist seine Unberechenbarkeit. Außenseiter gewinnen, Favoriten verlieren, das erzeugt Spannung. Bloß gehört zum Sport auch der Betrug. Doping hat es immer gegeben. Doping wird es immer geben.

Man kann das hinnehmen. Aber dann reduziert sich Sport zur puren Unterhaltung – und seine Hauptdarsteller wären Showstars. Dass sie sich zur Höchstleistung pushen, wäre Teil der Inszenierung.

Wer das nicht will, kann nur den Druck auf mutmaßliche Dopingsünder massiv verstärken. Realistisches Ziel kann es dabei nur sein, die größtmögliche Zahl von Athleten zur Einhaltung der Regeln zu zwingen. Das ist mühsam, teuer – und macht den Sport noch komplizierter. Das ist der Preis.

Zu den Regeln des Sports gehört, dass es Sieger und Verlierer gibt. Aber auch den Respekt vor der Leistung des anderen, des Schwächeren. Das bringt schon der überwiegende Teil der Sportfans ihren Kindern bei. Wenn sich Fans an diese Regeln auch beim Hochleistungssport erinnerten, wäre schon viel gewonnen.

Frank Bachner und Christian Hönicke im Tagesspiegel, Dienstag, dem 26. August 2008

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